Halb-Spielbericht
Engel, Tod und (Bier)-Teufel – RWE-Tross reiste nur für eine Halbzeit nach Zwickau
Am Ende von 45 aufregenden Minuten herrschten bei Rot-Weiss Essen und seinem Anhang sehr gemischte Gefühle vor. Auf dem Weg in die Kabine erhielt Schiedsrichter Nicolas Winter aus dem Kreis der Zwickauer Sponsoren eine erfrischende Bierdusche, „Lohn“ dafür, dass Winter die Heimfans kurz zuvor auf die Palme gebracht hatte. Daraufhin kamen die Teams gar nicht mehr auf den Rasen zurück. Winter brach die Partie aufgrund des Eklats rigoros ab. Statt eines Halbspielberichts kommt hier der Versuch einer Aufarbeitung.
Was waren die großen Aufreger des Spiels? Zwickau monierte gleich zwei Elfmeter. Nach 6 Minuten stand Rios Alonso schlecht zum Ball und konnte die Innenbahn für seinen Gegenspieler nicht zumachen. Rios traf den Gegner dann beim Versuch den Ball wegzuspitzeln klar von hinten. Alle erwarteten den Elferpfiff, auch der junge Spanier, der das Spielen sogar einstellte. Winter entschied auf Weiterspielen. Alonso traf Eichinger knapp vor der Box, es hätte Freistoß für Zwickau aus sehr guter Position geben müssen.
Gerne wird so etwas aufgrund dessen, dass Eichinger in den 16er stürzte, auch mit einem Elfmeter geahndet. Gar nicht zu pfeifen war hingegen eine klare Fehlentscheidung. Glück für RWE. Dann gab es eine Pingpong-Situation infolge derer Felix Herzenbruch der Ball an den angelegten Arm sprang. Das war im Strafraum, aber der Arm vergrößerte nicht die Körperfläche. Hier war es korrekt, nicht auf Strafstoß für Zwickau zu entscheiden.
Dann überschlugen sich kurz vor dem Halbzeitpausen-Schlusspfiff die Ereignisse. Clemens Fandrich hatte mit seiner besten Aktion einen Zuckerpass auf Isi Young geschlagen, der US-Boy hätte dem Tor frei entgegen ziehen können, ging dann aber zu Boden. Nils Butzen hatte Isi nur leicht getroffen, doch bei Youngs Tempo reichte das für einen Sturz. Winter entschied auf Notbremse und gab Butzen glatt Rot. Vertretbar, ein weiterer Verteidiger stand zwar noch in der Nähe, hätte aber wahrscheinlich nicht mehr eingreifen können.
Den folgenden Freistoß blockte Zwickaus hochspringende Mauer, Gomez aber wohl mit vom Körper abgewinkeltem Arm. Winter entschied sofort auf strafbares Handspiel, Gelb für Gomez und Strafstoß für Essen. Die GGZ-Arena kochte. Simon Engelmann schnappte sich das Leder, blieb im Gegensatz zu seinen letzten Elfmetern eiskalt und verlud Brinkies im Tor gekonnt. Großer Jubel beim RWE-Anhang, denn das Momentum des Spiels war nun klar auf Essener Seite, zumal die zweiten 45 Minuten gegen ein schon zuvor wackelndes Zwickau in Überzahl bestritten werden konnten. Oder besser gekonnt hätten.
Engels Tor brachte Zwickau dem Liga-Tod wieder ein Stück näher, Grund genug für einige Anhänger und insbesondere einen Sponsor des Vereins, vom Teufel geritten zu werden. Aus den Essener Fanblöcken war bestens zu sehen, dass die auf dem Weg in die Kabine befindlichen RWE-Spieler und Trainer Christoph Dabrowski nicht nur Liebkosungen, sondern auch Bierduschen ausgesetzt waren. Das Schiedsrichtergespann verharrte daher zunächst einige Meter entfernt, ging dann weiter. Dort gab es dann am Eingang zum Kabinentrakt die eingangs erwähnte Bier-Attacke.
Hauptverantwortlicher, ein Sponsor des Vereins. Dieser war auf den TV-Bildern gut zu sehen, der Ordnungsdienst handelte auch sofort und machte den Mann dingfest. Dennoch muss sich Zwickau den Vorwurf gefallen lassen, in dieser nahezu nicht geschützten Zone und großer Nähe der Fans zu den Akteuren, das Schiedsrichtergespann nicht besser geschützt oder im wahrsten Sinne des Wortes abgeschirmt zu haben. Im alten Georg-Melches-Stadion war es wegen ähnlicher räumlicher Verhältnisse früher Gang und Gebe, dass Essens Ordner bei hitzigen Partien Regenschirme bereit hielten und in Form einer römischen Schildkröte Schutzschilder in dieser sensiblen Zone boten. Die Anekdote beweist, Finger-Pointing auf Zwickau ist von Essener Seite nicht angesagt, solche Dinge sollten auf keinen Fall passieren, doch Idioten, die über die Stränge schlagen gab und gibt es immer wieder.
