Elf Tage nach dem Auswärtsspiel in Verl erscheint auf der Homepage der Sportschau bereits der dritte Artikel zum Thema „Sexismus“: Autorin Nora Hespers thematisierte zunächst den ausbleibenden Aufschrei, anschließend die eingeleiteten Ermittlungen und legt nun mit dem absurden Vorwurf nach, das Thema sei vom Verein nicht hinreichend benannt worden. Der Artikel enthält zahlreiche grobe Recherche- und Logikfehler und offenbart gravierende handwerkliche Mängel, die einer Journalistin auf diesem Niveau – insbesondere bei einem derart sensiblen Thema – nicht unterlaufen dürften.
Zunächst ein paar Worte zum ursprünglichen Thema: Zu den Sprechchören gibt es redaktionsintern keine zwei Meinungen, und Kollege Pascal Druschke hat in seinem Kommentar bereits alles Relevante zu den dummen und primitiven Äußerungen gesagt. Wahrscheinlich kann sich kaum jemand von uns davon freisprechen, schon einmal den einen oder anderen weniger intelligenten Fangesang mitgegrölt zu haben – „Nimm ihn in den Mund, du Sch…“ als Teil eines vermeintlichen Kultsongs anzustimmen, ist abgesehen vom sexistischen Inhalt des Gesamtwerks für einen erwachsenen Mann jedoch auch unfassbar peinlich.
Vorstandsmitglied Alexander Rang hat in einer gelungenen Stellungnahme deutlich gemacht, dass derartige Gesänge nicht dem Wertekanon von Rot-Weiss Essen entsprechen. Es gab eine vereinsseitige Entschuldigung an die betroffene Schiedsrichterin, auch auf jawattdenn.de folgte eine kritische Stellungnahme. Nora Hespers hätte es bei zwei Artikeln belassen und sich darüber freuen können, mediale Aufmerksamkeit für ein ihr wichtiges Thema generiert sowie das Problembewusstsein bei Verein und Anhängerschaft geschärft zu haben. Der dritte Artikel lässt allerdings starke Zweifel daran aufkommen, dass es ihr tatsächlich um Problembewusstsein ging – vielmehr entsteht der Eindruck, dass nun krampfhaft weitere Anlässe gesucht werden, um die Welle der Empörung nicht abebben zu lassen und sich dabei selbst im medialen Fokus zu halten.
Als Journalistin trägt Frau Hespers jedoch eine nicht zu unterschätzende Verantwortung hinsichtlich der Verbreitung sogenannter „Fake News“. Der Titel eines Absatzes lautet: „Von Sexismus ist im RWE-Statement nicht die Rede“, im Text führt sie dies im Detail aus: „So ist lediglich von Beleidigungen in Richtung der Schiedsrichterin die Rede, nicht aber von Sexismus oder verbaler, sexualisierter Gewalt.“ – Wie sich diese Unterstellung mit folgendem Zitat aus Alexander Rangs Stellungnahme vereinbaren lässt, darf Frau Hespers – hoffentlich in einem vierten Artikel (Titelvorschlag: „Übers Ziel hinausgeschossen – Richtigstellung in eigener Sache“) – gerne ausführlich erklären:
„Es ist uns ein wichtiges Anliegen, allen Menschen, aber besonders der heranwachsenden Generation, deutlich zu machen, dass für Diskriminierung und Sexismus kein Platz ist – nicht bei RWE, nicht in anderen Fußballstadien und auch sonst nirgendwo in der Gesellschaft.“
Neben dieser klaren Verurteilung von Sexismus findet sich im Text ein weiterer Passus, der verdeutlicht, dass sich der Verein klar gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung positioniert:
„Rot-Weiss Essen tritt, und so ist es auch in unserer Vereinssatzung verankert, diskriminierenden oder menschenverachtenden Verhaltensweisen entschieden entgegen. Das gilt insbesondere für Diskriminierungen und Benachteiligungen von Menschen aufgrund ihrer Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht, sexuellen Orientierung oder Beeinträchtigung.“
Neben der unrichtigen Behauptung, Sexismus sei nicht thematisiert worden, wird nun auch das entschiedene Entgegentreten infrage gestellt – allein auf Grundlage des Veröffentlichungsdatums:
