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2022/2023 – 3. Liga

Rot-Weiss Essen – FC Ingolstadt (2:2)

Vor dem Spiel hätte wohl jeder RWE-Fan das Unentschieden unterschrieben. Am Ende war es nach langer 2:0-Führung ärgerlich, dass Rot-Weiss den Aufstiegsfavoriten aus Ingolstadt nicht geschlagen hat. Der Spielbericht und die Fotos sind online.

Vorbericht

Zahlenspiele an der Hafenstraße – Drei Punkte gegen die Nummer Zwei der Dritten Liga

Kann ein haushoher Favorit zu einem guten Zeitpunkt kommen? Wahrscheinlich ist dies selten der Fall. Doch nach dem versiebten Saisonstart von Rot-Weiss Essen kommt der FC Ingolstadt zu einem extrem ungünstigen Zeitpunkt der Saison an die Hafenstraße. Rot-Weiss ist weiterhin auf der Suche nach dem passenden Ansatz, um den ersten Drittligasieg seit 14 Jahren einzufahren.

Mit dem FCI kommt, man mag es kaum glauben, der große Fußball an die Hafenstraße, denn das letzte Jahrzehnt war für die Schanzer extrem erfolgreich, so spielte Ingolstadt ab 2015 sogar zwei Jahre in der Bundesliga. Zumindest in die Zweite Liga wollen die Bayern gern schnellstmöglich zurück, weswegen sie ein Ausrutschen beim schlecht gestarteten RWE unbedingt vermeiden wollen. Die drei Punkte wird Rot-Weiss dennoch nicht verschenken.

Auch dieses Wochenende wartet eine schwierige Aufgabe.

Die rot-weisse Personallage und taktische Optionen

Viele Nachrichten prasseln momentan auf die Fans ein. Lawrence Ennali, ein Unruheherd der letzten Spiele, musste das Training in dieser Woche verletzt abbrechen, eine genaue Diagnose steht allerdings noch aus. Björn Rother musste im Signal-Iduna-Park ebenfalls verletzt ausgetauscht werden und konnte zuletzt nicht mittrainieren. Auch Felix Bastians war nicht bei jeder Trainingseinheit dabei. In allen genannten Fällen ist nicht klar, ob sie am Samstag auflaufen können, sodass Christoph Dabrowski möglicherweise zu wechseln gezwungen ist. Allerdings tun sich auch andere Baustellen auf.

Ganz sicher nicht dabei ist Meiko Sponsel. Dies trifft RWE ganz besonders bitter, da der 20-jährige neben Ron Berlinski der bislang stärkste Neuzugang ist. Er hat in den letzten beiden Spielen von Beginn an auf dem Platz gestanden und seine Seite zu gemacht. Da Sponsel eine Meniskusverletzung auskurieren muss, wird er höchstwahrscheinlich nicht mehr bis zur frühen Winterpause auf dem Platz stehen. Logischer Ersatz ist Sandro Plechaty, der hoffentlich ebenfalls von der defensiveren Ausrichtung der Mannschaft profitiert.

Es ist davon auszugehen, dass Dabrowski gerade gegen Ingolstadt der defensiven 5-4-1 Ausrichtung treu bleibt, die gegen Dortmund angewandt wurde. RWE zeigte in dieser Konstellation den stabilsten Auftritt in dieser Saison und die Qualität der Schanzer regt nicht zum Übermut an. Auch hier wird der Trainer knifflige Fragen klären müssen. So bekam Simon Engelmann beim letzten Mal den Vorzug vor Ron Berlinski, dessen aggressive Spielweise jedoch ebenfalls dringend gefragt ist, sodass der Coach hier vor einer schwierigen Entscheidung steht.

Auch Oguzhan Kefkir zeigt sich bei all seinen Einwechslungen topmotiviert, sodass die Belohnung mit einem Startelfplatz ebenfalls überfällig ist. In der Mittelfeldzentrale entscheidet sich, ob Niklas Tarnat wieder beginnen darf, oder ob Thomas Eisfeld zurückkehrt, dessen ordnende Hand im Spielaufbau im Moment sehr wichtig ist. All diese Spekulationen erübrigen sich jedoch, sollten einer oder mehrere der angeschlagenen Spieler tatsächlich ausfallen.

Ein Einsatz von Luca Dürholtz ist in dieser Woche unwahrscheinlich geworden. Der Reviersport vermeldet, dass der Mittelfeldspieler sich aufgrund geringer Einsatzzeiten umorientiert und nach Elversberg zurückkehren möchte. Sollte dies richtig sein, wird Dürholtz wahrscheinlich keine Rolle mehr spielen.

