Kategorien
2023/2024 – 3. Liga

Hinrunden-Bilanz 2023/24

Nach der noch nicht ganz kompletten Hinrunde und frisch gestarteten Rückrunde der Drittligaspielzeit 2023/24 glänzen die Augen der Spieler, Verantwortlichen und Fans von Rot-Weiss Essen. RWE hat es allen gezeigt und schließt das Kalenderjahr auf einem sensationellen vierten Tabellenplatz ab und hat dabei sogar noch ein Spiel in der Hinterhand gegenüber dem aktuell punktgleichen Dritten aus Ulm. Das hätten in dieser Form wohl nur die kühnsten Optimisten erwartet. Unsere Analyse zur Hinrunde.

Eine rot-weisse Metamorphose – Raupe RWE erblüht zu schönem Fußballschmetterling

Nach der noch nicht ganz kompletten Hinrunde und frisch gestarteten Rückrunde der Drittligaspielzeit 2023/24 glänzen die Augen der Spieler, Verantwortlichen und Fans von Rot-Weiss Essen. RWE hat es allen gezeigt und schließt das Kalenderjahr auf einem sensationellen vierten Tabellenplatz ab und hat dabei sogar noch ein Spiel in der Hinterhand gegenüber dem aktuell punktgleichen Dritten aus Ulm. Das hätten in dieser Form wohl nur die kühnsten Optimisten erwartet. Es scheint fast so als habe sich das Rot-Weiss Essen der Vorsaison als Raupe verpuppt und als schöner Schmetterling neu entdeckt. Jawattdenn.de analysiert die vielen Stärken und auch noch vorhandenen Schwächen des Essener Auftritts ab August des vergangenen Jahres.

Die Pluspunkte

Rot-Weiss Essen spielt eine seiner besten Spielzeiten im Profifußball seit vielen Jahren. Allein das ist ein riesiger Pluspunkt. Spötter und Sarkasten könnten jetzt sagen, dass das nicht so schwer sei, da man zwischendurch anderthalb Jahrzehnte von der größeren Bühne verschwunden gewesen war. Aber das wird der derzeitigen sportlichen Gesamtentwicklung nicht gerecht. RWE macht Spaß. Und das aus vielen Gründen.

  • Das Spielsystem: Kurz und überlegt, statt hoch und weit sorgt für ein krachend bissiges RWE in der Crunch-Time                                                                                            In der Vorsaison war es einer der größten Kritikpunkte. Es sei kein System auf dem Platz erkennbar, RWE wirkte teilweise plan- und ideenlos. Ein ganz anderes Bild zeigt sich in dieser Spielzeit. Rot-Weiss verfolgt einen deutlich erkennbaren Plan, der Spielaufbau ist klar strukturiert, extrem geordnet und nahezu nie lang und weit. Keeper Jakob Golz ist erster Aufbauspieler, sucht stets die kurze Anspielstation. Zu Saisonbeginn ging das noch zum Auftakt in Halle und darauf folgend im Pokal gegen den Hamburger SV schief, als Essen sich nach extrem einfachen Ballverlusten gleich drei Treffer einschenken ließ.

    Mit der Zeit holte sich RWE die Sicherheit, vor allem seitdem Felix Götze in die Innenverteidigung berufen worden war. Wie FG 24 hier den Ton angibt, die Bälle verteilt, die Lücke zur Schnittstelle im Mittelfeld sucht, ist wohl ligaweit mit das Beste. An seiner Seite aufgeblüht ist Rios Alonso, Ene ist einer der diversen jungen RWE-Spieler mit starker Entwicklung. Sowohl Götze als auch Alonso haben die Geduld und Gelassenheit, das Leder solange auch hinten herum zirkulieren zu lassen, bis sich eine Lücke auf Außen oder in der Zentrale aufbaut und das Spiel dann schnell nach vorne getragen werden kann. Das schafft auch Musti Kourouma, wenn er im Verbund oder für Götze oder Alonso dabei ist. Es ist kein Zufall, dass der von RWE demissionierte und aussortierte Ex-Kapitän Felix Bastians genau diese Tugenden nicht (mehr) verkörperte und eher für das ineffektive Langholz stand.

