Aus dem Stadion Essen wird (wieder) das Stadion an der Hafenstraße! Der nächste Schritt in der Evolution von Rot-Weiss Essen!
Wer kennt noch den Bökelberg oder das Stadion Müngersdorf? Wer die Rote Erde oder die Pechauf-Kampfbahn (oder so ähnlich)? Ältere Fußballfans erkennen in diesen Namen sofort die traditionellen Spielstätten großer Traditionsvereine. Sie alle haben zwei Dinge gemeinsam. Erstens, die ursprünglichen Stadien wurden aufgegeben und durch wesentlich modernere ersetzt. Zweitens, diese neuen Arenen tragen wechselnde Namen von Großsponsoren und Investoren, sodass man heute in den Signal-Iduna Park geht oder in das RheinEnergieStadion. Einen dieser Schritte machte auch RWE, der zweite Schritt aber ist zu unserer (fast) aller Freude ein ganz anderer.
Auch Rot-Weiss Essen trennte sich vor fast zehn Jahren von seinem heiß geliebten Georg-Melches-Stadion und zog nebenan ins neu gebaute Stadion Essen. Somit entstand die neue Spielstätte an ihrem traditionellen Standort. Das altehrwürdige Georg-Melches-Stadion, das ursprünglich aber anders geheißen hatte, zählte im Laufe seiner Historie zu den sowohl modernsten als auch legendärsten Spielstätten des deutschen Fußballs. Die Haupttribüne war wegweisend und eines der ersten Flutlichter in einem deutschen Stadion erstrahlte an der Hafenstraße. Das brachte dem späteren GMS, wie es die RWE-Anhänger liebevoll abkürzten, in Anlehnung an das damals hochmoderne Stadion von Arsenal London den Status eines deutschen Highbury ein. Der Kult-Verein RWE wäre ohne das Kult-Stadion undenkbar gewesen. Dieses wiederum wäre undenkbar gewesen ohne die große Vaterfigur Georg Melches, der dem Verein seinen Stempel aufdrückte wie kein Zweiter in der Vereinsgeschichte und folgerichtig nach seinem Tod zum Namenspatron der Spielstätte wurde.
Der Umzug in ein neues Stadion im Sommer 2012 war zwar ein großer Einschnitt, aber die Mehrheit der Fans war sich einig, dass das gute alte GMS an ganz vielen Stellen nicht mehr modernen Komfort- und auch Sicherheitsstandards genügte. Ohnehin war es mittlerweile zu einem Dreitribünenstadion ohne Westkurve geworden und auch die Nordtribüne nur noch eine halbe Ruine. Dennoch flossen viele Tränen, als RWE sich am Ende der Spielzeit 2011/12 mit dem letzten Punktspiel gegen Fortuna Köln aus dem GMS verabschiedete. Einen Tag später gab es noch das Spiel der Legenden mit vielen RWE-Altstars. Bis auf einen der Flutlichtmasten, der heute auf dem Stadionvorplatz steht, ist nichts mehr vom alten Stadion erhalten, an dessen Stelle heute quasi ein Parkplatz ist. Im Herzen der Fans lebt es bis heute weiter.
Auch der Verein ist sich der emotionalen Denkmalpflege bewusst. Nicht nur der erwähnte Flutlichtmast, sondern auch die sogenannte kleine Gruga an den Zufahrts- und Zugangswegen zum Stadion, die diverse Devotionalien aus alten RWE-Tagen präsentiert, erinnert noch an Essens legendäre Spielstätte. Ebenso hat das Stadion Essen wohl die einzige originäre Ostkurve, die aber alte Westkurve genannt wird, eine Reminiszenz an die bundesweit bekannte und gefürchtete Westkurve, frühere Heimstatt der Essener Ruhrpott-Tifosi. Bei so viel Traditionstrunkenheit im Verein Rot-Weiss Essen, wie es das Magazin für Fußball-Kultur Elf Freunde einmal ausdrückte, war die Namensgebung für die neue Spielstätte von daher von Anfang an ein sensibles Thema. Mit dem wertfreien Titel Stadion Essen konnten viele daher erst einmal leben. Immerhin zeigte sich kein Investor als neuer Namenspatron. Das in unmittelbarer Stadionnähe an einer Stahlbrücke angebrachte Graffito „Für immer Georg-Melches-Stadion“ zeigt aber bis zum heutigen Tage das Bewusstsein der RWE-Fanszene für die Vergangenheit des Vereins.
