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Ich will in den Kopf und die Seele des Spielers hineinkommen – Interview mit Christoph Dabrowski

Christoph Dabrowski hat ein intensives Halbjahr Rot-Weiss Essen hinter sich. Die verfrühte Winterpause haben wir für ein großes Jawattdenn-Interview genutzt, für das Christoph Dabrowski sich sehr viel Zeit genommen hat. Viel Spaß dabei!

Man sollte meinen, dass Christoph Dabrowski nach dem wechselhaften Saisonverlauf in der 3. Liga um viele Jahre gealtert wäre, doch schwungvoll kommt der RWE-Trainer zum Interview. Wobei er gleich zu Beginn zugibt, wirklich schwere Beine zu haben, da er einen Tag vorher die Laufeinheit mitgemacht hat. Nichtsdestotrotz nahm sich Christoph Dabrowski viel Zeit, um ausführlich mit uns über die Vorbereitung der Rückrunde, seinen Werdegang und seine Anfangszeit bei RWE zu sprechen:

Jawattdenn.de: Beinahe eine Halbserie ist gespielt, Zeit für eine Zwischenbilanz. Wie zufrieden bist Du mit 22 Punkten aus 17 Spielen?

Christoph Dabrowski: Nach den ersten sechs Spielen können wir mit dem Punkteschnitt und den 22 Punkten erstmal zufrieden sein. Es war nicht einfach, denn die Euphorie war am Anfang groß und wir wurden dem nicht gerecht. Seit dem siebten Spieltag haben wir aber konstant gepunktet. Wir haben damals den Kader noch einmal verstärkt und Spieler mit Qualität dazu geholt, was gleichzeitig auch die anderen Spieler noch einmal besser gemacht hat. Wir wurden besser und stabiler, weil die Integration der Neuzugänge sehr gut funktioniert hat.

Nun sind wir im Soll, es wird aber noch ein harter Weg. Die Mannschaft hat es aber geschafft zu einer Einheit zu werden. Das stimmt mich positiv, dass wir den Weg weitergehen. Ich würde es gerne noch ausbauen, denn wir haben noch zwei Spiele, in denen wir noch Zählbares mitnehmen können. In der Rückrunde wollen wir dann mindestens genauso viele Punkte wie in der Hinrunde holen. Wir sind nämlich in diese Liga gekommen, um zu bleiben.

Jawattdenn.de: In den letzten Jahren gab es im Winter kaum Vorbereitungszeit, weil die Rückrunde sehr früh begonnen hat. Das ist durch die WM anders. Was hältst Du von der These, dass das für einen Trainer einen Glücksfall darstellt, weil dadurch eine richtige Vorbereitung möglich ist, in der gezielt an Schwächen gearbeitet werden kann?

Christoph Dabrowski: Im Winter müssen wir flexibel auf die Witterungsbedingungen reagieren, was es nicht einfacher macht. Es wird manchmal zäh, wenn wir nur im Park laufen, im Kraftraum oder in der Soccerhalle und nicht auf dem Platz sind. Vor diesen Herausforderungen stehen aber auch andere Vereine.

Für uns war die Pause aber deshalb wichtig, damit alle den Kopf frei bekommen konnten. Gerade diejenigen, die schon länger hier sind, haben im ganzen Jahr 2022 viel erlebt. Der Aufstieg war ein Kraftakt mit sehr vielen Drucksituationen, die die Mannschaft gemeistert hat. Es gab Probleme wie den Böllerwurf oder die Suspendierung vonSpielern. Das muss man erst einmal wegstecken. Auch durch den schwachen Start hat sich das Team in eine Drucksituation gebracht. Deswegen war es gut, das einmal sacken zu lassen. Jetzt nutzen wir die Zeit, um bestimmte Dinge zu verfeinern.

Jawattdenn.de: Ein positives Signal war das Testspiel gegen Paderborn, der immerhin Zweitligist ist…

Christoph Dabrowski: …das darf man nicht überbewerten.

Jawattdenn.de: Welche Erkenntnisse konntest Du denn aus dem Spiel ziehen?