    Zudem sind Götze und Alonso auch stets auf den Außen anspielbar und zum Teil in Kombinationen bis kurz vor und auch in der gegnerischen Box beteiligt. Essen hat hier zwei spielstarke Innenverteidiger, die mit 1,85 m (Götze) bzw. 1,82 m (Alonso) nicht die körperliche Dominanz anderer Spieler haben, die in der Dritten Liga solche Posten besetzen. Dennoch sind sie nicht nur spiel, – sondern auch zweikampfstark. Aktuell stellen sie ein Essener Traumduo dar. Hat Essen die erste Pressingreihe überspielt oder gegen nun vermehrt tiefer stehende Gegner endlich die Lücke gefunden, hat RWE mit Vinko Sapina einen überragenden Ballübernahmespieler, der neue Kapitän stellt eine zuvor selten gesehene Synopse zwischen kampfstarker Sechs und spielstarker Zehn dar. Wer sich das Spiel der Dabrowski-Elf anschaut, darf mittlerweile guten Mutes sein, dass Essen Lösungen für Probleme auf dem Feld findet.

    Während RWE zu Saisonbeginn noch stellenweise wankelmütig schien und hin und wieder in alte Muster zurückfiel, war wohl die zunächst verheerend wirkende 0:5 Schlappe gegen den SC Verl Anfang Oktober ein Schlüsselerlebnis. Nach dem 2:0 Erfolg über Waldhof Mannheim fast genau vier Wochen später, RWE hatte den fünften Dreier in Serie gelandet, verriet Cedric Harenbrock den Reportern von Magenta Sport, dass nach dem Verl-Debakel die Entscheidung gefallen sei, das Spiel mit dem Ball flach und kurz aufzuziehen, somit auch dominant und mit viel Besitz am Spielgerät. Durchaus erstaunlich, nach einem derartigen sportlichen Nackenschlag. Doch RWE trat tatsächlich von nun an genauso auf, ließ Ball und Gegner laufen.

    Als MSV-Trainer Boris Schommers, Fuat-Kilic-Preisträger für absurde Spielanalysen, nach dem mit 1:2 verlorenen Revierderby gegen die Essener anmerkte, seine Mannschaft habe bei den gelaufenen Kilometern die Nase deutlich vorne gehabt und mehr investiert, wäre für Schommers womöglich ein anderer Wert aufschlussreicher gewesen. Nämlich die Anzahl der rein hinterhergelaufenen Kilometer seiner Mannschaft, die der Kugel gegen das spielerisch klar überlegene RWE häufig nur hinterherhechelte. Hauptgrund dafür, das Positionsspiel der Rot-Weissen, die fast immer auch in engen Situationen Anspielstationen finden, ist immens verbessert. Bemerkte ein Thomas Eisfeld im Frühjahr 2023 noch, man wisse in Ballbesitz nicht wirklich, was man tun solle, so bekommt man nun den Eindruck, jeder RWE-Kicker fordere und wolle die Kugel, der Wille zur Gestaltung des Spiels, ja fast schon eine pure Lust auf Fußballspielen hat eine verängstigte Form des reinen Reagierens auf gegnerische Systeme abgelöst. Alle Akteure wissen, wie sie das ihnen zugewiesene Teil des Rasenrechtecks zu beackern und bespielen haben.

    Dieses System fordert Kraft, und zwar in erster Linie vom Gegner, der extrem viel investieren muss, um Lücken zuzulaufen, die Essen sucht. Die vielen Siege kurz vor Schluss (RWE erzielte vier Siegtreffer in der Schlussminute oder Nachspielzeit) sind keineswegs ein Zeichen übermäßigen Glücks. Wer das behauptet, versteht nicht, was auf dem Feld passiert. Vielmehr zieht Rot-Weiss den Kontrahenten nach und nach den Zahn und lässt sich auch von Rückschlägen nicht von seinem Weg abbringen, was wir weiter unten genauer thematisieren.

