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Bilanzen mies, Stimmung im Keller – Rot-Weiss Essen und seine Jahreshauptversammlung des Grauens. Die Folge davon: der Abbruch.

Fast 6 Stunden tagten Vorstand, Aufsichtsrat und zumindest anfangs 527 Mitglieder, davon 29 nicht stimmberechtigte, im Congresscenter der Messe Essen, dann wurde die Jahreshauptversammlung des Jahres 2023 abgebrochen. Der Grund, nicht gerade wenige Mitglieder hatten dem Aufsichtsrat und Vorstand die Entlastung verweigert und zeigten sich mit dem gewählten Stimmverfahren, Abzählen per Hand, nicht einverstanden. Spätestens jetzt lief alles aus dem Ruder und die RWE-Verantwortlichen wurden eines Teils der Mitglieder kaum noch Herr. Der Abbruch der Versammlung und die Vertagung des Punktes „Entlastung von AR/Vorstand“ auf eine demnächst einzuberufende außerordentliche JHV. Ein einmalig zu nennender Vorgang.

Aber ein Vorgang mit Ansage, denn Rot-Weiss Essen präsentierte seinen zunächst verblüfften und dann entsetzten Mitgliedern eine Jahresbilanz 2022, die vorsichtig gesprochen Unverständnis hervorrief. Satte 3,6 Millionen Euro Verlust. In einem Jahr, indem man zur Hälfte Regionalliga und zur anderen Hälfte Dritte Liga gespielt hatte. Wie konnte es dazu kommen und was erlebten wir ansonsten auf einer Jahreshauptversammlung, die Augen- und Ohrenzeugen aus vielerlei Gründen als grauenvoll empfanden?

Bevor wir tiefer eintauchen in die Materie vorab eine Kernbotschaft, die am Sonntag in der Messe Essen im Grunde untergegangen war. Rot-Weiss Essen steht weder vor der erneuten Insolvenz noch ist der Spielbetrieb gefährdet. Das Budget für die anstehende Spielzeit bleibt so hoch wie das der vergangenen Saison und soll in den nächsten Wochen noch etwas erhöht werden, falls neue Sponsoren dennoch Vertrauen in den Verein zeigen. Die Lizenz des Deutschen Fußball Bundes ist bekanntlich erteilt. Dafür musste RWE sich aber hinter den Kulissen ordentlich strecken.

Als vor einigen Wochen die Mitteilung öffentlich wurde, Essen müsse noch Lizenzierungsauflagen erfüllen, verwunderte das die Anhängerschaft. Galt RWE doch in den letzten Jahren als finanziell gesund und man war stolz auf eine Eigenkapital-Basis. Zudem sprudelten die Zuschauereinnahmen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Verein sprach lapidar von deutlich verschärften Lizenzierungsauflagen des DFB, immerhin waren in den Jahren zuvor Vereine wie Türkgücü München und der KFC Uerdingen in der Liga aufgeschlagen, ohne diese finanzieren zu können. So dachte man sich noch nicht allzu viel dabei, dass RWE nachsitzen musste. Die Bombe platzte dann erst am Sonntag.

Die schwarze Magie der Zahlen – wo ist das Geld hin?

Mit einem Verlust von gut 400 K hatte RWE ohnehin bewusst kalkuliert und wäre damit ein überschaubares Risiko eingegangen. Leider steigerte man diese Negativbilanz um 800% auf die bereits erwähnten 3,6 Millionen €. War das bereits schlimm genug, so steigerte sich das Gefühl des Entsetzens dadurch, dass man sich bei RWE offenbar gar nicht genau erklären konnte, wann und wo genau das Ganze aus dem Ruder gelaufen war. Ein Drittel der Summe ließ sich konkreter erfassen. Durch den Ausfall des insolvent gewordenen Hauptsponsors Harfid fehlten RWE 500 K an Sponsorengeldern. Zudem fehlten stolze 700 K, weil eine fest zugesagte und bereits eingeplante Spende wider Erwarten nicht geflossen war. 

