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2019/2020 - Regionalliga West

Wuppertaler SV – Rot-Weiss Essen (1:2)

Als Hedon Selishta in der 6. Minute der Nachspielzeit den 2:1-Siegtreffer beim WuppertalerSV erzielte, brachen auf rot-weisser Seite emotional alle Dämme. Selishta und seine Mitspieler, inklusive Reservebank setzten zum Spurt in Richtung RWE-Fans an. Was für ein Finish, kannst du dir nicht ausdenken. Nächste Woche gegen Aachen dürfte es wieder voll werden an der Hafenstraße. Wr freuen uns drauf.

Vorbericht

Anmerkung: Danke an Leser Markus Becker für den Hinweis, dass der letzte Auswärtssieg in einem Ligaspiel nicht etwa 39, sondern „nur“ 33 Jahre zurücklag. Das Problem der unvollständigen Spiele-Liste bei fussballdaten.de aufgrund der fehlenden, damals noch drittklassigen Oberliga ist eigentlich bekannt, sodass der Autor normalerweise die dort fehlenden Jahre gesondert recherchiert und sich daher an dieser Stelle aufrichtig für den ärgerlichen Fehler entschuldigt!

Klammert man das Duell vor zwei Jahren im Niederrheinpokal (2:3) aus, wartet Rot-Weiss Essen seit über drei Jahrzehnten auf einen Sieg im Stadion am Zoo. Nachdem der erfreuliche Kantersieg der Hinrunde der Vorsaison Hoffnung machte, folgte in der Rückrunde in Form einer bitteren 3:0-Klatsche Ernüchterung und damit die Fortsetzung der Negativserie beim WSV. Die sportlichen Voraussetzungen der laufenden Saison scheinen besser denn je, doch es handelt sich eben nicht um ein ganz normales Ligaspiel: Der seit 12 Spielen sieglose Wuppertaler SV fiebert seinem Spiel des Jahres entgegen!

Aufgrund notwendiger Sparmaßnahmen musste der Kader stark abgespeckt werden wird wohl bis zum Schluss um den Klassenerhalt zittern müssen. Der im Umfeld überaus beliebte Trainer Andreas Zimmermann wurde drei Auftaktsiegen zum Trotz nach der einsetzenden Negativserie entlassen – eine Trendwende konnte bis heute nicht eingeleitet werden. Sportdirektor Karsten Hutwelker sah sich dem Zorn der Anhänger ausgesetzt und konnte das Ruder als Interimstrainer nicht herumreißen. Auch der von ihm eingesetzte Nachfolger Alexaner Voigt wartet noch auf den ersten Sieg und so setzt man in Wuppertal voll auf die Karte „Derby-Sieg“, um die Abwärtsspirale auf und neben dem Platz zu stoppen.

Die finanziellen Schwierigkeiten ergaben sich vor allem aus dem überteuerten Kader der Vorjahre, als der WSV mit Bednarski, Malura, Meier und Windmüller auch vier Spieler aus Essen an den Zoo lockte. Im aktuellen Kader finden sich mit Daniel Grebe und Silvio Pagano nur noch zwei ehemalige Rot-Weisse, Pagano kehrte dabei mehr oder minder aus dem Ruhestand zurück ins Team, das kaum mit bekannten Namen aufwartet.

RWE hingegen hat sich aus der kleinen Negativserie von drei Niederlagen in Folge herausgearbeitet: Den Arbeitssiegen in Bergisch-Gladbach und Düsseldorf folgte gegen die Sportfreunde Lotte trotz Rückstands der dritte Ligasieg in Folge. Im Niederrheinpokal wurde der Oberligist Schonnebeck mit 9:0 demontiert und der zwischenzeitlich nicht mal mehr im Kader stehende Marcel Platzek konnte sich sehr zur Freude vieler Anhänger seinen Stammplatz zurückerkämpfen und auch seine Torlos-Durststrecke mit je einem Treffer in den letzten beiden Pflichtspielen beenden.

Die sportlichen Vorzeichen sprechen am Sonntag für Rot-Weiss Essen – doch die witterungsbedingten Platzverhältnisse, sowie ein hochmotivierter Gegner, der in diesem einen Spiel die leidgeprüfte Anhängerschaft versöhnen kann, deuten auf einen mühseligen Kampf hin, den die rot-weisse Mannschaft von der ersten Sekunde annehmen muss. Auch wenn einige Gästefans aufgrund von Betretungsverboten dem Spiel fernbleiben werden und mehrere Gruppen es ihnen aus Solidarität gleichtun, wird der Gästeblock am Sonntag gut gefüllt sein, um nach 33 Jahren hoffentlich mal wieder einen Liga-Auswärtssieg im Stadion am Zoo bejubeln zu dürfen.