Christoph Dabrowski: Wir konnten durchwechseln und ich konnte sehen, dass jeder Spieler den Konkurrenzkampf anheizen will. Man sieht seit dem ersten Trainingstag, dass sich niemand ausruhen kann. Manche Spieler lagen bisher noch unter ihrem Potential und wollen sich herankämpfen, andere Spieler kehren aus Verletzungen zurück und haben den Anspruch, wieder Spiele zu machen. Die Leistungsdichte ist eng beieinander, sodass jeder Einzelne gucken muss, dass er um seine Position kämpft.

Trotzdem war das nur ein Testspiel. Es wurde von beiden Clubs nicht so dynamisch gespielt wie in einem Ligaspiel. Aber wir wollen Erfolgserlebnisse sammeln und dafür war es gut.

Jawattdenn.de: Ein Fokus lag auf Tobias Warschewski, der ein schönes Tor erzielt hat. Hast Du im Training einen Eindruck gewinnen können, ob er Rot-Weiss Essen weiterhelfen kann?

Christoph Dabrowski: Er hat einen ordentlichen Eindruck hinterlassen. Wir müssen uns aber bei jeder Verpflichtung darüber Gedanken machen, ob uns ein Spieler nicht nur kurzfristig, sondern auch mittel- und langfristig besser macht. Wir haben bereits gute Offensivspieler in unserem Kader: Simon Engelmann trainiert wieder mit, Ron Berlinski ist da und auch Luca Wollschläger hat große Ambitionen, auch wenn er bislang unter seinen Möglichkeiten geblieben ist. Es bringt nichts, wenn der Spieler für uns nicht sofort die Kastanien aus dem Feuer holen kann. Deswegen werden wir die Woche abwarten, die Köpfe zusammenstecken und eine Entscheidung fällen.

Jawattdenn.de: Zu Deinem Werdegang: Du hast mit zehn Jahren mit dem Fußball beim 1. FC Schöneberg in Berlin begonnen. War der Fußball als Kind bereits Dein Nummer-Eins-Sport?

Christoph Dabrowski: Das war damals noch nicht klar. Ich habe damals parallel auch Leistungsschwimmen im Verein betrieben. Meine Woche bestand eigentlich nur aus Schwimmen und Fußball. (lacht) In Berlin gibt es an jeder Straßenecke Fußballkäfige und in diesen Käfigen ist meine Fußballleidenschaft gewachsen. Dort war ich mit meinen Freunden von morgens bis abends.

Irgendwann hat meine Mutter mich vor die Wahl gestellt, was ich weitermachen will, weil sie die Gefahr sah, dass es schwierig mit der Schule wird, wenn ich beide Sportarten so weitermache. Ich habe mich für den Fußball entschieden, es wurde dadurch mit der Schule aber nicht besser (lacht). Ich habe wie ein Wahnsinniger trainiert. An trainingsfreien Tagen meiner D1-Jugendmannschaft bin ich zu den Trainingszeiten der D2 und D3 gegangen und habe die Trainer gefragt, ob ich dort mitmachen darf.

Jawattdenn.de: Du bist mit gerade 17 Jahren von Hertha BSC zu Werder Bremen gewechselt, warst also noch minderjährig. Wie schwierig war es denn, Deine Mutter zu überzeugen, dass Du so weit weg gehst?

Christoph Dabrowski: In Duisburg finden regelmäßig Spiele der Länderauswahlmannschaften gegeneinander statt. Ich durfte für die Berliner Auswahl in der A-Jugend mitspielen. Dort hat mich jemand von Werder gesehen. Er kam zu uns nach Hause und sagte meiner Mutter im Wohnzimmer, dass Werder Interesse hätte, ihren Sohn anzuschauen. Sie sagte, es sei kein Problem, denn Werder sei ja direkt um die Ecke. Sie dachte, es ginge um Werder im Havelland direkt neben Potsdam.

Dann hat er sie aufgeklärt, dass es sich um Bremen handelt. Da hat sie erst einmal geschluckt. Ich wollte aber unbedingt dort spielen und konnte meinen Kopf am Ende durchsetzen. Im Nachhinein war es gut, dass sie so entschieden hat.

