Dennis Grote hat Fakten geschaffen, die man sich noch mal auf der Zunge zergehen lassen muss: Der amtierende Kapitän der Hafenstraße, der die Mannschaft als Stammspieler und Herzstück an die Tabellenspitze geführt hat, verhandelt mitten in der Saison mit dem direkten Aufstiegsrivalen Preußen Münster, zu dem uns eine innige Abneigung auf den Tribünen verbindet, um noch in der Winterpause dorthin zu wechseln – das konnte sich eigentlich nur jemand ausgedacht haben, dem in der Pommesbude halluzinogene Substanzen unter die Fritten gemischt wurden, doch dieser Stich ins Fanherz ist bittere Realität.
Dabei geht es nicht mehr nur um eine unglückliche Wechselposse, denn der moderne Fußball-Söldner wird ein Vierteljahrhundert nach dem Bosmann-Urteil im gesamten Profifußball schulterzuckend zur Kenntnis genommen: Ja, ein Spieler muss an seine Familie denken und hat nur knapp 15 Jahre Zeit, um gutes Geld zu verdienen – doch es gibt Grenzen und Grote hat eine ganze Reihe davon überschritten. Sein Interview im Reviersport war dabei die Kirsche auf der Torte, denn die hintergangene Anhängerschaft wird hier auf unverschämteste Art und Weise für dumm verkauft, aber von vorn: Dass Preußen Münster den Wohnort Grotes und dessen vergangene Verbindung zum Verein zum Anlass nimmt, einen plumpen Anlauf zu starten, dem direkten Konkurrenten mächtig eins auszuwischen, ist leider legitim und dass man in Münster nicht für stilvolles Auftreten bekannt ist, dokumentiert der Club in seinen peinlichen Stellungnahmen fast wöchentlich selbst zur Genüge. Was aber denkt sich Essens Nummer 6 dabei, ernsthaft auf diese Offerte einzugehen und in Essen um seine Freigabe zu bitten?
Er selbst spricht davon, dass der angedachte Wechsel „kein realistisches Szenario“ gewesen sei und er „nur ehrlich und transparent“ sein wollte, bestätigt jedoch, dass ein Wechsel zur Winterpause seinem Wunsch entsprochen hätte. Es hat jedoch mitnichten die Vereinsführung „ehrlich und transparent“ informiert, sondern um seine Freigabe gebeten – wie man „ehrlich und transparent“ informiert kann er seinen Noch-Trainer Christian Neidhart fragen, der ein lukratives Angebot aus seiner Heimat Braunschweig, noch dazu aus einer höheren Liga, ohne mit der Wimper zu zucken ablehnte, um sich voll und ganz dem Verein Rot-Weiss Essen zu verschreiben. Grote hat nicht über das Angebot informiert, sondern wollte das Angebot annehmen und stellt nun, nach Verweigerung der Freigabe, diese Anfrage dreist als einen Akt des ehrlichen Umgangs miteinander dar.
Vielleicht sollten wir jedoch auch Verständnis für den Menschen Dennis Grote haben, der nur an die Zukunft seiner Familie gedacht hat? Immerhin lässt er uns teilhaben, dass er natürlich wisse, „welche Ziele [er] mit RWE verfolge. Aber den Zeitpunkt solcher Angebote kann man sich im Leben auch nicht aussuchen!“ – richtig, denn das Angebot von Preußen Münster, einem 35-jährigen Regionalliga-Spieler einen Vertrag über anderthalb Jahre als Spieler mit anschließendem Zweijahresvertrag auf Funktionärsebene anzubieten basiert einzig und allein darauf, dass es sich um den Kapitän der direkten Konkurrenz handelt. Wäre RWE Tabellenfünfter oder Grote Spieler von Alemannia Aachen, hätte es ein derartiges Angebot nie gegeben und ginge es Münster ligenunabhängig um Grotes Qualitäten als Spieler und Funktionär, wäre eine langfristige Verpflichtung Grotes bereits zu dieser Saison möglich gewesen, schließlich verlängerte er erst Anfang 2021 für ein weiteres Jahr an der Hafenstraße.