    Im letzten Spiel vor der Winterpause wurde es sehr deutlich, während der Hallesche FC ab der 60. Minuten auf dem Zahnfleisch über das Feld robbte, kam Essens stärkste Phase. Die Gäste waren schlichtweg müde gespielt. Das belegen generell rot-weisse Streiche in der Crunch-Time genannten Spielzeit ab der 75. Minute. Neunmal schlug Essen hier zu, fünfmal schluckte man einen Treffer. Allerdings schadeten die Gegentore den Rot-Weissen nicht wirklich bis gar nicht. In Unterhaching und gegen Verl schluckte man in dieser Phase „lediglich“ weitere Treffer bei ohnehin bereits hoch verlorenen Spielen, Dynamo Dresden verkürzte auf 1:3 und somit kratzten diese Bunden nur am Essener Torverhältnis. Ebenso wie die späten Ausgleichstreffer des MSV Duisburg und von Arminia Bielefeld. Denn diese hatten nur kurz Bestand und RWE schlug jeweils postwendend zurück. Sehr späte Tore sorgten zudem gegen Münster und Halle für Siege. Somit errang RWE satte 8 Punkte auf der Zielgeraden und verlor umgekehrt auf dieser keinen einzigen. Das sind keine Zufälle. Zudem hat das psychologische Effekte, während die rot-weisse Brust am Ende immer breiter wird, weiß der Gegner, dass er sich in einer sehr schwierigen Phase befindet und wird fehlerintensiver.
  • Die individuelle Qualität
    Ein starkes mannschaftliches Kollektiv und individuelle Qualität, die in entscheidenden Situationen den Ausschlag gibt, schließen sich nicht aus. Obwohl der Essener Kader bei Weitem nicht zu den teuren der Liga zählt, hat RWE echte Unterschiedsspieler in seinen Reihen.

    Torhüter Jakob Golz hält Bälle der Kategorie Unhaltbar und das in Serie. Essens Nummer 1 dürfte sich somit sehr viel Respekt bei den gegnerischen Angreifern erarbeitet haben, die selbst völlig frei vor Essens Kasten und vor Golz das große Schlottern in den Beinen kriegen. Auch am Ball ist JG1 deutlich ruhiger und präziser geworden. Das gilt erst Recht für Abwehrchef Felix Götze, wir wiederholen uns, da gibt es in Summe aller Teilaspekte kaum einen besseren Innenverteidiger in dieser Liga. Götze, dessen Weiterverpflichtung RWE im Sommer zurecht 100 K wert war, hat nur Vertrag bis zum Saisonende, es wird eine Herkulesaufgabe für die rot-weissen Verantwortlichen, ihn mit einem neuen Arbeitspapier an der Hafenstraße 97 A auszustatten. Warum Vinko Sapina mit seinen 28 Lenzen bislang noch nie in der zweiten Liga aufgelaufen und zuvor auch nicht bei einem wirklich großen Klub angeheuert hatte, bleibt bei den Darbietungen des 1,94 m großen Sapina ein Mysterium. Es ist kein Zufall, dass RWE die schon mehrfach zitierte 0:5-Klatsche gegen einen ostwestfälischen Provinzklub erlitt, als diese Mittelachse mit Götze und Sapina weggebrochen war.

    Und offensiv zeigt die Leihgabe des 1. FC Köln Marvin Obuz, warum der Kölner Chefcoach Steffen Baumgart ihm eine Bundesligakarriere zutraut. Zuvor als Leihspieler bei Holstein Kiel kaum zur Geltung gekommen, startet der 21 Jahre alter Obuz nun im RWE-Trikot durch. Seine Ballbehandlung und Technik bei gleichzeitig hohem Tempo sind eine Augenweide und bereiten den Gegenspielern Kopfschmerzen. Vier eigene Treffer und satte 6 Assists machen Obuz zum Topspieler in der Offensive. Während Essen im Vorjahr noch Leihgeschäfte tätigte, die vorsichtig gesprochen nicht unbedingt die Qualität des Kaders erhöhten, ist Obuz ein Glücksgriff. Leider ein Glücksgriff, den Essen unter normalen Bedingungen kaum länger an sich binden können wird.