Jawattdenn.de: Die Entscheidung stelle ich mir für Eltern ganz schwierig vor.

Christoph Dabrowski: Das ist brutal. Für meine Oma war es noch schlimmer. Ich bin bei ihr groß geworden, weil meine Mutter berufstätig war. Ich bin jeden Tag nach der Schule zu meiner Oma zum Essen gegangen, wir waren ein Herz und eine Seele. Als ich dann gegangen bin, hat das Herz geblutet.

Jawattdenn.de: Die Entscheidung war der Beginn einer langen und erfolgreichen Profikarriere. Bereits mit 21 Jahren standst Du in der Startelf im Pokalfinale gegen Bayern, in dem Werder den DFB-Pokal gewonnen hat. War das in so jungen Jahren schon das Karrierehighlight als Spieler?

Christoph Dabrowski: Bei Werder kann ich mich an viele Highlights erinnern. Dort habe ich mein erstes Bundesligaspiel gemacht. Im Jahr 1999 waren wir abstiegsgefährdet und ich habe kurz vor Saisonende mein erstes Bundesligator zum 1:0 Sieg gegen Schalke erzielt. Da ging es um die Existenz des Vereins. Vier Wochen später war das Pokalfinale, da habe ich den Pokal hochgehalten, nachdem wir Bayern München im Elfmeterschießen geschlagen haben. Danach ging es in den UEFA-Cup gegen Parma, Lyon und Arsenal London. Ich habe auf einmal in Highbury gespielt, dem altehrwürdigen Stadion von Arsenal, auch das waren Highlights.

In meinem letzten Jahr bei Bremen kam der Knick, weil mich einige Verletzungen zurückgeworfen haben. Da habe ich bewusst den Schritt zurück in die 2. Liga zu Arminia Bielefeld gemacht. Dort sind wir in die 1. Bundesliga aufgestiegen. Ihr wisst in Essen selbst gut, welch ein Highlight so ein Aufstieg ist. Man muss also nicht in der 1. Liga spielen, um solche Erlebnisse zu haben.

Jawattdenn.de: Nach Bielefeld und Hannover bist du zum VfL Bochum gegangen, wo Du den größten Teil Deiner Profikarriere verbracht hast. Wie kam es zum Wechsel ins Ruhrgebiet?

Christoph Dabrowski: Ursprünglich wollte ich in Hannover bleiben und war in guten Gesprächen. Dann gab es in den Verhandlungen einige Hürden von Seiten des Vereins, da der Manager andere Ideen hatte. Umgekehrt war die Wertschätzung aus Bochum sehr hoch, sie wollten mich unbedingt haben. Da habe ich das Angebot angenommen. Der Anfang war nicht einfach. Es zieht sich wie ein roter Faden durch meine Stationen, dass ich Anlaufzeit benötige und die Leute überzeugen muss. Dann lief es aber richtig gut in Bochum. Die Leute haben sich mit meiner Art, Fußball zu spielen und mit mir als Mensch identifiziert.

Ich bin auch kein Typ, der ständig die Vereine wechselt. In Bremen war ich sechs Jahre, in Bochum sieben. In Bielefeld waren es nur zwei. Wir sind auf- und sofort wieder abgestiegen. Da ich die Chance bekam, in Hannover in der ersten Liga zu bleiben, habe ich diese Möglichkeit auch genutzt. Dort wäre ich auch gerne länger geblieben, aber wenn man sich nicht einigt, muss man schauen, wie es weitergeht.

Jawattdenn.de: Wann kam für Dich der Moment, in dem Du überlegt hast, dass Du Trainer werden möchtest?

Christoph Dabrowski: In meinen letzten beiden Jahren als Spieler habe ich die B- und A-Lizenz jeweils in meinen Sommerurlauben gemacht. Da habe ich mir das schon überlegt. Ich habe versucht, solang es geht, die Fußballschuhe anzubehalten. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass ich müde war und das Feuer, das ich immer für mein Spiel benötigt habe, nicht mehr so stark loderte. Dann habe ich aufgehört und wollte mich neu ausprobieren.