Überhaupt sieht sich das Team um Jörn Nowak intensiv nach Verstärkungen um. Hier werden insbesondere Spieler in der Innenverteidigung, im zentralen Mittelfeld und im Sturm gehandelt. Mit einem Vollzug wird allerdings erst nach dem Spiel gegen Ingolstadt gerechnet, sodass neue Gesichter erst in Bayreuth erwartet werden.

Darf Ron Berlinski wieder von Beginn an aufs Feld?

Der Gegner: FC Ingolstadt (Platz 2 / 4 Spiele / 3 Siege / 1 Unentschieden / 6:0 Tore)

Der FCI macht beim Thema Wiederaufstieg ernst und nimmt in der Liga im Gegensatz zu anderen vermeintlichen Aufstiegsanwärtern von Beginn an eine starke Position ein. Besonders namhaft ist hier der Sturm. Mit Patrick Schmidt wechselte zu Zweitligazeiten ein Stürmer nach Ingolstadt, der auch in Liga 3 geblieben ist, und bereits zwei Treffer erzielt hat. Noch bekannter ist Sturmpartner Pascal Testroet, der nicht nur ein Drittligaveteran mit annähernd 200 Einsätzen und dabei 59 Toren ist, sondern auch in der 2. Bundesliga 47 Tore erzielt hat.

Der alles überragende Spieler des Saisonstarts war jedoch Eigengewächs Merlin Röhl, der an der Hälfte der sechs Ingolstädter Treffer beteiligt war. Die Qualität des gefährlichen Offensivspielers wurde jedoch auch im Oberhaus bekannt und der SC Freiburg konnte sich in dieser Woche gegen Borussia Mönchengladbach durchsetzen und verpflichtete das hoffnungsvolle Talent für drei Millionen Euro Ablöse, sodass Röhl gegen RWE schon einmal nicht auflaufen wird. Angesichts der verbleibenden Spieler ist dies allerdings nur ein schwacher Trost.

Prunkstück der Ingolstädter ist nämlich die sattelfeste Abwehr, die nach vier Spielen noch mit blütenweißer Weste dasteht. Der Zweitligaerfahrene Tobias Schröck ist der Kapitän der Mannschaft und räumt vor der Viererkette ab. Dahinter stehen Visar Musliu, der für Kölns Gegner Fehervar FC bereits europäisch spielte, und Calvin Bröckelmann, der aus Lübeck nach Bayern wechselte. Auf den Außenbahnen verstärkte sich der FCI mit Marcel Costly von Waldhof Mannheim. Auf der linken Seite spielt Dominik Franke bereits sein drittes Jahr für Ingolstadt.

Egal ob Simon Engelmann oder Ron Berlinski auf dem Feld stehen, man kann davon ausgehen, dass der FCI den Stürmern nicht viel Raum zur Entfaltung geben wird. Falls sich Chancen ergeben, müssen diese sitzen.

Daniel Heber zeigte sich in Dortmund in aufsteigender Form.

Fazit

Wir müssen nicht lange um den heißen Brei herumreden, der FCI ist haushoher Favorit in diesem Spiel an der Hafenstraße, bringt er doch eine sehr viel höhere fußballerische Qualität auf, als sie die bisherigen Gegner hatten. Darüber hinaus kommt das Team mit breiter Brust, denn nur die 60er waren bisher erfolgreicher und Ingolstadt hatte mit dem 1. FC Saarbrücken und dem VfL Osnabrück durchaus schon Gegner, die im oberen Segment zu erwarten sind.

Am Ende dürfen wir Essener jedoch nicht in Ehrfurcht erstarren, denn kaum jemand erwartet von Rot-Weiss, dass sie hier etwas reißen können. Das kann eine Chance sein, befreiter als zuletzt aufzuspielen, dem Spiel vielleicht eher einen Pokalcharakter zu geben. Dann gilt die alte Regel, dass im Pokal alles möglich ist.

Für jeden Spieler bei RWE ist es zusätzliche Motivation, sich als ersten Torschützen gegen Ingolstadt in dieser Saison einzutragen, und Kapitän Daniel Heber sagte es unter der Woche in einem Interview, dass es einfach mal schön wäre, in Führung zu gehen und sich ein wenig tragen zu lassen. Warum nicht gegen Ingolstadt damit beginnen?

Hendrik Stürznickel

Spielbericht

RWE stellt Ligatauglichkeit unter Beweis, aber lässt sich den Sieg rauben! Essen spielt 2:2 gegen Ingolstadt!

Am Ende war es nicht Fisch und nicht Fleisch. Fußball-Drittligist Rot-Weiss Essen zeigte gegen den Aufstiegsfavoriten aus der Audi-Stadt seine beste Saisonleistung, gab aber nach der verdienten 2:0-Pausenführung auf der Zielgeraden den Sieg aus der Hand. Vor dem Spiel hätte man ein Remis unterschrieben, danach unterschrieb allerdings Ingolstadt gerne den Punktgewinn in Essen.