„In den Tagen zuvor war dieses entschiedene Entgegentreten nicht zu erkennen. Erst Recherchen der Sportschau hatten eine Aufarbeitung ins Rollen gebracht.“
Kritisiert wird von Frau Hespers also, dass die Stellungnahme des Vereins erst nach dem Sportschau-Artikel erschien – nicht bereits direkt nach dem Spiel. Dabei stellte sie im vorherigen Artikel selbst fest:
„Der Vorfall blieb zunächst ohne weitere Auswirkungen, weil er weder durch den anwesenden Schiedsrichterbeobachter noch durch die Schiedsrichterin selbst im Spielberichtsbogen dokumentiert wurden. Ob Fabienne Michel den Vorfall mitbekommen hat, ist fraglich.“
Ebenso fraglich ist, ob Alexander Rang die vereinzelten Gesänge aus dem Stehplatzbereich wahrgenommen hat. Warum also wird dem Vorstand von Rot-Weiss Essen vorgeworfen, nicht umgehend gegen Gesänge vorgegangen zu sein, die offenbar weder dokumentiert noch möglicherweise von der Schiedsrichterin selbst wahrgenommen wurden? Frau Hespers kritisiert jedoch nicht nur – fälschlicherweise – den Inhalt und Zeitpunkt der Veröffentlichung, sondern auch die Bildungsarbeit des Vereins:
„Zudem richtet sich die Bildungsarbeit an Schülerinnen und Schüler, nicht etwa an die Fans, die im Stadion lauthals Vergewaltigungsfantasien auf den Platz gebrüllt haben“
Wie genau sähe nun an dieser Stelle – für Frau Hespers – eine zufriedenstellende Lösung aus? Hätte Alexander Rang im Rahmen der Stellungnahme darauf verweisen sollen, dass für alle an den Rufen beteiligten Fans ab sofort mittwochs nach Feierabend ein antisexistischer Workshop in den Räumlichkeiten des Fanprojekts angeboten wird? Ist das noch Naivität oder bereits der Vorsatz, die Bemühungen des Vereins – völlig unabhängig von Inhalten – zu diskreditieren?
Vollends ins Absurde driftet der Artikel, als Frau Hespers die Sonderrolle sexistischer Beleidigungen im Vergleich zu den Erfahrungen männlicher Schiedsrichter hervorheben möchte:
„Der Unterschied zu sexistischer Diskriminierung ist allerdings, dass Gewalt- und Morddrohungen gegenüber Schiedsrichtern in der Regel nicht im Chor über den Platz geschrien werden. Sie findet nicht öffentlich im Stadion statt.“
Hier zeigt sich, dass Stadionbesuche und Fangesänge für Frau Hespers offenbar fremdes Terrain sind. Seit Jahrzehnten skandieren sich benachteiligt fühlende Fangruppen in Stadien bundesweit den Klassiker „Hängt sie auf, die schwarze Sau!“, ohne dass je ein Aufschrei erfolgt wäre. Statt einer konstruierten Vergewaltigungsfantasie wird hier eine tatsächliche Mordfantasie zum Fangesang und richtet sich gezielt gegen Schiedsrichter – im Chor, über den Platz geschrien, öffentlich. Wohlwissend, dass nicht alles, was hinkt, auch als Vergleich durchgeht, hat Frau Hespers noch ein „aber“ parat:
„Diese Gewalt ist aber nicht geschlechtsspezifisch. Das heißt: Schiedsrichter werden nicht bedroht, weil sie Männer sind. Das ist bei Schiedsrichterinnen anders.“
Es ist mittlerweile fast zwanzig Jahre her, dass mit Bibiana Steinhaus erstmals eine Frau ein Spiel im Profifußball leitete. Heute ist es erfreuliche Normalität, dass Schiedsrichterinnen in den Profiligen aktiv sind. Was damals noch medial groß thematisiert wurde, ist heute kaum noch eine Randnotiz. Drohgesänge von den Rängen richten sich nicht gegen die Person an der Pfeife, weil sie eine Frau ist, sondern aufgrund subjektiv empfundener Fehlentscheidungen – bei männlichen wie weiblichen Vertretern der pfeifenden Zunft gleichermaßen. Fabienne Michel wurde nicht etwa wegen ihres Geschlechts beleidigt, sondern infolge ihrer Entscheidungen gegen Rot-Weiss Essen – mit sexistischen Rufen.
