Die Kaderanalyse
Schon vor der Spielzeit 22/23 war klar, dass RWE im Folgejahr einen Kaderumbruch angehen wollte. Der Aufstiegsmannschaft schenkte man zunächst Vertrauen, musste aber bekanntermaßen nachjustieren. Zum Saisonende trennte sich RWE von sage und schreibe 14 Spielern, was nicht das Ende der Fahnenstange sein soll, mindestens drei weitere sollen dazu kommen. Auf der anderen Seite hat RWE bislang neunmal auf dem Transfermarkt zugeschlagen, will das noch zwei weitere Male tun und möchte mit drei zurückkehrenden zuletzt verliehenen Spielern weitermachen. Es ist also ordentlich Fluktuation auszumachen.
Die (potenziellen) Abgänge
Nahezu alle Trennungen erfolgten von Vereinsseite aus, kein Spieler trat mit einem Wechselwunsch an RWE heran, sodass der Klub aus seiner Sicht keine tragende Säule verloren hat. Da waren zum einen die vier Leihspieler Lawrence Ennali, Luca Wollschläger, Meiko Sponsel und Moritz Römling. Keiner zündete so wirklich, sodass sie auch bei ihren eigentlichen Klubs nicht wieder eine Rolle spielen werden. Der pfeilschnelle Rechtsaußen Lawrence Ennali, Essen und der Spieler kamen für eine Weiterverpflichtung finanziell nicht überein, wechselt von Hannover 96 zum Podolski-Klub Gornik Zabrze, immerhin in die erste polnische Liga. Weder Meiko Sponsel (1. FC Köln) noch Moritz Römling (VFL Bochum) werden bei ihren Stammvereinen im Profibereich eine Rolle spielen, beide Außenverteidiger werden sich weiter verändern. Schwer vorstellbar, dass das nicht auch für Mittelstürmer Luca Wollschläger bei Hertha BSC gilt. Trotz seines Gardemaßes spielte Wollschläger in Essen überhaupt keine Rolle, eine Liga höher wohl dann auch nicht. Auch Mittelfeldmann Felix Götze war Leihspieler vom FC Augsburg, bekanntlich hatte RWE aber eine Kaufverpflichtung für Götze, die nach dem Klassenerhalt auch griff. Dieser zumindest klangvolle Name bleibt RWE somit erhalten.
Zudem wird Essen sich von einer ganzen Reihe ehemaliger Nachwuchsspieler trennen, die in der letzten Spielzeit verliehen waren, und nun zunächst nach Essen zurückkehrten. Stürmer Timur Kesim kam bei Wattenscheid 09 nicht wirklich zum Zug, nun geht es weiter zum ETB Schwarz-Weiß an den Uhlenkrug. Dorthin war letztes Jahr Nico Haiduk verliehen, RWE löste nun den Vertrag mit dem linken Außenbahnspieler auf. Ben Heuser kommt frisch aus der eigenen Jugend und ist mit einem Profivertrag bis 2025 ausgestattet. Den möchte RWE aber dann doch nicht erfüllen und hat dem offensiven Mittelfeldspieler für die Vereinssuche freigestellt.
Das gilt auch für Erolind Krasniqi, den Essen bereits 2019 vom Hamburger SV an die Hafenstraße geholt hatte. Zuletzt war er in die Regio Nord zu Teutonia Ottensen verliehen. Ero hatte sich in seinen Jahren in Essen immer wieder herangekämpft und bekam neue Chancen, doch keine davon nutzte er nachhaltig. Der auf dem Papier dickste Fisch, den Rot-Weiss trotz Vertrag ziehen lassen möchte, ist Clemens Fandrich.
Der defensive Mittelfeldmann hat weit über 200 Zweitligaspiele auf dem Buckel, doch in Essen spielte er eher wie ein Phantom auf dem Feld und war kaum präsent. Da Fandrich einen guten Vertrag hat, wäre hier die Trennung besonders wichtig, um finanzielle Ressourcen zu gewinnen, um eine Abfindung wird RWE zudem nicht herumkommen. Alle diesen Bemerkungen wird deutlich, dass der ehemalige sportliche Leiter Jörn Nowak mit seiner Personalpolitik an der Hafenstraße noch nachhaltige Spuren hinterlassen hat.