Dem RWE-Vorstand um Marcus Uhlig ist daher mit dem Erwerb der Namensrechte und mit der nun erfolgenden Namensgebung „Stadion an der Hafenstraße“ für das Essener Stadion ein großer Wurf gelungen. Denn genau in diese sensible Schnittstelle, welche die große Tradition des Vereins mit der notwendigen Modernisierung in der Gegenwart darstellt, wurde der Ball hineingespielt und ist der Bau einer Brücke in die Zukunft gestartet worden. Anders als eigentlich überall in der Fußball-Republik gibt Rot-Weiss Essen seinem Stadion nun seinen ganz ursprünglichen Namen zurück. Den Namen Georg-Melches-Stadion erhielt es 1964 ein Jahr nach dem Tod des Vereinsmitbegründers zu dessen Ehren. Bereits seit 1920, also seit über 100 Jahren, spielt RWE am Standort Hafenstraße. Zunächst gemeinsam mit dem Turnerbund Bergeborbeck. 1939 wurde die Platzanlage zu einem Stadion ausgebaut, wobei es sicherlich eine Definitionsfrage ist, wann genau eine Sportstätte ein Stadion ist. Jedenfalls wurde 1939 das „Stadion an der Hafenstraße“ eröffnet. Im Kriegsjahr 1943 wurde es dann bei einem Bombenangriff zerstört und nach dem Krieg wieder aufgebaut. Als das Essener Stadion das bereits erwähnte deutsche Highbury gewesen ist, trug es seinen ersten Namen, „Stadion an der Hafenstraße“, und zwar 25 Jahre lang. Bereits seit 44 Jahren spielte Rot-Weiss da bereits am Standort Hafenstraße.
Traditionsbewusster und sensibler konnte die Entscheidung der Essener Verantwortlichen, das neue Stadion nach dem seines ursprünglichen Vorgängers zu benennen, somit kaum sein, zumal der traditionelle Standort ohnehin erhalten worden war.
RWE muss den schwierigen Spagat zwischen Tradition und Wertebewusstsein und dem Aufbruch in eine moderne Zukunft meistern. Das Projekt Stadionname steht für beides, die Wiederbenennung in „Stadion an der Hafenstraße“ pflegt die Essener Fanseele, die damit natürlich auch verbundenen wirtschaftlichen Szenarien illustrieren die notwendige Modernisierung. Für Traditionsvereine ist das ungemein schwierig. Bei RWE hat man anscheinend ein sehr wirksames Rezept gefunden. Es wäre kaum auszudenken gewesen, hätten sich die noch vor einigen Monaten kursierenden Gerüchte über die Neubenennung des Stadion Essen nach bundesweitem Prinzip bewahrheitet und ein Investor wäre neuer Namenspate geworden, der mit der RWE-DNA kaum zu vereinbaren gewesen wäre. Von daher muss es klipp und klar formuliert werden, der Verein Rot-Weiss Essen hat nicht nur mal eben Namensrechte erworben, um ein Übel zu verhindern. Der Verein Rot-Weiss Essen hat ein durchaus risikobehaftetes Investment getätigt, für sich aber auch für seine Fans, die nun mit ins Boot kommen sollen.
Die Refinanzierung des Projektes basiert auf drei Säulen in einer bundesweit einmaligen Fundraising-Aktion. Natürlich sollen auch Großunternehmen Unterstützer sein, ebenso wie dann viele klein- und mittelständische Unternehmen. Diese finden aber anders als fast überall sonst nicht ihren Unternehmensnamen im Stadiontitel wieder, sondern werben als Unterstützer einer Kultmarke, die dann natürlich umgekehrt auch für sie wirbt. Hier reden wir von einer wirtschaftlichen, aber auch imagemäßigen Win-Win-Situation. Die dritte und im Grunde wichtigste Säule sind die Essener Fans. Wer das Projekt „Stadion an der Hafenstraße“ unterstützt, gibt damit auch seinem eigenen Namen einen Platz, der zukünftig in einer LED-Anzeige im Stadion-Bereich sichtbar gemacht werden wird. Gab es einst einen Georg-Melches, so gibt es nun Tausende Unterstützer und Namensgeber. Die bei RWE hinter den Kulissen sorgfältig ausgearbeitete Idee hat nicht nur Substanz, sondern auch großen Charme. Vorerst handelt es sich durchaus um ein Wagnis. Sollten sich genug Sponsoren und Unterstützer finden, wird der Verein die eingesetzte Summe nicht nur refinanzieren, sondern in Gewinnzonen vorstoßen. Dieser Schritt ist innovativ, aber auch mutig. Unseren Verantwortlichen gebührt dafür zunächst einmal in allererster Linie unser Dank und Respekt. Auch wenn das nicht jeder so sieht.