Es dauerte vom Sommer bis zum Oktober 2013, bis ich durch mein bestehendes Netzwerk in Hannover die Möglichkeit bekommen habe, Einblicke in die Jugendarbeit von Hannover 96 zu bekommen. Es hat mir Spaß gemacht, diese jungen Fußballer zu formen, aber auch mich selbst als Trainer Stück für Stück zu entwickeln. Ich wurde ehrgeiziger und habe letztes Jahr die Chance bekommen, die Profimannschaft von Hannover aus dem Schlamassel zu holen.

Jawattdenn.de: Du sagtest, Du hast Freude an der Arbeit mit den jungen Spielern…

Christoph Dabrowski: …nicht nur mit den jungen Leuten. Ein 33-jähriger Spieler ist zwar auch ein junger Mensch, im Mannschaftsgefüge eines Fußballteams ist es aber ein älterer Spieler. Es ist eine tolle Herausforderung mit so einem erfahrenen Spieler zu arbeiten, ihn zu führen und richtig zu händeln. Ich kann ihn nicht wie einen 18-jährigen behandeln. Ich muss unterschiedliche Charaktere unterschiedlich behandeln. Jeden Tag muss man Entscheidungen treffen, manchmal auch aus einem Bauchgefühl. Dafür braucht man Führungsqualitäten und das ist spannend an dem Beruf.

Jawattdenn.de: Du hast unter sehr vielen prominenten Trainern gespielt. War einer dabei, der für Dich ein Vorbild für Deine Arbeit ist?

Christoph Dabrowski: Das ist schwierig, weil ich so viele gute Trainer hatte. Ich nenne meistens Friedhelm Funkel, weil er ein Gespür dafür hat, wie er mit einer Mannschaft umgeht. Felix Magath war ein harter Knochen, er hat jungen Spielern aber gezeigt, was nötig ist, um ein Profi zu werden. Thomas Schaaf war mein A-Jugendtrainer, Amateurtrainer und Profitrainer, hinterher war ich ein halbes Jahr sein Co-Trainer bei Hannover. Er ist eine Legende. Benno Möhlmann in Bielefeld, Ralf Rangnick, Ewald Lienen, Peter Neururer, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll.

Jawattdenn.de: In Hannover ist es ja trotz erfolgreicher Punktausbeute nicht weitergegangen.

Christoph Dabrowski: Ich bin dem Verein sehr dankbar, denn er hat mir eine große Chance ermöglicht. Alle Ziele, die der Verein mit meiner Installation als Trainer verfolgt hat, haben wir erreicht. Ich habe in den verbleibenden Spielen 28 Punkte geholt [zum Zeitpunkt von Dabrowskis Übernahme stand Hannover mit 14 Punkten nach 15 Spielen auf dem Abstiegsrelegationsplatz, d.Red.]. Wir sind gegen Mönchengladbach ins Viertelfinale des DFB-Pokals gekommen, wo wir leider gegen RB Leipzig verloren haben. Unterm Strich war das eine erfolgreiche Zeit und für mich als Trainer der Einstieg in den Profibereich. Ich sehe mich eher als Trainer, der eine Mannschaft formen kann, da ich aus dem Jugendbereich komme. Es ist trotzdem schön, dass ich zeigen konnte, dass ich eine Mannschaft in einer Krise übernehmen, stabilisieren und begeistern kann.

Man kennt Hannover. Martin Kind denkt sehr ambitioniert. Deswegen hatte der Verein andere Ideen. Mein Vertrag wurde nicht verlängert und das habe ich akzeptiert. Aber ich freue mich, dass ich jetzt hier sitze und diese Power an der Hafenstraße mitbekommen kann.

Wo eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere, habe ich einem Journalisten bei meinem Abschlussinterview in Hannover gesagt. Leider war dies mit der Freistellung von Christian Neidhart verbunden – das wünsche ich keinem Trainerkollegen. Aber das Geschäft ist so und ich habe heute Spaß an dieser Aufgabe.

Jawattdenn.de: Wie kam der Kontakt mit RWE zustande?