Weitere Spieler, die nicht immer wirklich im Rampenlicht standen und sich nun neuen Aufgaben widmen (sollen), sind Raphael Koczor, Kevin Holzweiler, Aurel Loubongo, Michel Niemeyer und Niklas Tarnat. Nach zwei Jahren als Nummer 3 an der Hafenstraße geht Raphael Koczor zum Lokalrivalen FC Kray. Kevin Holzweiler wurde im Aufstiegsjahr durch einen Kreuzbandriss gestoppt und kam danach nie wieder richtig rein. Holz ist noch vereinslos. Aurel Loubongo spielte ebenfalls ein Jahr lang nur eine Statistenrolle in Essen, nach guter Wintervorbereitung bekam er zum Jahresbeginn eine Startelfchance gegen Halle, konnte diese aber nicht nutzen. Ihn zieht es zum Absteiger VfB Oldenburg. Michel Niemeyer bleib das Verletzungspech treu. Daher kam der fußballerisch starke Linksverteidiger nur zu wenigen Einsätzen.
RWE ist das Risiko einer Weiterverpflichtung zu groß. Niemeyer hat bei Rot-Weiß Oberhausen mittlerweile einen Vertrag unterschrieben. Niklas Tarnat war eine grundsolide Arbeitsbiene mit nennenswerten Einsätzen, in der Aufstiegssaison wurde er gar zum absoluten Dauerbrenner. In der Mittelfeldzentrale hat Essen jedoch ein Überangebot an Spielern, wohl der Hauptgrund für die Trennung. Tarnat bleibt der Dritten Liga jedoch erhalten und heuerte beim Traditionsklub 1860 München an. Ein Zeichen seiner Ligatauglichkeit, vielleicht aber auch ein Zeichen dafür, dass 1860 kleinere Brötchen backen muss. Nachdem alle diese Abgänge weitgehend unspektakulär zu nennen sind, kommen wir nun zu den heiß diskutierten Personalien.
Mit Oguzhan Kefkir, Felix Herzenbruch und Aufstiegsgarant Simon Engelmann mussten gleich drei Publikumslieblinge ihre Zelte abbrechen. Oguzhan „Ötzi“ Kefkir schnürte vier Spielzeiten lang die Schuhe für RWE, anfangs bestach er durch große Torgefährlichkeit, später durch seinen enormen Kampfgeist und die Flexibilität. Im Niederrhein-Pokalfinale gegen RWO verwandelte er in der Nachspielzeit einen Elfmeter zum 2:0, kurz darauf wurde sein Wechsel zum Endspielgegner bekannt, das nennt man dann wohl Eier. Felix „Herze“ Herzenbruch und RWE, das war keine Liebe auf den ersten Blick.
Herze ließ sich 2019 relativ frisch verpflichtet zu Rot-Weiß Oberhausen verleihen, weil er wenig Rückendeckung des damaligen Coaches Christian Titz verspürte. Auch danach war Herzenbruch als Links- oder Innenverteidiger drei Spielzeiten lang eigentlich nie ein unangefochtener Stammspieler, aber immer da, wenn er gebraucht wurde und auch außerhalb des Platzes eine Bank. Daher empörte viele Anhänger die Nachricht, dass Herzes Vertrag nicht verlängert wurde. Einen neuen Klub hat er noch nicht, auch hier geht die Tendenz in Richtung RWO.
Simon Engelmann ist der größte Torjäger, den RWE seit Sascha Mölders hatte. Satte 72 Pflichtspieltore, darunter der legendäre Siegtreffer gegen Bayer Leverkusen im DFB-Pokal, steuerte Engel in den letzten drei Jahren zu Essens Erfolgen bei. Engelmann zieht es zurück zum SV Rödinghausen in die Regio West. Zu allen drei Spielern kann man sagen, dass sie große Verdienste um RWE erworben haben. Ob sie aber tatsächlich den auch von uns Fans vehement geforderten besseren und erfolgreicheren Fußball im RWE-Trikot gebracht hätten, darf bezweifelt werden. Der Zahn der Zeit nagt an allen und das in Liga Drei geforderte Tempo und die Laufintensität, auch das System, das Rot-Weiss Essen eigentlich spielen möchte, erfordern Qualitäten, die bei aller Wertschätzung nicht mehr unbedingt durch dieses Trio eingebracht hätte werden können. Werfen wir daher nun einen Blick auf die Neuzugänge.
