Finanzielle Tahlsohle und kommunikatives Chaos – der Riss, der nicht mehr zu kitten war
Im Sommer 2023 schockierte Rot-Weiss Essens seine versammelte Mitgliederschaft bei der Jahreshauptversammlung in der Messe Essen. Ein Bilanzminus von 3,6 Millionen € für das Jahr 2022 wurde präsentiert und das gefühlt aus dem Nichts. Jawattdenn.de betitelte die Veranstaltung in der Nachberichterstattung als JHV des Grauens.
Die ausbrechende Panik war nachvollziehbar, jedoch hatte man die Situation tatsächlich mittlerweile wieder im Griff. Ein Beleg dafür, RWE erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2023 das vom DFB geforderte Plus von 160 K, resultierend aus der Summe des negativen Eigenkapitals, und erhielt zudem im Frühjahr des Jahres 2024 die beantragten Lizenzen für die Dritte, aber auch die Zweite Liga ohne Auflagen. Wegen der unzureichenden Vorbereitung konnte diese Botschaft jedoch nicht platziert werden. Am Ende wurde die Veranstaltung sogar abgebrochen und Marcus Uhlig verließ, „Uhlig-Raus“-Rufe eines Teils der Personen im Ohr, im Sauseschritt die Messe Essen. Ein unnötig unwürdiges Ende.
Warum hatte Marcus Uhlig diese JHV nicht besser vorbereitet und versäumt, die schlechten Botschaften im Vorfeld zu entschärfen? Es muss in den Wochen zuvor das große Thema bei Vorstand und Aufsichtsrat gewesen sein, wie man die Mitglieder informieren kann, ohne neben Schimpf und Schande auch Panik vor einer neuerlichen Insolvenz zu ernten. Dennoch fuhr derjenige, der die Sache am besten hätte erklären können, tags zuvor in den Urlaub, nämlich Hans-Henning Schäfer, das Mitglied des Aufsichtsrats mit buchhalterischen Kompetenzen. Die Naivität des gesamten Vorgangs verblüfft noch immer und ist auch in der Rückschau nicht nachvollziehbar. Es ist der große dunkle Fleck auf der Ära Uhlig, denn es entstand der Eindruck, dem Vorstandsvorsitzenden sei die Situation in der jüngeren Vergangenheit schlichtweg über den Kopf gewachsen.
Das war so falsch auch nicht, denn erst Sascha Peljhan deckte das Ausmaß der anlaufenden Fehlbeträge im Hintergrund auf und läutete die Phase der Bereinigung ein. Der Gesamtvorgang war ein erneutes Indiz dafür, dass Marcus Uhlig sich manches Mal zu viel zugemutet und nicht mehr alle Fäden in der Hand hatte. Uhlig übernahm die volle Verantwortung. Das musste er als „Boss“ auch tun, doch das seit einiger Zeit angeknackste Verhältnis zum eigenen Aufsichtsrat nahm nun natürlich weiteren Schaden.
Und auf der anderen Seite unternahm man auch nicht gerade den Versuch, den Vorstandsvorsitzenden zu stützen. Die Art und Weise, wie Andre Helf Marcus Uhlig bei der kleinen JHV nahezu vorführte, war bezeichnend. Die Botschaft war, ein tadellos handelnder AR wurde von einer schlechten Vorstandsarbeit kalt erwischt. Eine Blaupause die bekannt gewesen ist, denn auch in Hinblick auf die im Nachhinein kritisch zu sehende Personalpolitik der Ära Nowak nahmen sich der Aufsichtsrat und sein Vorsitzender komplett raus aus der Schusslinie, obwohl man alle Personalentscheidungen Nowaks gegengezeichnet hatte.
Das ist zwar normal, denn schließlich trägt der AR nicht die Verantwortung für das sportliche Agieren. Dennoch besteht seit Längerem der Eindruck im Verein, dass das eigentliche Kontrollgremium sehr viel Einfluss auf Entscheidungen nimmt, sich aber mit Verantwortungsübernahme schwertut. Ein verdienter Ex-Spieler meint dazu, bei RWE sei alles auf diesen Ebenen einfach nur Politik.
Ein Thema, das sicherlich auch Uhligs Nachfolger Marc-Nicolai Pfeifer in der Zukunft beschäftigen wird. Die Verwerfungen des Jahres 2023 hatten jedenfalls Spuren hinterlassen. Starke Kratzer am Lack des Vereinsmanagers Marcus Uhlig in der Öffentlichkeit, aber auch nach Innen war der Riss nun nicht mehr wirklich zu kitten. Auch wenn Marcus Uhlig natürlich federführend verantwortlich war für die veraltete Finanzbuchhaltung und das mangelnde Controlling, hätte er sich sicherlich eine stärkere öffentliche Unterstützung durch seinen Aufsichtsrat und vor allem dessen Vorsitzenden gewünscht.