Nun, da die Verantwortlichen informiert wurden, hätten sie ihn laut Grote auch einfach wieder spielen lassen können, denn: „Als RWE sagte, dass ich keine Freigabe erhalte, war das Thema für mich auch sofort erledigt. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich auch spielen können und der Mannschaft helfen wollen.“ – nicht nur Grote und die RWE-Verantwortlichen wissen von der Offerte, auch in Münster muss mehr als eine Person über eine Dreieinhalbjahresofferte Bescheid wissen, sodass ein Unter-den-Teppich-kehren keine Option war, ohne Gefahr zu laufen, dass diese Information z.B. gezielt vor dem Rückspiel von Münsteraner Seite gestreut worden wäre. Was eine solche Nachricht mit dem teaminternen Vertrauensverhältnis anrichtet, kann sich jeder ausmalen: Der eigene Kapitän wäre lieber nach Münster gegangen und mit dem Rivalen aufgestiegen, aber nun kriegt er halt keine Freigabe und gibt dann natürlich 100% für RWE. Ganz professionell. Spätestens hier darf man sich fragen, für wie dumm unser ehemaliger „Quarterback“ das eigene Team und die eigene Anhängerschaft hält oder ob er sich angesichts des riesengroßen Schlamassels mit derartigem Unsinn nur noch irgendwie selbst schützen möchte. Dass er noch mal mit dem RWE-Emblem auf der Brust aufläuft, wie er als vermeintlichen Wunsch zum Abschluss äußert, das glaubt weder Grote noch irgendjemand sonst.
Zweieinhalb Jahre trug Dennis Grote das RWE-Trikot und hätte mit der Kapitänsbinde um den Arm den lang ersehnten Drittligaaufstieg realisieren können – eine Heldentat, die ihn nach der langen Essener Profifußball-Abstinenz für immer in die Geschichtsbücher des Vereins befördert hätte. Natürlich bin ich diesbezüglich ein hoffnungsloser Fußballromantiker, doch die üppige Bezahlung – auch Dennis Grotes – bei den vielen Traditionsvereinen im tristen Regionalligaalltag basiert zum Großteil immer noch auf Einnahmen durch die zahlreichen anderen hoffnungslosen Fußballromantiker, die sich mit Dauerkarten, Mitgliedschaften und Fanartikel eindecken. Auch das Ausblenden der moralischen Fan-Ebene macht Grotes Handlungen nicht einen Deut besser. Wohl und Wehe seines Arbeitgebers Rot-Weiss Essen hängt nicht unerheblich vom formulierten Ziel „Aufstieg in die 3. Liga“ ab, die direkten Konkurrenten um den Aufstieg arbeiten diesem Ziel natürlich entgegen, sodass Grote hier auch ganz nüchtern betrachtet seinem Arbeitgeber durch die Aufnahme von Gesprächen während der laufenden Spielzeit bewussten Schaden zugefügt hat – am Ende gewinnt bei dieser dreisten Schmierenkomödie nur der SC Preußen Münster, der den Kapitän des direkten Rivalen aus dem Spiel nimmt, indem er ihn entweder selbst verpflichtet oder dieser auf der Tribüne landet.
Wie geht man als Rot-Weisser nun am besten mit der Enttäuschung um? Indem man Dennis Grote völlig ignoriert und seine gesamte Energie auf die positiven Dinge fokussiert. Rot-Weiss Essen war schon immer größer als einzelne Spieler, Trainer oder Funktionäre. Umso mehr sollten wir wertschätzen, dass Christian Neidhart noch immer als unser Trainer an der Seitenlinie steht, obwohl er im Sommer eine Liga höher in seine Heimat nach Braunschweig hätte wechseln können. Dass Daniel Heber sich bis 2025 an den Verein gebunden hat, obwohl auch er im Sommer mehrere Angebote aus Liga 3 vorliegen hatte. Dass viele Spieler tatsächlich Stolz und Freude empfinden, auf Viertliga-Niveau regelmäßig vor einer fünfstelligen Kulisse Fußball spielen zu können und die Trikots des Deutschen Meisters von 1955 zu tragen. Auf diejenigen, die sich für eine langfristige Entwicklung bei unserem Verein entschieden haben, wartet nun eine schwierige Aufgabe: Jörn Nowak muss im Wintertransferfenster adäquaten Ersatz organisieren, Christian Neidhart muss Hierarchie und personelle Besetzung seiner erfolgreichen Mannschaft anpassen und die Spieler müssen trotz der Störgeräusche eine optimale Vorbereitung auf die Rückrunde angehen. Sportlich mag der Abgang sicherlich schmerzen, doch wenn alle enger zusammenrücken, kann aus dem Negativerlebnis Grote auch eine „Jetzt erst recht!“-Mentalität erwachsen, die uns in der Rückrunde zum lang ersehnten Drittligaaufstieg trägt.