    Als RWE für die linke Außenbahn Lucas Brumme verpflichtete, war das Geschrei bei Teilen des Anhangs groß. Brumme war bei Wehen-Wiesbaden nahezu dauerverletzt und hatte kaum Einsatzzeiten vorzuweisen. So jemand sollte die versprochene Kaderverstärkung sein? Brumme wurde aufgrund seiner Verletztenvita lange getestet und blieb gesund. Mit einem Arbeitspapier ausgestattet startete der nun 24-Jährige durch, Brumme ist Essens Turbo auf der linken Seite und das, obwohl er nicht primär offensiv, sondern als Linksverteidiger aufläuft. Das war nötig geworden, weil der eigentlich für diese Position geholte Ekin Celebi lange mit Leistenproblemen ausfiel. Ein fitter Celebi verschafft RWE mehr Variationsmöglichkeiten und Lucas Brumme wird womöglich noch stärker nach vorne zünden. Alle Zweifler eines Besseren belehrt hat er jedenfalls schon jetzt.
  • Mannschaftliche Geschlossenheit und totale Leidenschaft
    Rot-Weiss Essen hat ein echtes Team. In der Vergangenheit schwächsten sich Essener Mannschaft häufiger durch mangelhaften Teamgeist und zu starke Egos, nun stehen die elf Spieler auf dem Rasen, aber auch alle anderen zusammen wie eine echte Einheit. Nach jedem wichtigen Treffer sind sogleich auch alle bereits ausgewechselten und noch nicht eingewechselten Spieler dabei in der Jubeltraube. Als Leo Vonic gegen den Halleschen FC das Siegtor zum 3:2 gelang, war Ron Berlinski, letztlich sein größter Konkurrent um diese Position, als erster Gratulant dem Torschützen um den Hals gesprungen. RWE zelebriert seine Tore derart, wie es im Fußball einst nur die brasilianische Selecao und ihr Staff taten, gemeinsam und enthusiastisch. Dieses WIR-Gefühl, transportiert die Mannschaft auch auf alle rot-weissen Tribünen und nichts davon wirkt gestellt. Daraus erwächst eine Menge Kraft. Diese totale Geschlossen- und Entschlossenheit ist ein wichtiger Baustein für die Essener Erfolge und wurde in dieser Form sehr lange nicht erlebt.

    Rot-Weiss Essen holte in der Hinrunde 2023/24 satte 10 Siege in seinen 19 Partien. Das ist bereits jetzt 1 Dreier mehr als in der gesamten letzten Spielzeit und somit aus doppelt so vielen Partien. Mittlerweile beherzigt man in Essen das altbekannte, scheinbar so einfache und doch so schwer umzusetzende Motto, dass die Lust auf das Gewinnen größer sein müsse als die Angst zu scheitern. Trug Rot-Weiss in früheren Zeiten in schwierigen Phasen häufig virtuelle Bleiwesten über dem Trikot, so werden nun Negativerlebnisse verarbeitet und passend darauf reagiert. Selbst Rückschläge wie späte Ausgleichstreffer werfen RWE nicht aus der Bahn. Sei es wie in Duisburg oder gegen Bielefeld, während der Gegner Morgenluft und die totale Wende wittert, bleibt Essen cool und schlägt zurück wie Muhammad Ali in seinen besten Zeiten. So gehen nun nicht mehr die Essener, sondern die Kontrahenten auf die Bretter. Selbst wenn sie wie der Hallesche FC noch bis zur 66. Minute gar mit 2:0 in Front gelegen hatten. Am Ende feierte RWE einen 3:2 Erfolg. Ein starkes Statement waren auch die beiden abschließenden Heimsiege. Zuvor waren zwei Partien verloren worden und man musste fürchten, dass vielleicht doch noch reichlich Wasser in den Stauderbecher fließen werde. Tat es nicht.
  • Ollala, wir haben einen Trainer, ollala Dabro wunderbar!
    Wohl kaum jemanden ist der Aufwärtstrend bei RWE mehr zu gönnen als Chefcoach Christoph Dabrowski. Noch im April war er Opfer von „Dabrowski-raus“-Choreos auf der Alten West, nun hat sich der Trainer den Respekt der nahezu gesamten RWE-Fangemeinde erworben. Neben einem überzeugenden Spielsystem gibt Dabro seiner Mannschaft die totale Leidenschaft mit auf den Platz. All das haben wir schon geschildert. Auch der gerne genannte Vorwurf, Dabro mache keinen Spieler besser, erwies sich als Nonsens. Man sehe sich hierzu die gereifte Performance von Akteuren wie Cedric Harenbrock, Rios Alonso, Musti Kourouma oder Torben Müsel an.

    Nicht allen RWE-Fans gefällt, dass Eric Voufack den eigentlichen Matador auf der Position des rechten Verteidigers Andy Wiegel aus der Startelf verdrängt hat. Doch auch die Personalie Eric Voufack, der aus der Regionalliga Nordost nach Essen gekommen war, zeigt, dass Dabro mit jungen Leuten arbeiten und diese voranbringen kann. Essen erlebt zudem mittlerweile einen anderen Christoph Dabrowski. In der Vorsaison waren noch seine Nehmerqualitäten gefragt. So manch einer wäre unter dem Druck, den der Coach sportlich aber auch von den Rängen bekam, zusammengebrochen oder hätte die Flinte ins Korn geworfen. Anzumerken war es ihm aber schon, was auf ihn einprasselte, was sich unter anderem in nicht gerade geschliffener Rhetorik an den Mikrofonen ausdrückte.