Das entschuldigt in keiner Weise den Inhalt, widerlegt aber die These, sie sei ausschließlich aufgrund ihres Geschlechts bedroht worden. Sprachliche und analytische Präzision sind Grundtugenden journalistischen Arbeitens – sie fehlen in Nora Hespers’ Artikel jedoch, was dem berechtigten Anliegen, Sexismus zu thematisieren, einen Bärendienst erweist. Ihr letzter Absatz unter dem Titel „Gewalt gegen Frauen ist Alltag“ driftet ins Spekulative ab – obwohl die Dringlichkeit des Anliegens absolut zu teilen ist:
„Im vorliegenden Fall wurden kollektiv sexualisierte Gewaltphantasien verbalisiert. Diese Form der Abwertung von Frauen in männerdominierten Räumen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Ebenso, dass diese Form der Gewalt keine unmittelbare Reaktion hervorruft und stattdessen normalisiert ist. Die Folge ist, dass die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen seit Jahren steigt. Statistiken zeigen, dass jeden Tag in Deutschland ein Mann versucht, seine (Ex)-Partnerin zu ermorden, dass jeden dritten Tag eine Frau durch die Hände ihres (Ex)-Partners stirbt. “
Nichts liegt uns ferner, als die Notwendigkeit zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Frage zu stellen – im Gegenteil. Doch die Brücke vom Äußern sexualisierter Gewaltfantasien in der Öffentlichkeit zur Zunahme tödlicher Partnerschaftsgewalt ist zunächst einmal die persönliche Meinung der Autorin. Die Formulierung „Die Folge ist …“ stellt einen ursächlichen Zusammenhang als Tatsache dar – ohne belastbare sozialwissenschaftliche Evidenz. Das Thema ist komplex, und der weit gespannte Bogen wäre nicht nötig gewesen, um ein berechtigtes Anliegen überzeugend vorzutragen.
Sexismus und sexualisierte Gewaltfantasien haben im neuen Jahrtausend im öffentlichen Raum besorgniserregende Ausmaße angenommen, Musiker wie Bushido und Kollegah erlangten mit misogynem Sprechdurchfall bundesweite Medienpräsenz und insbesondere unter Jugendlichen ist es mittlerweile Normalität geworden, alles und jede(n) zu „f…“. Teile des Essener Nordens und der Innenstadt sind in den letzten Jahren zu Angsträumen für Frauen geworden, sodass RWE gut daran tut, dem stetig wachsenden Anteil weiblicher Fans auch weiterhin einen sicheren und angenehmen Stadionbesuch zu bereiten und nicht nur für das körperliche Wohlergehen zu sorgen, sondern auch sexistische Äußerungen konsequent zu unterbinden.
Trotz der klaren Positionierung gegen Diskriminierung in der Vereinssatzung, guter und konsequenter Stellungnahmen wie jener von Alexander Rang, präventiver Sozialarbeit, eines engagierten Fanprojekts und vieler Beispiele für gelebte Zivilcourage zeigt das Beispiel aus Verl: Auch in der vermeintlich heilen RWE-Welt ist noch nicht alles perfekt.
Ein Verweis auf die gesamtgesellschaftliche Situation – wie im Artikel von Nora Hespers – wirkt unter Umständen sogar kontraproduktiv, da relativierend. Wir tun gut daran, weiterhin vor der eigenen Tür zu kehren, damit das Stadion an der Hafenstraße ein Safe Space für alle Besucherinnen und Besucher bleibt. Ein gleichermaßen selbstkritischer Blick wäre allerdings auch bei der Sportschau angebracht – dort wurde leider unter Beweis gestellt, dass „gut gemeint“ oft das Gegenteil von „gut gemacht“ ist. Die schlechte journalistische Arbeit von Nora Hespers diskreditiert nicht nur fälschlicherweise den Verein Rot-Weiss Essen, sondern bringt durch ihre handwerklichen Fehler auch das berechtigte und von uns geteilte Anliegen in Misskredit, sich entschieden gegen sexistische Fangesänge zu positionieren.
Dominik Gsell