Lange konnte der Verein die Infos unter der Decke halten, je näher die Verkündung rückte desto mehr sickerte dann doch noch heraus. Sogleich gab es auch kritische Stimmen, dass man die Fanbasis mehr hätte einbeziehen sollen bei der Namensfindung, auch habe man mal über einen Namenswettbewerb gesprochen. Natürlich werden solche sensiblen Entscheidungen immer ganz genau beäugt. Es sei nur an dieser Stelle die Gegenfrage gestellt, wozu eine öffentliche Diskussion über den zukünftigen Stadionnamen auch hätte führen können? Zum einen wäre wohl ein langwieriger und unter dem Strich nur für eine Teilgruppe interessanter bzw. uneingeschränkt befürworteter Vorschlag umgesetzt worden. Es hätte zudem zu Konkurrenz unter den Fans führen können, wessen Vorschlag jetzt der Beste wäre. Und wieviel Konsens ließe sich dann noch herstellen?
Vor etwa 20 Jahren startete das für den Neubau des Wembley-Stadions zuständige Architektur-Büro einen Namenswettbewerb für die Brücke, auf der die Zuschauer dem Stadion entgegenströmen. Deutsche Fans machten sich einen Jux und voteten zu zehntausenden für die „Didi-Hamann-Bridge“. Der Hintergrund, ausgerechnet der deutsche Nationalspieler hatte in Englands Fußballheiligtum das letzte Tor geschossen. Gegen England. Für Deutschland. Ein Stich ins Herz der Briten. Obwohl Dieter Didi Hamann als Namensgeber mit die größte Unterstützung erhielt, kam er erst gar nicht auf die offizielle Vorschlagsliste. Zu sehr fürchteten die Initiatoren eine Spaltung durch diesen Namen. Ich selbst habe damals übrigens den Vorschlag gemacht, die Brücke „Tofik-Bachramov-Bridge“ zu nennen. Der war Linienrichter beim legendären WM-Finale 1966 zwischen England und Deutschland und flüsterte Schiedsrichter Gottfried Dienst das weltberühmte Wembley-(Nicht)Tor ein.
Nun, auch dieser Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt. Basisdemokratie hat manchmal halt auch so ihre Nachteile. Von daher wollte RWE einen Namen haben, der einen breiten Konsens finden und nicht zu endlosen Diskussionen führen wird. Zudem sei deutlich gesagt, das Stadion gehört nicht Rot-Weiss Essen. Es ist weiterhin in städtischer Hand und durch die gemischte Stadionbelegung, schließlich spielt hier auch weiterhin die SG Essen Damen-Bundesliga, konnte es auch kein Name werden, der rein auf die RWE-Historie ausgelegt gewesen wäre. Eine Rebenennung in „Georg-Melches-Stadion“ wäre somit kaum tragbar und durch GVE nicht genehmigungsfähig gewesen. „Stadion an der Hafenstraße“ hingegen repräsentiert sowohl Essener Vereinsgeschichte als auch eine offenere Lesart als Stadion der Stadt Essen. In den nächsten Tagen wird RWE in gesonderten Veranstaltungen sein Konzept noch einmal allen Interessierten näherbringen. Es besteht die Hoffnung, dass auch die noch skeptischen Anhänger dann mit ins Boot kommen.
Bemerkenswert ist durchaus, wie gut und konsequent Rot-Weiss Essen nicht nur an seiner sportlichen Weiterentwicklung, sondern auch an der Professionalisierung seiner Vereinsinfrastruktur arbeitet. So groß der Wunsch ist, die Regionalliga West am Ende dieser Saison endlich in Richtung Profifußball zu verlassen, so klar und deutlich spielt RWE dennoch mehrere Karten. Nicht jeder Euro geht in Essen in Mannschaft und Trainerteam, vielmehr findet sich ein Portfolio ausgewogener Investitionen. Das war und ist anderswo anders. In Essen weiß man daher, dass die treuen Fans letztlich das größte Kapital des Vereins sind. Und seine größten Unterstützer und Förderer. Gemeinsam wird nun der nächste wichtige Schritt in der Evolution des Vereins gemacht. Essens Geist und Werte leben zukünftig ganz offiziell wieder im „Stadion an der Hafenstraße“.
NUR DER RWE!
Sven Meyering