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2022/2023 – 3. Liga

Rot-Weiss Essen – SV Elversberg (1:5)

Deftige 1:5-Auftaktklatsche gegen den Mitaufsteiger.
Mega-Ernüchterung an der Hafenstraße 97a, Rot-Weiss Essen setzte sein Drittliga-Auftaktmatch in den Sand und das in einer kaum für möglich gehaltenen Art und Weise. Unsere Fotos und der Spielbericht sind online.

Vorbericht

Die rot-weisse Sehnsucht nach höherklassigem Fußball äußerte sich im Schlussspurt der vergangenen Saison durch ein Lied über eine Fahrt nach Zwickau. Beim Gedanken an die dritte Liga assoziierte man in Essen zudem illustre Namen wie 1860 München oder Dynamo Dresden. Gedanklich sind einige Fans auch schon beim Derby in Duisburg -die Realität nach dem endlich vollbrachten Aufstieg heißt am Samstag zunächst aber SV Elversberg.

Unfassbare 9.807 Dauerkarten wurden im Vorfeld der Saison abgesetzt, die Tageskarten für das Spiel werden höchstwahrscheinlich auch noch vor dem Spieltag vergriffen sein. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Gegner nun SV Elversberg, Real Madrid oder Ballfreunde Bergeborbeck heißt – der Durst nach Profifußball (und natürlich leckerem Stauder) will im Stadion an der Hafenstraße endlich wieder gestillt werden. Es lohnt sich aber, den wenig namhaften Gegner etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, denn die Sportvereinigung ist der amtierende Meister der starken Regionalliga Südwest. Dabei lief die Vorsaison lange Zeit gar nicht nach Plan.

Aufgrund der eigenen DFB-Pokal Teilnahme (Niederlage gegen Bundesligist Mainz erst im Elfmeterschießen) spielfrei in die Saison gestartet, legte Elversberg am 2. Spieltag mit einer Heimniederlage gegen Kickers Offenbach los und fand sich einen Spieltag später nach einem 2:4 in Ulm am Tabellenende wieder. Bis zur Winterpause konnten die Schwarzweißen kräftig punkten, holten sich aber Niederlagen in Homburg und zum Rückrundenauftakt in Offenbach ab. So stand nach 19 Spielen lediglich Platz 5 mit neun Punkten Rückstand auf die Kickers und acht Punkten auf die dahinter folgenden Ulm und Mainz II, bei einem Spiel weniger, zu Buche.

In der Winterpause wechselte der ehemalige Kapitän des 1. FC Kaiserslautern, Carlo Sickinger, leihweise vom SV Sandhausen nach Elversberg und eine beispiellose Aufholjagd begann, während die Saarländer 14 Siege und 3 Unentschieden aus den letzten 17 Partien holten, um schließlich mit drei Punkten Vorsprung auf den SSV Ulm als Meister der Regionalliga Südwest über die Ziellinie zu gehen. Ein bitterer Beigeschmack war sicherlich das Unentschieden gegen den FSV Frankfurt am vorletzten Spieltag, das den Elversbergern aufgrund der Tordifferenz de facto den Aufstieg sicherte und in einem mehrminütigen Ballgeschiebe ohne Angriffsbemühungen endete, da auch dem Gegner das Remis zum Klassenerhalt genügte. Ein Vorgang, der dem Verein ungewollt bundesweite Aufmerksamkeit bescherte.

Am Ende standen 80 Punkte aus 36 Spielen auf der Habenseite: Eine ordentliche Hausnummer, zumal mit Ulm und Offenbach zwei ehemalige Bundesligisten abgehängt wurden. Bereits die beiden Spielzeiten zuvor schloss Elversberg jeweils als Tabellenzweiter ab und stellt mitnichten einen Überraschungsaufsteiger dar. Seit vielen Jahren kann dank eines Mäzens (mittlerweile in zweiter Generation) eines ortsansässigen Pharmaunternehmens finanziell aus dem Vollen geschöpft werden, daher konnten auch alle Leistungsträger gehalten und der Kader durch höherklassig erfahrene Neuzugänge weiter verstärkt werden.