Dieser Gesamtfehlbetrag von 1,2 Millionen konnte mittlerweile allerdings zur Hälfte eingefahren werden. Das fehlende Harfid-Geld übernahm für RWE – wieder einmal – Sascha Peljhan. Von der 700 K Spende sind zumindest 100 K nun geflossen. Mit dem Restgeld von 600 K rechne man fest. Selbst wenn diese Summe noch käme, blieben 2,4 Millionen Miese über aus dem Jahr 2022. Dieser massive Fehlbetrag konnte den Anhängern nicht plausibel erklärt werden. Weder von Marcus Uhlig noch später von André Helf. Ein Beispiel waren neben einer deutlichen Fehlkalkulation zu den Kosten des Umzugs der Geschäftsstelle die 800 K an höheren Personalkosten und es mutete fast surreal an, dass hierunter auch das Zahlen einer Aufstiegsprämie genannt wurde. Immerhin arbeitete der Verein seit Jahren hin auf diesen Aufstieg und zeigte sich dann unvorbereitet auf diese Prämienzahlung?

Noch erstaunlicher war eine Aussage von AR-Chef Helf in der späteren Diskussion der Jahresberichte. Von einer als Buchhalterin tätigen Dame aus Mitgliederkreisen darauf angesprochen, ob es keine Vorlage von monatlichen Bilanzen durch die Vereinsbuchhaltung gebe, fiel die Aussage, bei der AR-Sitzung im Herbst sei noch alles im Lot gewesen, bei der nächsten das Finanzloch aufgefallen.

RWE trat ins offene Loch und fiel blindlings hinein?

Die Aussage mag überspitzt klingen, aber dieser Eindruck wurde leider hinterlassen. Marcus Uhlig und später André Helf sprachen fast beiläufig von Beträgen auf Sammelkonten, die auch dem Steuerberater des Vereins nicht aufgefallen wären. Das klingt dubios und wirft deutlich mehr Fragen auf, als dadurch beantwortet wurden. Ein Controlling der Buchhaltung fand nicht statt. Essens Bosse standen als gelackmeiert da. Der Retter in der Not einmal mehr Sascha Peljhan. Der entdeckte das Fiasko nicht nur, sondern betätigt sich seitdem als ehrenamtlicher Buchhalter des Vereins.

Mit viel Arbeit zog man dann den Vereinskarren aus dem Dreck. Dazu notwendig war aber ein weiteres Darlehen über 3 Millionen € zur Absicherung. Dieses bekam RWE von einem weiteren unbekannt bleiben möchtenden Gönner. Dieses Darlehen und das Darlehen, das Peljhan dem Verein zur Erreichung des Aufstiegsziels gab und das dieselbe Höhe besitzt, sind langfristig und müssen von RWE nur getilgt werden, wenn der Verein es gerade kann. Sie belasten Essen also aktuell nicht und dürfen in ihren Konditionen als ausgesprochen human gelten.

Erste Erfolge der Umstrukturierung der Buchhaltung und des Finanzmanagements durch Peljhan zeigen sich zum Glück

Zum nun kommenden 30.06 wird Rot-Weiss das erste Halbjahr 2023 mit einer schwarzen Null bzw. einem kleinen Plus von 7 K abschließen. Zudem möchte man nicht mehr in Kalenderjahren, sondern in Spielzeiten die finanzielle Entwicklung bilanzieren. Die kommende Saison 23/24 möchte Essen mit einem geringen Plus von 5 K abschließen und nach Möglichkeit zwischendurch beginnen, eines der gegebenen Darlehen zu tilgen. Immerhin haben diese Maßnahmen den DFB insoweit überzeugt, die Lizenz für die kommende Saison zu erteilen. Der Verein befindet sich nicht in prekärer Lage. RWE gelang es nicht, diese Botschaft ausreichend zu vermitteln. Zu tief saß der Schock bei den Anhängern über die zuvor adhoc bekannt gegebenen roten Zahlen. Viele bekamen in ihrer verständlichen Erregung gar nicht mehr mit, dass diese roten Zahlen für das Geschäftsjahr 2022 galten und es nicht allein der zuschauermäßig so erfolgreichen Saison 2022/23 geschuldet gewesen ist. Damit kommt das nächste Thema auf den Tisch. Die schlechte Kommunikation des Vereins.

3,6 Millionen Verlust – Wie sag ich das den Mitgliedern?