Christoph Dabrowski: Es gibt bei vielen Vereinen Kennenlerngespräche, ohne dass man konkrete Verhandlungen führt. Da guckt man bei einem Kaffee, ob man ein Gefühl füreinander bekommt. Solch ein Treffen hatte ich auch mit Jörn Nowak. Der Verein hat sich Zeit genommen, um den Markt zu sondieren und Gespräche zu führen und zwei, drei Wochen nach dem Aufstieg wurde es dann konkreter. Am Ende war ich wohl die richtige Lösung, auch wenn in der Anfangszeit einige nicht daran geglaubt haben.

Jawattdenn.de: Umgekehrt hatte ich den Eindruck, dass sämtliche Verantwortliche auch bei den Ergebnissen zu Saisonbeginn die volle Überzeugung in Deine Arbeit hatten.

Christoph Dabrowski: Da dies ein Traditionsverein ist, könnte man denken, dass sich die Führung von den Emotionen aus dem Umfeld lenken lässt. Ich muss aber sagen, egal ob die sportliche Leitung, das operative Geschäft oder der Aufsichtsrat als Kontrollgremium, alle haben einen klaren Weg vor Augen, den sie verfolgen. Dass es zu Beginn nicht einfach wird, haben alle mit einkalkuliert.

Die 3. Liga ist anders als die Regionalliga. RWE war gewohnt in 38 Spielen nur fünfmal zu verlieren. Man muss sich erstmal daran gewöhnen, dass es nun anders läuft. Meine Erfahrung in Hannover war, dass in der Krise Ruhe und Geschlossenheit bewahrt werden müssen, um erfolgreich zu sein. Das habe ich hier im Verein immer gespürt.

Jawattdenn.de: Du hast Deinen steilen Aufstieg als Trainer beschrieben. Musstest Du überlegen, ob Du nochmal den Schritt zurück in die Dritte Liga gehen willst, als das Angebot von RWE kam?

Christoph Dabrowski: Ich möchte so viel erreichen, wie es geht. Ein Traum von mir ist in der Bundesliga zu trainieren. Wenn sich eine Möglichkeit bietet, muss man überlegen, was man macht. Ich hätte auch abwarten können, bis sich ein Verein meldet, der auch in der Krise ist. Dann wäre ich aber wieder Feuerwehrmann gewesen. RWE ist in der Dritten Liga extrem reizvoll mit dem Stadion, mit den Fans und mit den Ambitionen, deswegen habe ich das gemacht. Es war die richtige Entscheidung, ich bin froh, hier zu sein!

Jawattdenn.de: Bei genauerer Betrachtung waren nicht alle Spiele in der ersten Saisonphase schlecht. Die zweite Halbzeit in Duisburg und die ersten 60 Minuten gegen Ingolstadt waren durchaus ansehnlich…

Christoph Dabrowski: …vor allen Dingen die ersten beiden Heimspiele sollte man aus dem Gedächtnis löschen. (lacht) Aber ernsthaft gesprochen, kam viel zusammen in den ersten Spielen. Gegen Viktoria Köln haben wir in den ersten 20 Minuten ein gutes Spiel gemacht, nach vorne gespielt und Viktoria unter Druck gesetzt. Die erste Flanke sitzt dann sofort, vor der Halbzeit kriegen wir einen Elfmeter, nach der Halbzeit schießen wir ein Eigentor. Danach fahren wir nach Dortmund und bekommen so ein Slapsticktor, weil Jakob Golz noch nicht in der Verfassung war, wie er es jetzt ist.

Jeder hatte mit sich zu kämpfen und ich habe überlegt, wie ich bestmöglich unterstützen konnte.

Jawattdenn.de: Es gibt durchaus Trainer, die ihren Stiefel, komme was wolle, weiter durchziehen. Du warst flexibel, indem Du die ursprüngliche Spielidee hintangestellt hast und, erstmals in Dortmund, die Abwehr mit der Fünferkette erfolgreich stabilisiert hast?

Christoph Dabrowski: Das ist eine pragmatische Entscheidung. Ich habe mich von einem Baustein gelöst, um ein Leck dichtzumachen. Erstmal wollten wir dann auf Stabilität gehen. Das hat grundsätzlich auch funktioniert. Hätte Simon Engelmann in Dortmund nicht wenige Zentimeter daneben gehauen, aber hätte, hätte…

Jawattdenn.de: Ich würde den Fokus auch gerne verschieben. Waren denn die Neuverpflichtungen der Grund für den Turnaround nach dem misslungenen Saisonstart?