    Dabro aber packte an und stellte sich seinen Kritikern. Ein Auftritt und Gedankenaustausch mit Mitgliedern der aktiven Fanszene bei einer Jubiläumsfeier signalisierte auch den sehr kritischen Anhängern, dass der Coach Eier in der Hose hat. Und diese Courage vermittelt er auch seiner Mannschaft. Mittlerweile wird auch dem letzten klar, dass Christoph Dabrowski in der vorherigen Saison viele Dinge zu verarbeiten hatte, die nicht ihm anzulasten waren, in erster Linie ein von der ehemaligen sportlichen Leitung ziemlich überschätzter Kader, für den der damals neue Chefcoach sich kaum verantwortlich zeigen konnte und der im Großteil stand, als er an die Hafenstraße kam. Auch das ist nun anders. Im Erfolg erlebt man nun einen mehr und mehr gelösten Dabro, der auf Pressekonferenzen und im TV mit den Reportern seine rhetorischen Karten zu spielen weiß. Als nach dem 2:0 Erfolg über Waldhof-Mannheim, Essens fünftem Ligasieg in Folge, ausgerechnet aus den Blöcken seiner zuvor schärfsten Kritiker „Ollala, wir haben einen Trainer, ollala Dabro wunderbar!“ erschallte, strahlte der so Gefeierte wie ein Honigkuchenpferd. Und das vollkommen zurecht.
  • Sportlich wird geleitet!
    Nicht nur Christoph Dabrowski und sein Trainerteam, bei dem auch Lars Fleischer und Paul Freier in ihrer Arbeit deutlich hervorzuheben sind, liefert, auch die sportliche Leitung um Christian Flüthmann und Markus Steegmann tut es. Die Neuzugänge sitzen, das Team wurde zudem klar verjüngt und man erkennt eine sehr klare Strategie, die das Prädikat „Sportliche Leitung“ wirklich verdient. Das Geld sitzt bekanntlich in dieser Spielzeit nicht ganz so locker an der Hafenstraße 97A, von daher ist es umso bemerkenswerter, dass RWE aktuell die Kohleschleudern aus Sandhausen und Ingolstadt hinter sich lässt. Dabei wird deutlich, Kompetenz und Weitblick sind häufig wichtiger als dicke Börsen und begehrliche Blicke auf altgediente gestern große Namen. So ist es bezeichnend, dass die Vertragsverlängerungen von Leistungsträgern wie Felix Götze, Rios Alonso oder Lucas Brumme aktuell wichtiger sind, als neue Transfers zu tätigen.

    Zudem muss der Mut zum Kaderumbau deutlich hervorgehoben werden. Alte und man muss es so deutlich sagen, verbrauchte Zöpfe wurden abgeschnitten und Essen gewann auf den jeweiligen Positionen bzw. bei der systemischen Besetzung enorm an Qualität hinzu. Das war bei der Anhängerschaft alles andere als unumstritten. Diese wollte zwar deutlich besseren Fußball sehen, aber Spieler wie Simon Engelmann oder Felix Herzenbruch dennoch mit Rentenverträgen an der Hafenstraße ausgestattet sehen. Nun sollte sich jeder fragen, ob der Fußball, der aktuell in Essen präsentiert wird, mit oben genannten Akteuren auch so praktiziert werden könnte. Die Frage ist rhetorisch.
  • Wir halten zusammen, RWE!
    Am Ende der letzten Spielzeit wurde das sportlich magere Abschneiden durch die JHV des Grauens Ende Juni noch negativ getoppt. Schlimmes musste befürchtet werden. Doch Rot-Weiss Essen zog sich am eigenen Schopfe aus der Misere. Die Essener Anhänger sind dabei ein sehr wichtiger Baustein für die große Trendwende an der Hafenstraße 97 A. Mit 16.736 Besuchern hat RWE den drittbesten Zuschauerschnitt der Liga. Dieser wäre sicherlich noch größer, wären die Heimbereiche nicht bei 16.500 Tickets gedeckelt. Hier hofft Rot-Weiss Essen auf den Ausbau des Stadions an der Hafenstraße. Der Dauerkarten- und Mitgliederrekord spricht Bände.