Die Neuzugänge
Die RWE-Saisonanalyse hatte zwei große Knackpunkte ergeben, die auch den meisten Anhängern nicht verborgen geblieben waren. Zum einen ging es um das Thema Körperlichkeit. Obwohl es in der Dritten Liga sehr robust zur Sache geht, lief Essen im Vorjahr in dieser Hinsicht nicht als typische Drittliga-Mannschaft auf. In einem After-Match-Interview sprach Felix Götze einmal davon, dass man nicht wie andere Mannschaften die Bullen auf dem Platz habe. Das machte Rot-Weiss ebenso verwundbar bei gegnerischen als auch weniger gefährlich bei eigenen Standards und wenn es auf dem Feld zur Sache geht, glaubte man häufig, Essens Jungs seien zu lieb.
Der neue Kaderplaner Marcus Steegmann stellte Christoph Dabrowski mit Mittelfeldmann Vinko Sapina (1,94 m) vom SC Verl und Innenverteidiger Aaron Manu (1,94 m) von Rot-Weiß Erfurt zwei echte Riesen zur Verfügung. Dabro sprach auch sogleich lächelnd davon, dass er im Spielerkreis nun Leute auf Augenhöhe sähe, der Coach hat selbst ein Gardemaß von 1,93 Meter. Aber auch die Stürmer Moussa Doumbouya (1,88 m), aus Ingolstadt gekommen, und Leonardo Vonic (1,85 m) von Nürnberg II, auch die Außenspieler Lucas Brumme (1,87 m), Marvin Obuz (1,82 m), Leihspieler vom 1. FC Köln sowie die Außenverteidiger Ekin Celebi (1,83 m) von Hannover 96 und Eric Voufack (1,82 m) von Lokomotive Leipzig sind klar über 1,80 Meter. Ole Springer von Werder Bremen II misst 1,89 und ist die neue Nummer 3 im Essener Tor. Bleibt also zu hoffen, dass Essen künftig robuster und schlagkräftiger auftritt.
Schlagkräftiger soll auch der Angriff werden, Essens großes Manko im Vorjahr. Der in die Jahre gekommenen Simon Engelmann soll durch jüngere Spieler ersetzt werden. Essen konnte dafür als neue Spieler Moussa Doumbouya aus Ingolstadt, für den sich 1860 München interessiert hatte, und ganz frisch mit Leonardo Vonic einen sehr spannenden jungen Stürmer von der Reserve des 1. FC Nürnberg gewinnen. Dort hat der gerade einmal 20 Jahre alte Vonic in der Vorsaison 22 Treffer in der Regionalliga Bayern erzielt, er kann im Zentrum aber auch links offensiv spielen.
Links offensiv ist die Paradedisziplin von Marvin Obuz, der in dieser Spielzeit der einzige Leihspieler im Essener Kader ist. Weitere „Neuzugänge“ sind die rückkehrenden Leihspieler Nils Kaiser, Sascha Voelcke und Fabian Rüth. Während Rüth an den Folgen eines Kreuzbandrisses laboriert und so schnell keine Option sein wird, konnte Kaiser (21) in den Testspielen Essens Verantwortliche überzeugen, dem offensiven Mittelfeldmann gegenüber den ursprünglichen Planungen nun doch eine Chance zu geben. Positiv, wenn Leistung honoriert wird. Voelcke hat wie die RWE-Fans wissen, enormes Tempo und ist in der Jugend gelernter Außenverteidiger gewesen, Coach Dabrowski sieht den unbekümmert marschierenden Youngster aber eher offensiv auf der linken Seite. Defensiv dürfte er dennoch ein Backup für Ekin Celebi sein. Insgesamt kommen (noch) keine großen Namen nach Essen, aber die Kadergestaltung von Marcus Steegmann und Christian Flüthmann wirkt durchaus kreativ und einfallsreich. Potenzial hat RWE jedenfalls nun in seinen Reihen. Abgeschlossen ist die Kaderplanung freilich noch nicht. Mehr dazu, den neuen Spielern und den verbliebenen Akteuren im 3. Teil der Kaderanalyse.
Bildquelle: Frontalvision