Dominik Gsell

Spielbericht

Wuppertal, Stadion am Zoo, Sonntag, der 10. November um 15:56 Uhr. Hedon Selishta stürmt wie von der Tarantel gestochen (ob die zuvor aus dem Zoo ausgebüchst war?) knapp 100 Meter von seinen Mitspielern inklusive der RWE-Bank verfolgt Richtung Essener Kurve, um dort in einer Jubeltraube mit den angereisten Anhängern den 2:1 Siegtreffer für Rot-Weiss in der 6. Minute der Nachspielzeit zu zelebrieren. Wahnsinn!

Oben in der Kurve fielen sich derweil die sprichwörtlich wildfremden Menschen total euphorisiert in die Arme. So großartig das für RWE ist, desto bitterer traf es den WSV und seine Fans, denen an dieser Stelle Mitgefühl zuteil werden soll. Wir haben es umgekehrt oft genug erlebt, dass in einer Sekunde auf die andere alle Hoffnungen in sich zusammen fallen.

Knapp zwei Stunden zuvor waren beide Mannschaften vor insgesamt 4.500 Zuschauern, Rekordkulisse für den WSV, zum traditionsreichen Westschlager angetreten. Der Gast aus Essen wurde vor Ort von gut 1.000 Fans unterstützt, präzise Schätzungen fallen schwer. Eine nicht unerhebliche Menge an RWE-Anhängern hatte aus Solidarität mit einigen Personen, gegen die die Polizei ein Betretungsverbot verhängt hatte, den Weg zum Auswärtsspiel nicht angetreten. Sie signalisierten der Mannschaft jedoch vor der Abreise ins Tal ihre Solidarität mit einer morgendlichen Pyroshow, die beim RWE-Team offenbar gut angekommen war, so jedenfalls Trainer Titz und Siegtorschütze Selishta. Jedenfalls war nun allen klar, dass die Partie einen besonderen Stellenwert hat. In der RWE-Anfangsformation befand sich erstmals Jan Neuwirt, der den gelbgesperrten Dennis Grote vertrat. Für Neuwirt sprach auch seine Flexibilität, denn der ehemalige Wolfsburger kann sowohl in der Zentrale als auch auf den Außenbahnen eingesetzt werden, was später im Spiel wichtig werden sollte. Ansonsten blieb bei RWE alles unverändert, also stürmte auch Marcel Platzek wieder von Beginn an. Bevor es losging, gab es noch eine Schweigeminute. Hierbei wurde Robert Enke, dem vor 10 Jahren bei einem Suizid ums Leben gekommenen ehemaligen Nationaltorwart, und im Anschluss daran zwei verstorbenen langjährigen Wuppertaler Anhängern gedacht. Beide Fanlager absolvierten die Prozedur in respektvoller Stille.

Diese sollte bei Anpfiff vorbei sein. Beide Kurven gaben Gas und lieferten sich u.a. Mitte der ersten Hälfte eine Art Beleidigungswechselgesang, der zum Schmunzeln anregen konnte. Die in größten finanziellen und sportlichen Schwierigkeiten steckenden Gastgeber hatten das Westderby gegen RWE im Vorfeld zum Spiel des Jahres ausgerufen und dabei auch nicht mit dramatischen Formulierungen gegeizt. Die WSV-Mannschaft hatte sich das zu Herzen genommen und sollte über die gesamte Spielzeit hinweg den Essenern das Leben schwer machen. Auf dem tiefen und schwer bespielbarem Boden kam RWE jedoch erwartungsgemäß besser ins Spiel als die seit 12 Partien sieglosen Wuppertaler. Nach 11 Minuten spielte Oguzhan Kefkir einen Pass zum Zungeschnalzen auf Marco Kehl-Gomez, der jedoch frei vor dem gegnerischen Tor an Torhüter Lübcke scheiterte. Ein Essener Treffer hätte wohl ein anderes Spiel erzeugt. Auf dem mehr oder weniger grünen Rasen entwickelte sich ein Kampf auf Biegen und Brechen und um förmlich jeden Zentimeter Raum.