    Es spricht auch Bände, dass Rot-Weiss Essen eine knappe Woche nach dem verheerenden 0:5 gegen Verl von 12.000 rot-weissen Fans zum Auswärtssieg nach Dortmund begleitet und zum Sieg getragen worden ist. Vielleicht merkte die RWE-Mannschaft an diesem Abend, als sie aus dem Bus vor dem Signal-Iduna-Park aussteigend schon vor Anpfiff gefeiert wurde, obwohl sie womöglich Pfiffe erwartet hätte, welche Kraft der Essener Anhang zu geben vermag. Der nach dem Schlusspfiff auch nach verlorenen Spielen angestimmte Fangesang „Wir halten zusammen, RWE!“ war lange nicht mehr so wahr wie aktuell. Und diese unter dem Strich fantastische Hinrunde war der mehr als verdiente Lohn für die zigtausend positiv Bekloppten, die Rot-Weiss Essen ihr Herz geschenkt haben.
  • Die Knackpunkte
    Natürlich ist nicht alles Gold, was Rot und Weiss glänzt. RWE hat auch immer noch Schwachstellen, die ausgemerzt werden müssen, wenn Essen auch weiterhin so toll in der Erfolgsspur bleiben will. Die Klatschen in Unterhaching und gegen den SC Verl nehmen eine Sonderposition ein. Sie ruinierten nicht nur das Torverhältnis, sondern offenbarten eine RWE-Mannschaft am Scheideweg, an dem sie dann aber den richtigen Abzweig nehmen sollte. Keine der anderen verbleibenden 17 Partien zeigte solche krassen Tendenzen, sodass man das 0:9 innerhalb von einer halben Woche als Mahnung dafür ansehen kann und muss, dass es auch anders laufen könnte. Folgende Schwachpunkte auf und einmal auch neben dem Platz ließen sich zudem bislang ausmachen.
  • Angriff ist nicht immer die beste Verteidigung
    RWE hat sich für ein offensives und aktives Spielsystem entschieden. Das ist gut so, birgt aber auch Risiken. Im Mittelfeld ist man in der Rückwärtsbewegung durchaus verwundbar, weil man mit Cedric Harenbrock und Torben Müsel zwei im Schwerpunkt offensive Spieler einsetzt. Auch wenn Müsel hierbei die verkappte Sechs gibt, wäre dieses Spiel ohne einen solchen Turbo-Dyson wie Vinko Sapina, dessen Präsenz schlichtweg enorm ist, kaum zu spielen. Zudem verschiebt sich Essen durch das Fehlen einer zweiten klareren Sechs nicht immer gut genug auf die Flügel. Das verleitet viele Gegner zu Flanken-Orgien, so zum Beispiel Arminia Bielefeld, das bei seinem Gastspiel in Essen die Bälle bei Ballbesitz fortwährend in die Essener Box fliegen ließ, ähnlich unkreativ aber dennoch nicht ungefährlich agierte der MSV Duisburg gegen RWE. Insbesondere Senkrechtstarter Eric Voufack benötigt auf seiner Abwehrseite noch konsequentere Hilfe seiner Mitspieler. Vor dem Spiel gegen den VFB Lübeck ging Christoph Dabrowski für viele überraschend daher hinten auf einer Dreierkette und opferte einen Mittelfeldakteur, um genau diese Verwundbarkeit zu minimieren. Gegen Halle hieß es dann aber wieder volle Kraft voraus, bevor Essen wirklich ins Spiel kam und dieses drehte, hätten die Gäste den Sack an der Hafenstraße auch bereits zumachen können. Das sind aber die Kompromisse, die man eingehen muss.
  • Die Abteilung Attacke bläst nicht immer konsequent zum Sturm
    In 19 Ligapartien hat RWE lediglich 25 Treffer erzielt. Zum Vergleich, die Liga-Top-Torschützen Jannik Mause (SV Ingolstadt) und Dominic Baumann (Hallescher FC) haben zusammen alleine 24 Tore geschossen und damit fast so viele wie alle Rot-Weissen gemeinsam. Das sichert Essens Angriff keinen Platz in der TOP 10 und das für den Tabellenvierten kurios zu nennende ausgeglichene Torverhältnis stellt beinahe schon einen Punkt Rückstand auf die anderen gut platzierten Teams dar. So ist z.B. der SV Ingolstadt hier mit 13 Treffern im Plus. Cedric Harenbrock und Marvin Obuz trafen jeweils viermal und sind somit Essens Toptorschützen. Das sind Werte, die bei den übrigen Vereinen erst ab Tabellenplatz 15 nicht überboten und nur von zwei Teams unterboten werden.