Das Personal

Christoph Dabrowski spielte wie in Dortmund in einem 5-4-1 System, das allerdings offensiv flexibler war als in der Vorwoche. Jakob Golz hatte Daniel Heber, Felix Bastians und dessen Namensvetter Herzenbruch in einer Dreierkette vor sich. Moritz Römling startete auf Links, für den leider schwerer Verletzten Meiko Sponsel bekam Oguzhan Kefkir seine Startchance. In der Zentrale vertrat Thomas Eisfeld den ebenfalls verletzten Jörn Rother an der Seite von Niklas Tarnat. Offensiv auf den Außen wirbelten Lawrence Ennali und Isi Young, wobei Isi häufig in die Mitte zog und fast eine zweite Spitze neben Stoßstürmer Simon Engelmann gab.

Insgesamt wechselte RWE lediglich dreimal. Es waren schon 73 Minuten absolviert, als Ron Berlinski im Sturmzentrum Simon Engelmann ersetzte. Nach 82 Minuten gab es einen Doppelwechsel. Für den ausgepumpten und angeschlagenen Lawrence Ennali und Moritz Römling kamen Sandro Plechaty und Sascha Voelcke, der sein Saisondebut feierte.

Insgesamt griff Dabros System und die RWE-Spieler funktionierten lange Zeit ausgezeichnet auf dem Feld. Erst gegen Ende war das nicht mehr der Fall und das kostete RWE einen sicher geglaubten Sieg. So ist die Dritte Liga.

Die Pluspunkte

Die wohl 13.450 RWE-Anhänger unter den insgesamt 13.507 Zuschauern sahen sehr viele gute Dinge bei ihrer Mannschaft. RWE schenkte den bislang mit einer weißen Gegentorweste ausgestatteten Gästen gleich zwei Buden ein. Nach 10 Minuten brachte Felix Bastians per Handelfmeter seine Farben in Führung. Endlich traf Essen somit auch einmal wieder vom Punkt. Der Treffer zum 2:0 nach 32 Minuten war ein toller Spielzug. Thomas Eisfeld, Dreh- und Angelpunkt des RWE-Spiels, spielte einen langen Diagonalball auf Moritz Römling, sein Gegenspieler verschätzte sich kapital und öffnete ohne eine Chance, den Ball zu erreichen seine rechte Seite. Römling verlängerte per Kopf auf den nun völlig freistehenden Isi Young, der beherzt mit der Kugel davonzog und den freien Simon Engelmann vor dem Gästetor bediente. Engel sagte Danke und schob mit abgeklärter Lässigkeit die Kugel gegen die Laufrichtung von Schlussmann Funk zum 2:0 ein.

Überhaupt Engelmann, es war bereits sein drittes Saisontor und Engel behauptete die Kugel im Spiel in der Luft und auf dem Boden. Wer noch immer glaubt, Engelmann habe keine Tauglichkeit für Liga 3, sah sich gründlichst Lügen gestraft. Auch die anderen RWE-Spieler erledigten ihren Job mit großer Hingabe. Die Abwehrkette ließ kaum etwas zu und wenn etwas durchkam, war Jakob Golz zur Stelle. Mehrfach hielt Golz überragend und ließ seinen Patzer aus dem Dortmund-Spiel vergessen. Über die Außenbahnen wirbelte RWE das ein oder andere mal gefährlich, Ingolstadts Außenverteidiger hatten so großen Respekt vor den pfeilschnellen Essener Außen Young und Ennali, dass sie mehrfach den Ball überhastet ins Aus schlugen. Läuferisch und kämpferisch zeigte sich RWE streckenweise überragend, Oguzhan Kefkir sei hier stellvertretend genannt, Ötzi ackerte für Zwei. Diese Leistung riss die Zuschauer förmlich von den Sitzen, jeden Zweikampf, den die RWE-Spieler vor der Rahn bzw. Haupttribüne gewannen, wurde mit Standing Ovations gefeiert. Die erste Halbzeit zeigte einen bärenstarken RWE-Auftritt, dass Essen häufig einen Schritt schneller war als die Gäste, belegten auch drei gelbe Kartons, die Schiedsrichter Lars Erbst den Ingolstädtern präsentierte. Thomas Eisfeld regierte das zentrale Mittelfeld und wurde von Niklas Tarnat formidabel unterstützt. Bei so vielen guten Dingen fragt man sich unwillkürlich, warum es nicht zu einem Essener Dreier reichte?