Schiedsrichter Fabian Maibaum aus Hagen fand dabei über das gesamte Spiel hinweg leider zu keiner klaren Linie in der Auslegung von Zweikämpfen. Nach 20 Spielminuten hatte sich Amara Condé bereits um seinen Gegenspieler herum manövriert und wollte mit dem Ball Richtung Tor aufbrechen, da wurde er mit einer Ringereinlage zu Boden befördert. Das ist eigentlich nichts anderes als ein Foul, nicht so für Maibaum. Der WSV schaltete schnell gegen die weit aufgerückten Gäste. Ein guter Seitenwechsel landete bei Gianluca Marzullo, der nicht lange fackelte und trocken ins lange Essener Toreck traf. Keine Chance für Jakob Golz. Frenetisch der Jubel der Gastgeber, lange Gesichter auf der anderen Seite. Dieses Ereignis ging nicht spurlos an RWE vorbei, in der Folgezeit war die Partie ausgeglichen und der WSV kam vermehrt zu Eckstößen, die die Essener nicht immer souverän klärten. Weiteres Ungemach entstand jedoch nicht. Im Aufbauspiel griff RWE offenbar den Platzverhältnissen geschuldet ungewohnt vermehrt zu langen und hohen Bällen, die den Gastgeber nicht vor unlösbare Probleme stellen sollten. Titz reagierte wie gewohnt früh. Nach 38 Minuten war Schluss für den geschwächt von einer Erkältung ins Spiel gegangenen Kevin Grund. Joshua Endres kam ins Spiel, Neuwirt nahm die Position von Grund ein, RWE war somit in der Zentrale offensiver eingestellt. Bis zur Halbzeit besann sich RWE dann auf das Fußballspielen und kreierte sogleich zwei gute Ausgleichschancen. Zunächst hatte David Sauerland rechts im Wuppertaler Strafraum den Ball, seine scharfe Hereingabe verpassten Kefkir und Endres in der Mitte und der WSV konnte mit Mühe klären. Kurz darauf hatte Kefkir vor der Box Platz und schoss gefährlich, Lübcke klärte stark mit einer Hand. So ging es mit der Wuppertaler Führung in die Pause. Nicht wenige RWE-Anhänger haderten mit dem Schicksal, dass ihr Team den überraschenden Verler Ausrutscher in Homberg womöglich nicht nutzen könnte.

So weit war es zum Glück jedoch noch lange nicht. Die zweite Hälfte brachte das zuvor erwartete Spiel auf ein Tor. Nach 56 Minuten musste der emsige aber glücklose Erolind Krasniqi Hamdi Dahmani weichen. Dieser zeigte sich im Eifer des Gefechtes ballsicher und war eine Bereicherung des RWE-Spiels. Kurz darauf durften dann auch alle, die es mit RWE hielten, lauthals jubeln. Nach knapp einer Stunde legte sich Kefkir den Ball zum Eckstoß zurecht. Diese waren bislang wenig gefährlich, doch nun servierte Ötzi die Kugel maßgerecht für Marcel Platzek, der in echter Mittelstürmer-Manier volley einnetzen konnte. Platzos zweiter Treffer in Folge. Die Verhältnisse auf dem Feld wurden nun noch eindeutiger, aber der WSV brach nicht ein und verteidigte leidenschaftlich mit allem, was er hatte. Dazu gehörte auch eine gehörige Portion Härte. Viermal musste Maibaum Gelb für einen WSV-Akteur zücken, bei einigen sehr harten Aktionen z.B. gegen Kefkir, der nach einem Einsteigen von hinten minutenlang humpelte, gab es jedoch nichtmals diese Verwarnung. Auf der Gegenseite wurde nur einmal Gelb gezeigt, und zwar für Daniel Heber, der seinen Gegenspieler bei einem der kaum noch stattfindenden Entlastungsangriffe kurz vor dem Strafraum zu Fall gebracht hatte. Ein Freistoß aus bester Position für den WSV, der jedoch in der Mauer landete.