    Der Essener Kernangriff, bestehend aus Leonardo Vonic (2 Tore), Ron Berlinski (2 Tore) und Moussa Doumbouya (1 Tor) brachte es zusammen auf ganze 5 Treffer. Dabei steht in den meisten Fällen nur einer der drei zentralen Stürmer auf dem Feld, die sich in ihren „Skills“ aber grundsätzlich gut ergänzen. Doumbouya (Wandspieler), Berlinski (aggressiver Anläufer) und  Vonic (Strafraumstürmer) bieten eine im Grunde gute Bandbreite. Aber sie müssen unbedingt effektiver und treffsicherer werden, zumal Essen keinen Transfer auf dieser Position plant und weiterhin auf dieses Trio bauen wird. Das Spiel gegen Halle machte da Mut. Moussa Doumbouya wirkte nach seiner Einwechslung frisch und behauptete die Bälle, der ebenfalls von der Bank gekommene Leo Vonic machte sogar den Siegtreffer. Bitte mehr davon.

    Doch nicht nur in vorderster Front hakt es zuweilen. Bei den Niederlagen in Ingolstadt und gegen Sandhausen zeigten sich die Kontrahenten nicht nur effektiver im Torabschluss. Sie ließen Essen in Führung liegend das Spiel machen und kommen, aber klare Torchancen blieben Mangelware. Der SSV Ulm wiederum stellte Rot-Weiss fast alle Räume zu und machte die Außenbahnen dicht. Stellt man dann noch Vinko Sapina zwei aggressive Anläufer auf die Füße wie die Spatzen es taten, kann man Essen den Zahn ziehen. Vor allem dann, wenn der Torabschluss in aussichtsreicher Position nicht gesucht wird.

    Zuweilen übertreibt RWE das Kombinationsspiel vor des Gegners Tor und spielt den einen Pass zu viel, zu selten gibt es Abschlüsse aus der zweiten Reihe. Auffällig ist aber auch hier, dass das Gros der Gegner sich eher auf das RWE-Spiel einstellen muss, als umgekehrt. Sogar der mittlerweile souveräne Tabellenführer Jahn Regensburg ermauerte sich im Stadion an der Hafenstraße einen Punkt und konnte keine offensiven Akzente setzen.
  • Tanz am Rande des Vulkans in der Causa Felix Bastians

    Als RWE ausgerechnet nach den beiden deftigen Schlappen in Unterhaching und gegen Verl seinen damaligen Kapitän Felix Bastians freistellte, witterten viele Verschwörungstheoretiker ein Bauernopfer. Eine bis dato solide Saison drohte zu kippen. Für das angeschlagen wirkende RWE und seine Verantwortlichen war die Trennung von einem renommierten Führungsspieler ein Tanz auf dem Vulkan. Letztlich einer, den Essen mit der Jurynote 9,5 von 10 absolvierte, denn seit der Demissionierung von FB 4 holten man in neun Partien sieben Siege. Von daher könnte man dieses Kapitel genauso gut unter Pluspunkte verbuchen. Die Frage bleibt jedoch, warum man das hinter den Kulissen ausgemachte Minenfeld um Bastians nicht früher räumte und sein Vertrag im Frühjahr 2023 zunächst um ein weiteres Jahr verlängert worden war. Diese Baustelle schien zumindest etwas hausgemacht.

Fazit – Das Ende der Bescheidenheit bedeutet auch das Ringen um Balance, Essen muss das Eisen schmieden, solange es rot-heiss ist!

Vor Saisonbeginn herrschte das große Zweifeln rund um die Hafenstraße 97 A. Im Schwerpunkt rechneten die Anhänger mit einem Kampf um den Klassenerhalt. Nunmehr scheint schon sicher, dass RWE die Dritte Liga zumindest nicht nach unten verlassen wird. Sagenhafte 15 Zähler hat die Dabrowski-Elf zwischen sich und den ersten Abstiegsplatz, derzeit belegt vom Halleschen FC, gebracht. Die Zeit der Bescheidenheit ist daher vorbei in Essen. Der neue Kapitän Vinko Sapina verkündete nach dem Sieg über Halle, dass spätestens jetzt keiner mehr nach unten schauen müsse und solle. Was bedeutet das für die Rückrunde? Haben sich Essens Ziele geändert, wird man auf dem Transfermarkt aktiv werden und dabei vielleicht sogar ins finanzielle Risiko gehen?