Neben der festen Verpflichtung des bis dahin ausgeliehenen Carlo Sickinger kommt mit Marcel Correia vom SC Paderborn ein Spieler, der auf 188 Spiele in Liga 2 und sogar eine Saison mit Eintracht Braunschweig in der Bundesliga zurückblicken kann. Der defensive Mittelfeldspieler Thore Jacobsen bringt es auf 146 Drittligaspiele für Magdeburg und Werder Bremen II, Rechtsaußen Jannik Rochelt immerhin auf 24 Einsätze für die Reserve des Bayern München. Die punktuellen Verstärkungen machen die seit 2018 von Horst Steffen trainierte und durch die Kontinuität auf der Trainerbank eingespielte Mannschaft zum nominell stärksten Mitaufsteiger, dem es ganz gelegen kommt, in der neuen Liga etwas unter dem Radar zu fliegen.

Das Spiel am Samstag stellt eine kleine Wundertüte dar: Horst Steffens Mannschaft stellte zwei Jahre in Folge die beste Offensive der Liga und seinen vorherigen Stationen nach zu urteilen ist auch nicht davon auszugehen, dass der Trainer in Liga 3 plötzlich den Mannschaftsbus vor dem Tor parken möchte, wie es noch in der Regionalliga von vielen gegnerischen Teams an der Hafenstraße probiert wurde. Umgekehrt legt Christoph Dabrowski Wert darauf, RWE im Spiel gegen den Ball und in Umschaltsituationen fit zu machen, nachdem die Mannschaft unter der Regie Christian Neidharts von den extrem tief stehenden Gegnern geradezu zu geduldigem Ballbesitzspiel gezwungen wurde.

Einiges spricht dafür, dass RWE mit Jakob Golz im Tor in einer 4-2-3-1-Formation auflaufen wird. Die Viererkette aus dem Saisonschlussspurt mit Herzenbruch, Bastians, Heber und Plechaty wird vermutlich nicht geändert, die Doppelsechs könnte Niklas Tarnat mit Neuzugang Björn Rother bilden, davor könnte Cedric Harenbrock den Vorzug vor dem angeschlagenen Thomas Eisfeld erhalten. Auf den offensiven Außenbahnen ist noch völlig offen, wer das Pendant zum gesetzten Isaiah Young bildet und im Sturm spricht vieles für Ron Berlinski, der sich in der Vorbereitung durch sein unermüdliches und kluges Anlaufen für das geplante hohe Pressing empfohlen hat.
Für die Ersatzbank gibt es seit dieser Woche zwei Kandidaten weniger: Yannick Langesberg wechselt zur TSV Steinbach Haiger und Timur Kesim wird an die SG Wattenscheid 09 ausgeliehen.

Angesichts der Voraussetzungen (ähnlicher Etat, Duell zweier Aufsteiger) wartet ein Gegner auf Augenhöhe und für RWE kann es nur darum gehen, in einer stets sehr ausgeglichenen dritten Liga frühzeitig Abstand zu den Abstiegsrängen herzustellen. Am Samstag um 14:00 Uhr gilt es aber zunächst für alle Fans, den Moment zu genießen, vor ausverkauftem Haus nach vierzehn Jahren und fast zwei Monaten die Rückkehr in Liga 3 mitzuerleben. Es liegt an uns, auch in Liga 3 den Unterschied auszumachen und das Team in den vielen erwartbar engen Spielen zum Sieg zu schreien.

Nur der RWE!

Spielbericht

Essen gegen Elversberg erzgebirgisch brasilianisch! 1:5-Auftaktklatsche gegen den Mitaufsteiger

Mega-Ernüchterung an der Hafenstraße 97 A, Rot-Weiss Essen setzte sein Drittliga-Auftaktmatch in den Sand und das in einer kaum für möglich gehaltenen Art und Weise. Schon nach 26 Minuten lagen die Gäste mit 4:1 vorne, kurz vor dem Ende markierten sie den Treffer zum 5:1 Endstand aus ihrer Sicht. Ein rabenschwarzer Tag für Rot-Weiss, das auch noch einen Elfmeter vergab und in Ron Berlinski seinen einzigen Torschützen hatte. Hier erfolgt der Versuch einer Aufarbeitung der Partie, nach der unser Herzensverein vom Tabellenende grüßt.

Das Personal 

RWE begann annähernd so wie beim abschließenden Test bei Alemannia Aachen. Lawrence Ennali startete anstelle von Aurel Loubongo. So stand Jakob Golz im Tor, Felix Herzenbruch, sein Namensvetter Bastians, Daniel Heber und Sandro Plechaty bildeten die Viererkette davor. Niklas Tarnat und Björn Rother sollten die Doppel-Sechs stellen, wobei Rother offensiver stand als Tarnat. Cedric Harenbrock wurde auf der Zehn eingerahmt von Isi Young und Lawrence Ennali auf den offensiven Außen, Ron Berlinski begann als Stoßspitze.