Christoph Dabrowski: Es war notwendig, dass wir auf bestimmten Positionen nachlegen. Wir haben Andy Wiegel mit seiner Wucht, mit seiner Power und Leidenschaft geholt. Er passt wie die Faust aufs Auge hier hinein. Felix Götze ist ein absoluter Unterschiedsspieler, der mehrere Positionen spielen kann. Clemens Fandrich wurde zweimal zurückgeworfen für acht, neun Tage, weswegen er hintendran war. Luca Wollschläger ist ein junger Spieler, dem man Zeit geben muss. Durch diese Spieler wurden auch alle anderen Spieler besser, sicherer und stabiler.

Manchmal braucht es kleine Veränderungen und das Drumherum wächst, wenn es menschlich passt. Und es passt menschlich hervorragend.

Jawattdenn.de: Du hast nach einem der ersten Spiele gesagt, dass die Spieler auch eine Eingewöhnungszeit für die Dritte Liga brauchen. Viele Spieler zahlen Dein Vertrauen mittlerweile mit Leistung zurück. Wie schwierig ist denn dieses Vertrauen, wenn man selbst unter einem solchen Ergebnisdruck steht?

Christoph Dabrowski: Zuerst muss ich ein Potential sehen. Wenn ich das Potential sehe, dann kommuniziere ich mit diesem Spieler, ich fordere ihn, indem ich ihm klare Aufgaben gebe. Ich muss Geduld haben, aber ich erwarte auch, dass der Spieler irgendwann sein Potential abruft. Der Spieler muss aber auch spüren, dass genug Vertrauen da ist, dass er auch mal einen Fehler machen kann, denn mit der Brechstange erreicht man nichts.

Durch die Kommunikation mit der Mannschaft und mit Einzelnen ist ein großes Vertrauen gewachsen. Am Ende brauchst du aber auch Erfolgserlebnisse auf dem Platz. An Jakob Golz sieht man das wunderbar. Er wächst an jeder gelungenen Aktion und ich kann die Entwicklung als Trainer zusätzlich unterstützen. Am Ende ist jeder Spieler aber selbst dafür verantwortlich, ob er seine Leistung abruft.

Jawattdenn.de: Dieses Vertrauen zeigt sich auch in der Außenwahrnehmung. Als Zuschauer hat man das Gefühl, dass es eine sehr enge Bindung zwischen Mannschaft und Trainerteam gibt. Was bist Du für ein Trainertyp?

Christoph Dabrowski: Der Eindruck ist richtig, wir sind eine Einheit. Nichtsdestotrotz ist es unsere Aufgabe, die Mannschaft zu fordern. Gerade in der Vorbereitung verlangen wir jedem Spieler eine Menge ab. Wir sind auch kritisch. Es ist nicht so, als würden wir nur Komplimente auswerfen. In der Hinrunde gab es kritische Punkte und da haben wir die Dinge auch klar auf den Punkt gebracht. Umgekehrt kann ich aber auch loben, wenn etwas gut klappt.

Mir ist es wichtig, viel zu kommunizieren. Ich will am Puls sein und spüren, was los ist. Ich will in den Kopf und die Seele des Spielers hineinkommen. Erst dann kann ich individuell auf denjenigen eingehen. Spätestens wenn der Schiedsrichter anpfeift, brennt die Luft.

Jawattdenn.de: Das ist ein gutes Stichwort: Im Jawattdenn.de-Hinrundenfazit haben wir uns kritisch zur Berichterstattung im Fernsehen geäußert, weil Du ein paar Wochen so hingestellt wurdest, als wärst Du ein Kühlschrank an der Seitenlinie, obwohl wir Dich vor Ort ganz anders erleben. Wie gehst Du mit solchen medialen Zuschreibungen um?