Erstaunlicherweise hatte man sich trotz des Sprengstoffs, den die schlechten Zahlen inkludieren, über obenstehende Frage nicht wirklich überzeugende Gedanken gemacht. Auch RWE-Boss Marcus Uhlig nicht, der die Sache nicht unwesentlich zu verantworten und den Mitgliedern auf der JHV zu vermitteln hatte. Vor Offenlegung der Bilanzen betonte Uhlig mehrfach, dass gleich die erste Zahl eine sehr, sehr schlechte Zahl sei. Im weiteren Verlauf werde er aber auch gute Zahlen präsentieren die zeigten, dass RWE dennoch auf einem guten Weg sei. Nach der Schockbehandlung der Anwesenden und noch Unwissenden ging es wenig erstaunlich aber nur noch um die 3,6 Millionen Verlust. Diese wurden fast lapidar präsentiert.

Gedanken darüber, wie diese Horrorzahl anders hätte kommuniziert werden sollen, hatten Uhlig und Co sich nicht gemacht. Bei der Aussprache zu den Jahresberichten kam die Anregung einer Anhängerin, der Verein möge doch bitte das dargelegte Fiasko konkreter aufschlüsseln und belegen. Daraus entwickelte sich im Gespräch mit Marcus Uhlig die Idee einer kleinen und alsbald durchzuführenden kleinen Jahreshauptversammlung zur Herstellung einer besseren Transparenz der Zahlen. Schade, dass das nicht von vorneherein vom Verein angedacht gewesen war.

Auch wäre es eine Überlegung wert gewesen, in den genau drei Wochen zwischen dem letzten Pflichtspiel der Saison, dem Pokalfinale gegen Oberhausen, ein solches Format schon vorab zu wählen, um die Hiobsbotschaft und deren Auswirkungen auf die Gemüter der Mitglieder und im Grunde aller Anhänger vorab zu platzieren und vernünftig zu kommunizieren. Mitten in der Saison damit an die Öffentlichkeit zu gehen, das scheute der Verein wie der Teufel das Weihwasser, hätte das die aufgeheizte Stimmung auf den Tribünen noch heißer werden lassen und hätte womöglich einer wankenden Mannschaft die letzte Stabilität im Kampf um den Klassenerhalt genommen.

Aber irgendetwas hätten sich Marcus Uhlig und der Verein überlegen sollen, wie man die Bombe hätte etwas entschärfen können. Uhligs Taktik war fortwährend, dass er alle Schuld und Verantwortung auf sich nehme. Es ehrt den Vorstandsvorsitzenden, dass er das tut, es beantwortete aber eben nicht die vielen offenen Fragen und erklärt vor allem nicht das gefühlte Desaster.

Die Intransparenz und der gefühlte Mangel an Vorbereitung mischten sich zusammen mit der immer lauter und aggressiver werdenden Atmosphäre im Saal zu einem Gift-Cocktail. Insbesondere der Teil der Anwesenden, mit denen der Verein ohnehin über Kreuz liegt – wir gehen im zweiten Teil unserer Analyse näher darauf ein – drehte nun immer lauter auf. Der Verein schüttete aus oben genannten Gründen das Wasser aber auch selber über deren Mühlen. Aber auch die nicht der aktiven Szene angehörigen Fans waren restlos bedient.

Als Beispiel darf folgendes Statement eines extrem treuen RWE-Anhängers dienen:

„Die ungenügende Transparenz ist eine Frechheit. Man erfährt eher beiläufig bei der JHV, dass der Verein in größten Problemen steckt und kurz vor dem Lizenzentzug. Ohne SP Kohle hätte man von letzterem wohl aus dem RS erfahren, wenn keine JHV gewesen wäre. 

Als Mitglied komm ich mir nach über 50 Jahren mehr als verarscht vor. Spenden für jeden Scheiß, aber Infos null.

Naja, halte meine 610 Euro für DK und Parkplatz auch erstmal zurück. Bin restlos bedient. Einer der schwärzesten Tage der letzten Jahre in der Vereinsgeschichte.“

Das zeigt eindrucksvoll, was kaputt gegangen ist am letzten Sonntag in der Messe Essen. Der Verein und seine Protagonisten sind aufgerufen, hier schnellstmöglich das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen.

Nur der RWE

Sven Meyering