Auch an Sascha Peljhan gingen Dinge hinter den Kulissen nicht spurlos vorüber und führten auch zu dessen Rückzug. Zwar bereinigte man die aufgelaufenen Probleme in einem gemeinsamen Kraftakt. Aber in Verbund damit, dass sich Marcus Uhlig ohnehin einen anders und progressiver arbeitenden Aufsichtsrat gewünscht hätte, fiel ihm die Entscheidung zum Rückzug irgendwann nicht mehr schwer. Vielleicht wurde ihm das selbst erst nach und nach klar, wahrscheinlich final erst zur Jahreswende 2024. Wichtig war ihm aber, dass es eine persönlich freie Entscheidung und kein erzwungener Rückzug werden sollte.
Was bleibt? Marcus Uhligs Vermächtnis
Marcus Uhlig kann mit Fug und Recht von sich behaupten, derjenige bei Rot-Weiss Essen gewesen zu sein, der das Ende einer vierzehnjährigen Durststrecke im Amateurfußball beendete und der die entscheidenden Weichen für die Rückkehr in den Profifußball gestellt hat. Das war aber nicht nur sportlich, sondern auch finanziell ein Kraftakt. Der Aufstieg hinterließ ein Millionendefizit, das allerdings durch niedrig verzinste private Kredite im Griff ist, aber natürlich die Handlungsfähigkeit des Vereins auch aktuell noch einschränkt.
Wer das verteufelt, der sei gefragt, wie RWE sonst den Weg aus der Regionalliga West nach oben hätte schaffen sollen? Große Sponsoren konnten noch immer nicht an Bord geholt werden, eine Langzeitbaustelle des Vereins, die bestehen bleibt. Das so empfundene „Finanzloch“ des Sommers 2023 und eine hin und wieder verbesserungswürdige Kommunikation waren die wohl größten Mankos der Ära Uhlig. Dennoch bleibt eine positive Bilanz. Marcus Uhlig sagt selbst über seine Zeit bei Rot-Weiss Essen, dass mehr richtig als falsch gewesen sei. Hinter dieser Aussage wird sich unter dem Strich wahrscheinlich eine Mehrheit der Menschen, die sich mit RWE identifizieren, sammeln können.
Zudem darf ich persönlich über Marcus Uhlig sagen, dass ich es stets sehr beeindruckend fand, wie Essens Vorstandsvorsitzender es über seine gesamte Amtszeit hinweg schaffte, in der Außendarstellung des Vereins immer den notwendigen Anstand und Stil anderen Personen gegenüber gewahrt zu haben. Das galt auch nach Innen. Egal, worüber und über wen man mit Marcus Uhlig sprach, nie kam ihm dabei ein böses oder respektlos zu nennendes Wort über die Lippen auch wenn ihn natürlich diverse Dinge gestört haben.
Ein Paradebeispiel dafür der Fall des damaligen Kapitäns Dennis Grote, der RWE kurz vor der Winterpause der Saison 2021/22 mit einem Wechselwunsch zum ärgsten Aufstiegskonkurrenten Preußen Münster überraschte. RWE gab dem Wunsch nicht nach, mit Bekanntwerden der Causa im Umfeld war aber auch klar, dass Grote für Rot-Weiss nicht mehr tragfähig war. Bei Preußen Münster landete er später über den Umweg eines Auslandsengagements in Österreich dennoch. Während die Fanszene Dennis Grote verfluchte, stellte der Vorstandschef angesprochen darauf klar, dass der Fall komplex sei und der Spieler seine berechtigten Interessen habe, die auch nachvollziehbar seien. Das war nur ein Beispiel von vielen. Simples Schwarz-Weiß-Denken war nicht die Sache von Uhlig. Immer nahm er sich auch für Jawattdenn.de Zeit, wenn man ihn darum bat, gab Auskunft, fachsimpelte und klönte rund um Rot-Weiss Essen trotz eines rappelvollen Terminkalenders.
Mit seiner Entscheidung, Rot-Weiss Essen nach fast 7 Jahren zu verlassen, ist Marcus Uhlig im Reinen. Gute Energie habe er bis zuletzt gespürt, Dinge zu bewegen und zu verwirklichen. Er geht mit einer guten Drittligasaison und der positiven Ratsentscheidung bezüglich eines potenziellen Stadionausbaus im Rücken. Sicherlich waren es extrem kraftzehrende Jahre. Es sei ihm eine Ehre gewesen, „seinem“ Verein über alle diese Jahre vorgestanden haben zu dürfen. Das ist keine Floskel. Marcus Uhlig hat Rot-Weiss Essen gelebt und was fast noch wichtiger ist, Marcus Uhlig hatte den Verein Rot-Weiss Essen verstanden. In der nahen Zukunft möchte er sich neuen Projekten widmen, zunächst Beratungstätigkeiten bei kleineren aufstrebenden Vereinen. Darauf habe er richtig Bock.
Marcus Uhlig hat es verdient, dass wir aus vollem rot-weissen Herzen sagen,
DANKE FÜR ALLES, MARCUS!
NUR DER RWE!
Sven Meyering