Die Knackpunkte

Gut 60 Minuten lang spielte RWE souverän sein Spiel und zu Beginn der zweiten Hälfte konnten sich die Essener mehrfach spielerisch befreien, versäumten es aber, die Konter konsequent zu Ende zu spielen und mit dem möglichen 3:0 den Deckel drauf zu machen. Ingolstadt stand ohnehin auf den Außen hoch, nach dem 0:2-Rückstand noch höher und Lawrence Ennali konnte immer wieder im Rücken seines Gegenspielers entkommen. Am letzten finalen Pass muss RWE aber noch arbeiten. Die Wende auf dem Feld deutete sich nach 70 Minuten an, denn Rot-Weiss hatte aufgrund seines enorm lauffreudigen Spiels viele Körner eingebüßt. Während Ingolstadt von der Bank hohe Qualität nachlegen konnte, vor allem den zentralen Ballschlepper Tim Civeja, verlor RWE den Zugriff, als Thomas Eisfeld müder wurde und Ennali als stetiger Unruheherd angeschlagen runter musste. Der Anschlusstreffer nach 84 Minuten war vermeidbar, denn eigentlich spielte der SVI in dieser Situation nur einen Chipball nach Schema F in den Essener Strafraum, doch RWE wirkte bei der Verteidigung der Szene etwas übermotiviert und verlor die Ordnung, der Däne Thomas Bech sagte Danke und verkürzte. Es war, als habe man Essen nun den Stecker gezogen, denn nun ließ RWE die zuvor in jeder Szene vor dem Anschlusstreffer spürbare Entschlossenheit vermissen, stand zu tief und konnte vorne keine Bälle mehr festmachen. Ingolstadt spielte nur noch Brechstange und war bereits kurz vor dem Ende der regulären Spielzeit erneut erfolgreich, wieder durch Bech, der eine Kopfballablage ebenfalls per Kopf vollendete. RWE hatte die Flanke nicht verhindern und das Kopfballduell in der Box nicht gewinnen können, Bech erfreute sich dann totaler Freiheit. Die Gegentreffer waren überflüssig und folgenschwer. Die Schlussphase offenbarte, dass Essens Verantwortliche nicht zu Unrecht noch Spieler nachlegen möchten, um auch adäquat wechseln zu können.

Die Aufreger

Es gab zwei Elfmetersituationen, die für Gesprächsstoff sorgten. Nach 9 Minuten zeigte Schiedsrichter Erbst für RWE auf den Punkt. Simon Engelmann hatte aus der Drehung geflankt, Patrick Schmidt das Leder mit der Hand gespielt. Ingolstadt sah hierin eine klare Fehlentscheidung, denn Schmidts Arm sei angelegt gewesen. Na ja. Eine Bewegung weg vom Körper gab es schon und eine klare Fehlentscheidung sieht anders aus. Tief in Hälfte zwei hatte Ron Berlinski dann die Chance zum 3:0. Römling hatte abgezogen, der Schuss geriet zur Vorlage auf Berlinski, der sich im Infight um seinen Gegenspieler wand und den Ball mit der Fußspitze Richtung Tor brachte. Da war zu wenig Schmackes hinter und Funk konnte das Leder abwehren. Allerdings wurde Berlinski hierbei ordentlich am Trikot gerupft, die Pfeife blieb aber stumm. In der Summe war ein Elfer für Essen wohl salomonisch.

Fazit

Eine fantastisch füreinander kämpfende RWE-Mannschaft und ein fantastisch unterstützendes Publikum, das das Spiel auf den Rängen förmlich er- und nachlebte, hätten den Sieg mehr als verdient gehabt. Das rot-weisse Team widerlegte auch die These, es sei nicht ligatauglich. Dafür war der Auftritt gegen ein Top-Team der Liga schlichtweg zu gut. Die Hafenstraßen-Besucher waren sich im Grunde einig, mit einer solchen Leistung steigst du nicht ab. Darin liegt natürlich auch ein Knackpunkt, denn das, was Essen in dieses Match investiert hatte, war gigantisch und die Ausbeute nach diesem Spielverlauf mager. Immerhin blieb ein Punkt im Stadion an der Hafenstraße und Ingolstadt erzielte in der dreiminütigen Nachspielzeit nicht auch noch den Siegtreffer. So schaffte Werder Bremen, ein RWE freundschaftlich verbundener Verein, an diesem Bundesligawochenende nach 0:2-Rückstand noch einen 3:2-Sieg in Dortmund und erzielte alle Treffer in den letzten 6 Minuten. RWE gelang aber nicht der ersehnte Befreiungsschlag im Tabellenkeller. Dieser soll am nächsten Samstag in der Wagnerstadt Bayreuth gelingen. Dann hoffen alle RWE-Fans auf einen ähnlich leidenschaftlichen Auftritt wie gegen die Audistädter und dann auch Konzentration bis zum Abpfiff.

Sven Meyering

Fotos by Patrick