Schon nach 36 Minuten war Essen zum ersten Wechsel gezwungen. Ausgerechnet Ron Berlinski, bis dato der einzige RWE-Akteur, der wirklich on Fire schien, fasste sich an die Hüfte und wich Simon Engelmann. Es bleibt zu hoffen, dass Berlinski sich nicht ernsthaft verletzt hat. Moritz Römling kam zur Pause, RWE lag bereits 1:4 hinten, und sollte vor Felix Herzenbruch die linke Seite beackern, wodurch Isi Young zentraler spielte. Nach gut einer Stunde löste Dabrowski die Viererkette auf und ging auf Dreierkette, daher wich Sandro Plechaty Thomas Eisfeld. Nach 71 Minuten folgte noch ein Doppelwechsel. Loubongo und Dürholtz ersetzten Ennali und Rother positionsgetreu. Damit nahm RWE erstmals in seiner Vereinsgeschichte in einem Pflichtspiel in der Liga fünf Wechsel vor. Ähnlich historisch wie die 1:5 Klatsche, die Rot-Weiss 18 Jahre zuvor gegen Erzgebirge Aue schon einmal erlitten hatte.

Die Pluspunkte 

Das waren ganz eindeutig die RWE-Fans. Schon vor dem Spiel herrschte auf den prall gefüllten Rängen eine tolle Atmosphäre und Stimmung. Diese ließen sich die Fans trotz des Debakels auf dem grünen Rasen nicht verderben und feierten ihr Team bis zum und auch noch nach dem Schlusspfiff. Das war große Klasse und es bleibt zu hoffen, dass die Anhänger von ihrer Mannschaft demnächst Ähnliches erleben.

Die Knackpunkte 

Wo fängt man da an? RWE zeigte brasilianische Anleihen und kassierte zwischen der 7. und 26. Spielminute in nur 19 Zeigerumdrehungen 4 Gegentore. Mit genau demselben Ergebnis hatte man 18 Jahre zuvor sein Auftaktspiel gegen Erzgebirge Aue verloren. Wie kam es dazu, nachdem Essen zuvor eine große Euphorie geschürt hatte und mit der Intensität und den Inhalten der Vorbereitung zufrieden gewesen war? Nun, diese geplanten Inhalte bekam Rot-Weiss nicht auf den Platz.

Das Pressing funktionierte nicht und die Raumaufteilung überraschte, und zwar negativ. Schon beim 0:1. Ein langer Ball, den Elversberg in den Rückraum ablegte und dann wieder in den 16er spielte, degradierte Essen zu Zuschauern. Erst bekam man den zweiten Ball nicht, dann funktionierte die In-Box-Verteidigung, wie man es auf Neudeutsch nennt, überhaupt nicht. Kevin Koffi nahm den Ball mit dem Rücken zum Tor an, drehte sich und schoss ein. RWE schaute ehrfürchtig zu und war schon nach 7 Minuten in Rückstand. Dann wurde es richtig kurios und richtig bitter. Nur zwei Minuten später stibitzte Ron Berlinski Gästekeeper Kristof die Kugel und wurde von diesem im 16er gelegt. Kristof hatte wohl beide Hände am Ball, als Berlinski ihn wegspitzelte, sodass RWE sich über den Elferpfiff von Schiedsrichter Oldhafer freuen konnte.

Aber nur kurz, denn Cedric Harenbrock setzte Essens Elfermisere fort, Kristof fischte seinen Schuss aus dem rechten Eck und auch der Nachschuss, das Tor schien gähnend leer, fand den Weg nicht ins Netz, weil Cedi den Ball nur schlecht traf und Kristof erneut dazwischen kam. Eine Minute später ließen Daniel Heber und Felix Bastians in Co-Produktion die Kugel einfach passieren und Koffi, zarte 36 Jahre alt, spritzte zum Ball und lupfte diesen aus fast unmöglichen Winkel ins lange Essener Eck über Jakob Golz hinweg. Wie bitter war das denn? 0:2 statt 1:1.

Nach Ron Berlinskis schnellem Anschlusstreffer zum 1:2 (13.), Isi Young hatte sich einmal energisch durchgesetzt und aufgelegt, nahm Rot-Weiss sich schnell wieder selbst die Chance auf mehr. Zunächst zeigte Jakob Golz gegen den im Rücken von Daniel Heber durchgebrochenen Luca Schnellbacher noch eine starke Parade, dann aber wurde im Aufbauspiel der Ball leicht verloren, Koffi legte auf für Sturmpartner Schnellbacher, der den Ball aus 13 Metern vollkommen unbedrängt einnicken konnte (23.).