Die Verantwortlichen hatten vor Saisonstart Platz 9 – 12 als Saisonziel ausgegeben. Vielleicht träumte man durchaus von ein klein wenig mehr, doch der Auftritt der Mannschaft liegt durchaus deutlich über dem, was man bei RWE als realistisch angesehen hatte. Wie umgehen mit dieser Situation? Das fragen sich natürlich auch viele Anhänger. Und typisch für das Umfeld an der Hafenstraße gibt es auch Stimmen, die von RWE nun mehr, sprich den offiziell ausgesprochenen Kampf um den Aufstieg und auch teure Wintertransfers fordern. Für Rot-Weiss Essen geht es hierbei darum, die richtige Balance zu finden. Ganz im Sinne von Vinko Sapina sollte RWE sich nicht unnötig kleinmachen und kein reines Understatement betreiben. Das wäre auch nicht mehr glaubwürdig. Andererseits sollte im Auge behalten werden, wie lange man nicht im Profifußball vertreten gewesen war, wo man tabellarisch herkommt und welche wirtschaftlichen Möglichkeiten im Vergleich zu anderen Mannschaften da sind. Und diese sind halt durchaus eingeschränkt.

Die Liga und die Tabelle sind eng. Teams wie Ingolstadt, Sandhausen oder Saarbrücken, Letzteres mit satten Zusatzeinnamen im DFB-Pokal gesegnet, könnten personell weiter zulegen und ihre finanziellen Vorteile ausspielen. Zudem besteht für diese Vereine (noch) ein erheblich höherer Erfolgsdruck als für Rot-Weiss. Essen wird daher ganz bestimmt nicht All-In gehen und versuchen, sportliche Schwergewichte an die Hafenstraße 97 A zu locken. RWE-Boss Marcus Uhlig betont daher gegenüber Jawattdenn.de, dass Rot-Weiss natürlich seine Augen immer offen halten werde, was der Transfermarkt bietet. Aber es sind keine konkreten Transfers geplant. Eher werde es potenzielle Abgänge von mit ihrer sportlichen Situation unzufriedenen Akteuren geben. Das heißt nichts anderes, als dass man an der Hafenstraße Vertrauen in seinen vorhandenen Kader setzt. Angesichts der sportlichen Darbietungen ist das sicherlich nicht die schlechteste Variante und so mental gestärkt bleibt RWE womöglich auch weiterhin sehr weit oben vertreten. Warum sollte man zum Beispiel einem Mustafa Kourouma oder gar einem Rios Alonso einen weiteren Innenverteidiger vor die Nase setzen und ihre Entwicklung stoppen? Die lang kolportierte Leihe von Tim Oermann vom VFL Bochum macht da nicht wirklich Sinn. Im Sturm hat man zwar keinen eiskalten Goalgetter, aber drei variable Spitzen, deren Torausbeute sich aber unbedingt steigern sollte. Zudem kehren mit Thomas Eisfeld und hoffentlich auch Ekin Celebi wertvolle Akteure aus langen Verletzungspausen zurück. Sie können und werden den gesunden Konkurrenzkampf im Team weiter befeuern.

Unter dem Strich ist pure Vorfreude auf die weiteren 19 Partien angesagt. Essen hat kaum Druck nach unten, könnte aber umgekehrt anderen Mannschaften weiter ordentlich Dampf im Kampf um die oberen Plätze machen. Vor der Saison sprach man von einer Übergangsspielzeit, in der Essen sich zunächst einfach nur weiterentwickeln und moderat in der Tabelle klettern sollte. Wie gut manche Dinge dann klappten und das alles andere als pures Glück war, sorgt aktuell für pure Zufriedenheit. Aber sicherlich nicht dafür, dass der Erfolgshunger des Teams bereits gestillt wäre. Dennoch sollte man rund um die Hafenstraße realistisch bleiben. Schon kurze Durststrecken lassen die sportlichen Aktien sinken. Es wäre großartig, wenn RWE bis in die Schlussphase der Saison oben mitmischen und das Umfeld träumen dürfte. Gerade im Sport basieren Träume aber auf beinharter Arbeit. Dafür ist Rot-Weiss Essen sicherlich bereit. Wirft RWE weiterhin erkennbar alles in die Waagschale, werden das auch die Fans tun. Was dann dabei am Ende herauskommt ist weder planbar noch entscheidend. Entscheidend ist viel eher, dass unser Verein erkennbare Fortschritte macht und wir zwischen bilanzieren dürfen, dass Rot-Weiss Essen im Profifußball voll angekommen ist und das Eisen weiter geschmiedet wird, solange es rot-heiss ist.

NUR DER RWE!

Sven Meyering