Christoph Dabrowski: Also in Mannheim war ich beispielsweise überhaupt nicht ruhig. (lacht) Am Ende kann ich es nicht ändern, ich habe das aber auch gar nicht mitbekommen. Ich versuche schon die Contenance zu bewahren und nicht der Zappelphilipp an der Seitenlinie zu sein. Aber ich gehe auch mit, ich ärgere mich und jubele. Wenn der Andy Wiegel einen Gegner mit Ball fair umgrätscht, dann balle ich auch die Faust, weil ich das geil finde.

Jawattdenn.de: Grundsätzlich ist es ja durchaus auch ein Kompliment für den eigenen Kampfgeist gelobt zu werden. Allerdings wirkte es in der medialen Berichterstattung zuletzt, als wenn RWE nur kämpfen, aber nicht Fußballspielen würde. Das wird der Mannschaft ebenfalls nicht gerecht.

Christoph Dabrowski: Ich muss vorweg sagen, dass ich diese Kommentare auf den verschiedenen Plattformen nicht kenne. Das Kompliment, dass wir eine enge und homogene Mannschaft geworden sind, höre ich oft und gerne. Dadurch sind wir schwer schlagbar.

Wir haben einen super Mix in den eigenen Reihen. Wir haben Innenverteidiger, die robust und zweikampfstark sind. Wir haben Erfahrung mit Felix Bastians und Andy Wiegel. Wir haben Zweikämpfer im Mittelfeld, wir haben filigrane Techniker. Wir haben 1-gegen-1 Spieler auf den Außen, wir haben Torjäger, wir haben Anläufer vorne, eine Kampfsau wie Berlinski. Am Ende zeichnet sich derjenige in der Liga aus, der als Mannschaft agiert.

Unsere Idee ist schon, dass wir uns fußballerisch entwickeln. Da haben wir auch noch Potential, aber wir mussten in der Hinrunde auch viele andere Aufgaben lösen. Die größte Aufgabe war, eine Einheit darzustellen, mit der sich die Leute identifizieren können. Bei dem Ding bei 1860 München brauchte ich gar nichts zu machen. Die Gemeinschaft ist so gut, dass jeder selbst den Rückstand umdrehen wollte und dann passiert so etwas wie in der 91. Minute auch.

Jawattdenn.de: RWE sah gegen viele Aufstiegsfavoriten wie Dresden, Ingolstadt, Mannheim oder Freiburg gut aus. Wie erklärst Du Dir das?

Christoph Dabrowski: Wenn wir die Heimspiele betrachten – lassen wir die ersten beiden einmal weg – dann haben wir vier Unentschieden und zwei Siege geholt. Für mich persönlich ist die Punktausbeute unbefriedigend, weil ich denke, da geht mehr. Aber es war wichtig, dass die Leute sehen, dass wir marschieren. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass wir Spiele wie gegen Zwickau oder Meppen auf unsere Seite ziehen.

Das Thema ist das Spiel mit dem Ball. Gegen kompakt verteidigende Gegner müssen wir ruhig bleiben und dürfen uns nicht von aufkommender Ungeduld anstecken lassen. Natürlich glauben die Leute, dass wir diese Gegner nach Siegen in Mannheim oder Freiburg locker besiegen müssen, aber das ist nicht so einfach.

Jawattdenn.de: Wir Fans haben gehofft, dass unter unser aller Weihnachtsbaum die ein oder andere Vertragsverlängerung liegt. Hast Du schon einen Wunschzettel an Jörn Nowak weitergegeben?

Christoph Dabrowski: Wir tauschen uns natürlich über Spieler aus, deren Verträge auslaufen und wir besprechen, welche Verlängerungen für die Mannschaft sinnvoll wären. Es finden aktuell Gespräche mit Spielern statt, die wir behalten wollen. Es ist eine Frage der Zeit, bis etwas verkündet wird. Aber wir fangen nicht erst im Mai an, da kann ich alle beruhigen. (lacht)

Jawattdenn.de: Stichwort Menschenführung: Wir haben mit Moustafa Kourouma einen ganz spannenden Spieler im Kader, der auf einer sehr umkämpften Position spielt. Er braucht eigentlich Spielzeit, muss sich aber an gestandenen Spielern vorbeikämpfen. Wie moderiert man einen solchen Prozess?