RWE konnte weder die Bälle in die Box verhindern, noch diese darin verteidigen. Noch krasser war das 3 Minuten später. Felix Herzenbruch „rettete“ den Ball vor Überschreiten der Außenlinie und hielt ihn für den Gegner im Spiel und Elversberg bedankte sich mit der nächsten Flanke und Schnellbachers nächsten Kopfballtreffer. Es war nicht mehr zu fassen. Bis zur Pause kühlte sich die Partie dann ab, in der zweiten Halbzeit kam Rot-Weiss zu im Grunde keiner echten Torchance, und die Hoffnungen auf eine verrückte Wende schwanden leider recht schnell. Denn zu abgeklärt agierten die Gäste und waren fast immer einen Schritt schneller.

Ausdruck dieser größeren Handlungsschnelligkeit waren auch vier Gelbe Kartons für Essener Spieler (Heber, Herzenbruch, Plechaty, Rother). Björn Rother bekam das Spiel im Mittelfeld nicht in die gewünschten Bahnen gelenkt und stand kurz vor einem Platzverweis. Überhaupt gelang nur den Gästen das, was Essen spielen wollte, nämlich aggressives Pressing, hohe Intensität, die Fehler beim Gegner erzwang und starke Raumaufteilung.

Gefühlt landeten 90% der zweiten Bälle bei Elversberg. Beim Treffer zum 5:1 Endstand düpierten sie Essen erneut, drei Rot-Weisse konnten einen Gästespieler auf dem rechten Flügel nicht stoppen, dieser zog unbehelligt Richtung RWE-Tor und bediente einen Mitspieler, der Golz erneut das Nachsehen gab. Kurz darauf verhinderte Essens Nummer 1 mit vollem Einsatz sogar das halbe Dutzend an Gegentoren. Höchstens beim 0:2 war Golz etwas mit in der Verlosung und stemmte sich ansonsten gegen das Debakel. Zur RWE-Leistung fällt einem ansonsten nur der Satz mit x ein, denn das war wohl nix.

Der Aufreger

Im letzten Spieldrittel erregten sich die RWE-Fans über Elversbergs Verteidiger Robin Fellhauer, der nach einem Zweikampf mit Felix Herzenbruch gut zwei Minuten liegend den Rasen bevölkerte. RWE spielte weiter, nach Ende der Situation wurde Fellhauer dann auf dem Rasen behandelt und war danach wieder munter. Die Hafenstraße tobte, vor allem weil Schiedsrichter Oldhafer den Elversberger nicht vom Feld schickte. Das war jedoch der Regel nach korrekt, denn Felix Herzenbruch hatte für die Situation, in der zunächst der Vorteil für Elversberg gegolten hatte, Gelb gesehen. In diesem Fall muss ein Spieler nach einer Behandlung das Spielfeld nicht erst verlassen. Ansonsten hatte Oldhafer nicht unbedingt eine klare Linie, beurteilte einige Situationen sehr kleinlich und andere wiederum sehr großzügig. Beim Elferpfiff für RWE lag er daneben (siehe oben).

Fazit

Ein total gebrauchter Tag für RWE. Statt des ersehnten guten Starts wurde es eine derbe Klatsche, die sich Essen zu Christoph Dabrowskis Pflichtspiel-Debüt einfing. Diese war auch in der Höhe verdient, Elversberg war extrem gallig, gnadenlos effizient und erstickte die Hafenstraßen-Euphorie bereits im Keim. Es gibt viele Baustellen, die RWE bis zu seinem Derby-Auftritt in Duisburg am übernächsten Freitag zu bearbeiten hat. Die Rot-Weissen wirkten fast überrascht und ein wenig ratlos über das überfallartige Auftreten der Gäste. So wollte man eigentlich selber spielen. So leuchtet sofort die rote Laterne an der Hafenstraße 97a.

Woran soll man sich aufrichten? Zum Beispiel daran, dass Essens Heimpremiere in der Vorsaison mit 1:4 gegen den SV Straelen verloren gegangen war und RWE auch in dieser Partie fast alles vermissen lassen hatte. Ein Fingerzeig auf die weitere Saison war das aber nicht. Jetzt heißt es, die Fehler analysieren, richtige Schlüsse ziehen und nach vorne schauen. Die Pause kommt daher ganz gut. Danach gehen wir mit voller Kraft ins Derby!

NUR DER RWE!

Sven Meyering

Fotos by M.R.