Schiri Winter war das Ganze genug und teilte den beiden Parteien mit, dass er nicht mehr anpfeifen und darüber nicht diskutieren werde. Zuvor war es schon innerhalb des Kabinengangs hitzig geblieben. Zumindest Essens Thomas Eisfeld wurde nach einem Wortgefecht mit Mitgliedern des Ordnungsdienstes körperlich angegangen, wobei es bei rustikalem Rempeln geblieben sei. Das verriet Essens neuer sportlicher Leiter Christian Flüthmann den Medien. Zwickaus Chef Frank Fischer distanzierte sich eindeutig vor der Bierdusche und äußerte auch Verständnis für den Referee.
Dennoch hofft Fischer auf ein Wiederholungsspiel, damit es eine sportliche Entscheidung geben könne. In dieser Situation hätten Essener Verantwortliche sich wahrscheinlich ebenso geäußert. Fischers Hoffnung ist aber aussichtslos.
Die DFB-Spielordnung sieht im Falle eines Abbruchs vor, dass das Spiel für die Partei als mit 0:2 verloren gewertet wird, der der Abbruch anzulasten ist. Der Täter ist nicht nur Zwickauer Anhänger, sondern wie gesagt sogar Sponsor, das bestätigte der FSV. RWE werden die Punkte also am Grünen Tisch zugesprochen werden, zumal eine Wiederholung des Spiels schon deshalb ausgeschlossen erscheint, weil Zwickaus faktische Unterzahl damit aufgehoben und der FSV sogar einen Vorteil ziehen könnte. Wiederholungsspiele kommen nur bei höherer Gewalt wie bei Abbrüchen durch extreme Wetterlagen in Frage.
Der RWE-Anhang, der insgesamt gut 900 Kilometer reisen und dafür gerade einmal 45 + 4 Minuten Fußball geboten bekommen hatte, reagierte mit gemischten Gefühlen. Spätestens, als zu sehen war, dass die Betreuer beider Teams die Bänke leer räumten und das Equipment einsackten schwante passend zum Zwickauer Wappen den Fans der Abbruch. Als dieser dann immer gewisser wurde, gab es auch aus Essens Blöcken Unmutsäußerungen, die dem DFB galten. Eine ganz kurze Zeit solidarisierten sich die Fankurven des FSV und von RWE dabei. Zu Gesängen wie „Ihr macht unseren Sport kaputt!“, gemeint waren die Verbände mit ihren Regeln, sollte gesagt werden, dass wir hier auf einem sehr schmalen Grat wandern. Einigen ist ein Spielabbruch wegen einer Bierdusche zu viel.
Aber wo ziehen wir hier die Grenze? Muss noch eine Backpfeife dazu kommen? Auch der Bierwurf war bereits ein klarer und deutlicher Angriff, es wurde die Grenze halt überschritten. Zudem sollte über die Außenwirkung nachgedacht werden. Wo soll die pfeifende Zunft noch Nachwuchs für den Jugend-und Amateurfußball generieren, wenn man schon bei den Profis solche Dinge zu befürchten hat? Ein Tag zuvor wurde auch in der ersten Liga der Niederlande ein Spiel wegen eines sehr vergleichbaren Vorfalls abgebrochen. Den Sport kaputt machen eben auch Leute, die einfach nicht begreifen können und wollen, dass Fußball-Stadien keine rechts-und regelfreien und auch keine wertfreien Räume sind. Wir Essener sind da gebrannte Kinder. Am Ende steht die Kollektivstrafe für alle, weil einzelne Idioten sich nicht im Griff haben. Traurig aber wahr.
So nehmen wir den surrealsten Auswärtssieg der Vereinsgeschichte, der wegen der Terminenge der Liga alsbald von der Sportgerichtsbarkeit verifiziert werden wird, sehr ambivalent auf. Die wahrscheinlichen drei Punkte helfen RWE gewaltig, sich im Tabellenkeller vorentscheidend abzusetzen. Doch auf diese Weise gewinnt niemand gerne eine Partie.
Was in Zwickau passierte, geht alle an. Denn es kann immer und überall wieder passieren. Die Fankurven der Republik sind aufgerufen, über einen Kodex des Verhaltens zu diskutieren und diesen dann zu etablieren.
Nur der RWE
Sven Meyering