Christoph Dabrowski: Er ist ein Spieler mit hohem Potential, bei dem ich keine Kopfschmerzen hätte, ihn jedes Mal aufzustellen. Es ist aber schwierig, an Daniel Heber, dem Kapitän, und Alonso vorbeizukommen. Er ist aber sehr flexibel und hat bereits als rechter Außenverteidiger gespielt und er wäre auch in der Lage, in der Dreierkette zu spielen. Mit dem Spieler arbeiten wir individuell und ich sage ihm auch, dass er eine solche Besessenheit entwickeln muss, dass er einen auf der Position wegdrückt. Auch wenn er in seinem Alter gut dabei ist, aber so weit ist er noch nicht.

Wir fördern ihn aber. Er hat schon von Beginn an gespielt, er wurde zur Halbzeit eingewechselt und er spielt regelmäßig im Pokal. Der Junge wird seine Schritte machen, aber man muss behutsam mit ihm umgehen.

Jawattdenn.de: Eine weitere Baustelle positiver Art ist das zentrale Mittelfeld mit erfahrenen Spielern wie Götze, Fandrich, Eisfeld und Rother, dazu Cedric Harenbrock und ein Niklas Tarnat, der öffentlich viel zu tief unter dem Radar ist, weil er in meinen Augen eine granatenmäßige Saison spielt…

Christoph Dabrowski: …bei mir läuft er nicht unter dem Radar, er spielt ja auch immer. Aber die Situation ist brutal aus Trainersicht. Wollen wir mal tauschen?

Jawattdenn.de: Nein, da wüsste ich nicht, wem ich sagen sollte, dass er nicht spielen darf.

Christoph Dabrowski: Da kannst Du Dir vorstellen, wie mein Helm manchmal brennt. (lacht) Du musst gucken, was im Training und den Spielen passiert. Harenbrock und Eisfeld kommen als Rekonvaleszenten und brauchen die Vorbereitung. Andere Spieler haben die Punkte zum Jahresende eingeheimst und sind sieben Spiele unbesiegt geblieben. Es ist klar, dass diese Spieler erst einmal einen kleinen Vorteil haben. Trotzdem ist es gut, dass diese Spieler den Konkurrenzdruck spüren, weil die anderen Spieler auch spielen möchten.

Man überlegt viel, aber manchmal ergeben sich die Situationen auch von selbst. Mal verletzt sich jemand, mal testet man etwas, was funktioniert. Aber am Ende zählt immer das Leistungsprinzip. Das heißt nicht immer zwingend, dass die stärksten Fußballer auf dem Platz sind, manchmal brauchst du auch bestimmte Elemente für ein Spiel. Da muss ein Trainer ein Gespür für haben.

Jawattdenn.de: Die Fans zeigen ein enormes Fingerspitzengefühl gegenüber der Mannschaft. Allerdings gab es Dir gegenüber in der ersten Phase Kritik, während Du immer mehr Fürsprecher gewinnst. Wie ist der Kontakt mit den RWE-Fans bislang gewesen?

Christoph Dabrowski: Ich fand es vom ersten Tag an fantastisch. In den ersten Spielen musste ich auf die immer gleichen Fragen mit den gleichen Antworten reagieren,. Die Atmosphäre fand ich aber auch in den ersten Spielen fantastisch. Ich finde es schön, die Leute von etwas zu überzeugen. Das muss nicht nach vier Wochen klappen, sondern das dauert manchmal. Ich würde mich freuen, wenn ich in hoffentlich ferner Zukunft mal gehen werde, wenn sich die Leute positiv an mich erinnern.

Jawattdenn.de: Abschlussfrage: Welches Fanlied von RWE gefällt Dir am besten.

Christoph Dabrowski: Opa Luscheskowski finde ich geil. Aber auch Adiole macht mir gerade als Tormusik Spaß. Man merkt einfach im Ruhrgebiet, wie viel Energie dabei ist, mehr als in anderen Regionen in Deutschland.

Jawattdenn.de: Vielen Dank für das ausführliche Gespräch, frohe Feiertage und viel Erfolg im Jahr 2023!

Das Interview führte Hendrik Stürznickel