Titz wechselte derweil weiter fleißig, brachte in der 73. Minute Dorow für Platzek und in der 85. Minute Selishta für Condé. Ein klares Zeichen von der Essener Bank, dass ein Punkt zu wenig sei. Dieser wiederum reichte dem WSV. Es verging kaum eine Minute, in der nicht ein oder gar zwei Spieler der Gastgeber zu Boden sanken. Mal waren sie von Wadenkrämpfen geschüttelt, mal war der Grund nicht wirklich auszumachen. Auch bei jedem Abstoß oder Einwurf hatte der WSV sehr viel Zeit. Die RWE-Bank quittierte dieses mit wütenden Protesten. Die Uhr lief aber so unerbittlich herunter. RWE war stetig hoch überlegen, erspielte sich aber offen gestanden auch kaum eine nennenswerte Gelegenheit, da immer ein Wuppertaler Bein in die Quere kam. Plötzlich hätte der Gastgeber dann das Spiel um ein Haar völlig auf den Kopf gestellt, als Saric sich am 16-Meter-Raum der Rot-Weissen schön in Szene setzte und abzog. Der Ball klatschte an den Außenpfosten des RWE-Tores. Der Anhang atmete tief durch und schien bereit, sich mit dem Remis zu arrangieren. Nicht so die Mannschaft. Schiri Maibaum hatte aufgrund der zahlreichen von den Gastgebern initiierten Spielunterbrechungen 5 Minuten Nachspielzeit angezeigt. Innerhalb dieser gab es die nächste Behandlung eines Wuppertalers, sodass wir auch noch die 6. Minute oben drauf kriegen sollten.

RWE erhielt fast auf Höhe der Mittellinie einen Freistoß zugesprochen. Daniel Heber spielte diesen lang und weit nach vorne, der WSV konnte nur auf Kosten des nächsten Ballverlustes klären, Hahn spielte die Kugel wieder vorne rein, diesmal fiel Dorow der Ball vor die Füße, der direkt auf Sauerland nach rechts weiterleitete. Sauerland hatte in dieser Partie schon diverse Anläufe genommen, sich gegen seinen Gegenspieler durchzusetzen und nun gelang es ihm. Seine scharfe Hereingabe konnte Dorow zwar nicht verwerten, jedoch leitete sein missglückter Abschluss den Ball genau vor die Füße von Selishta, der hedonistisch den Augenblick genoss und freistehend einschob. Ein kurzer Blick zum Linienrichter, der signalisierte Tor und nun ging die rot-weisse Ekstase ab. Keeper Lübcke protestierte vehement auf Abseits, aber gleich zwei WSV-Verteidiger hatten sich noch hinter Selishta befunden und trotteten schuldbewusst von dannen. Der eingangs schon beschriebene RWE-Jubel suchte seinesgleichen. Goldtorschütze Selishta holte sich nach Auflösung der Jubeltraube noch Gelb dafür ab, dass er beinahe im wahrsten Sinne des Wortes in der Fankurve abgetaucht war. Maibaum pfiff tatsächlich nochmal an. Den langen Verzweiflungsball der Wuppertaler konnte RWE klären und Dorow bot sich nach Vorarbeit des sehr wirkungsvollen Top-Jokers Selishta sogar noch die Chance zum 3:1. Diese blieb ungenutzt und der Referee beendete das Spiel nach 7 Minuten Extratime. Die wütenden „Schieber“-Rufe der natürlich bis ins Mark getroffenen WSV-Fans dürften der Emotion geschuldet sein. An der Berechtigung der Zusatzschicht konnte jedenfalls kein Zweifel bestehen, zumal der WSV überraschenderweise sogar nochmal anstoßen durfte.

Fazit, RWE gewinnt dieses Jahr auch die Spiele, die dem Anhang besonders wichtig sind. Nach dem 3:0 in Oberhausen beendete unsere Mannschaft eine 33 Jahre (!) währende Durststrecke und gewinnt endlich wieder ein Punktspiel am Zoo. Das ist nicht selbstverständlich, egal wie die Vorzeichen gestanden hatten. An diesem Sonntag im Tal war kein Schönheitspreis zu gewinnen, wohl aber die drei Punkte und die Essener lieferten unterm Strich ab. In den letzten Jahren ließ man solche Punkte regelmäßig liegen. Der Lohn, wieder beste Aktien im Aufstiegskampf sowie ein Empfang am Stadion Essen wie nach dem Gewinn einer Liga-Meisterschaft. In roten Pyrohauch gehüllt rollte der Essener Mannschaftsbus in der Heimat ein. Die Anhänger sagten Danke! Und nun ist wohl jedem RWE-Akteur klar, für welchen ganz besonderen Verein er seine Fußballschuhe schnürt.

NUR DER RWE!

Sven Meyering

Fotos by M.E.

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