Dabro ereilen die „Gesetze“ des Profifußballs – Eine „unausweichliche“ Handlung oder nur eine Platzpatrone?
Rot-Weiss Essen hat einmal mehr einen Cheftrainer vor die Tür gesetzt. Zweieinhalb Jahre leitete Christoph Dabrowski, der erste rot-weisse Coach im Profifußball seit anderthalb Jahrzehnten, die Geschicke an der Hafenstraße 97 A. Damit war er länger im Amt als die meisten seiner Vorgänger auf dem Essener Trainer-Schleudersitz. Nun wurde Christoph Dabrowski nach einer Erfolglos-Serie, die RWE auf Platz 18 der Tabelle und zwei Spieltage vor Ende der Hinrunde tief in den Abstiegssumpf hineinzog, von seinen Aufgaben entbunden. Gemäß den Gesetzen des Profifußballs erscheint das folgerichtig, jedoch sind Zweifel angebracht, dass unter dem Strich Besserung eintreten wird oder Rot-Weiss Essen womöglich nur eine Platzpatrone abgefeuert hat.
RWE-Vorstandschef Marc-Nicolai Pfeifer bezeichnete die Trennung von Christoph Dabrowski als unausweichlich. Tatsächlich? Hier darf man geteilter Meinung sein. Jawattdenn.de unternimmt den Versuch einer Aufarbeitung der Ära Christoph Dabrowski und der Umstände, die es nicht nur Dabro, sondern auch seinem Nachfolger schwermachten und machen werden.
Die sportliche Bilanz: Drei Jahre und wenig mannschaftliche Kontinuität – Dabro musste das Eisen jeweils neu schmieden
In 93 Spielen der Dritten Liga stand Christoph Dabrowski als Chefcoach an der Seitenlinie. RWE errang in diesen Partien 117 Punkte und somit einen Schnitt von 1,26 Zählern. Hoch gerechnet auf eine gesamte Spielzeit bedeutet das 48 Punkte und damit jeweils einen Platz im gesicherten Mittelfeld. Nicht die schlechteste Bilanz im Haifischbecken Dritte Liga. Für sich betrachtet sind die jeweiligen Spielzeiten jedoch sehr unterschiedlich verlaufen. Im ersten Jahr nach dem Wiederaufstieg erreichte RWE nur relativ mühsam den sicheren Hafen. Vor allem in der Rückrunde ging Rot-Weiss nach einem Zwischenhoch im Herbst des Vorjahres auf dem Zahnfleisch und erzielte nur noch 18 Punkte.
Fußballerisch bot man zudem oft schwere Kost an. Dabro war bei Teilen der Fans schwer angezählt, die während der Spiele sogar Aktionen starteten, die Dabros Rauswurf forderten und hinterließ in Interviews oder auf Pressekonferenzen nicht immer einen guten Eindruck. Die Frage nach der Zukunft von Christoph Dabrowski bei Rot-Weiss Essen war für die Vereinsverantwortlichen im Sommer 2023 alles andere als leicht zu beantworten. Hinter den Kulissen, im Umgang mit den Verantwortlichen und generell den Menschen im Verein funktionierte Dabro nicht nur, er genoss für seine Art und Weise auch große Anerkennung.
Wer mit dem Trainer sprach merkte schnell, das Vorurteil er sei arrogant stimmt in keiner Weise und von oben herab ist er höchstens aufgrund seines Gardemaßes von 1,93 Meter. Auch wenn es für einen Teil der Fans nur einen einzig richtigen Weg gab, nämlich den Trainer im hohen Bogen vor die Tür zu setzen, existierte auch ein anderer Abzweig. Der damalige RWE-Chef Marcus Uhlig setzte sich mit Vehemenz für Christoph Dabrowski ein, auch geleitet vom Wunsch nach Kontinuität. Dabro krempelte die Ärmel nun erst einmal richtig auf. Dazu gehörte auch, den persönlichen Dialog mit der Anhängerschaft zu suchen, vor allem mit den kritischsten Teilen davon. Das rechnete man Dabro, den man zuvor als distanziert bis arrogant wahrgenommen hatte, hoch an. Das Bild von der Person des Trainers änderte sich und nicht nur das.
Im zweiten Jahr unter Christoph Dabrowski spielte RWE seine beste Saison im Profifußball seit 2005/06, in der der Aufstieg in die Zweite Bundesliga gelungen war, und somit seit 18 Jahren. Natürlich wird diese stark anmutende Bilanz dadurch verwässert, dass man sich zwischendurch satte 14 Jahre aus dem Profifußball verabschiedet hatte. Dennoch wurde die Saison 23/24 zu einem Quell der Freude. Schon in der Hinrundenbilanz titelte Jawattdenn.de, „Eine rot-weisse Metamorphose – Raupe RWE erblüht zu schönem Fußballschmetterling!“. Ein Bild, das die enorme spielerische Entwicklung des RWE-Teams untermauern sollte.
Bis zum vorletzten Spieltag lebten die Essener den Traum vom Aufstieg in die Zweite Liga, erst dann ging Dabros Truppe die Luft etwas aus. Die besondere Leistung des Trainers hatte auch darin bestanden, zeitweise mit einer Mannschaft gespielt und Erfolg gehabt zu haben, die im Vorjahr fast nicht drittligatauglich gewirkt hatte. Und die nun lieferte, als neu verpflichtete Säulen wie Vinko Sapina, Marvin Obuz oder Lucas Brumme gleichzeitig verletzt ausfielen. Christoph Dabrowski und Rot-Weiss Essen, das wurde in einer starken Saison für die RWE-Anhänger zu einer Liebe auf den zumindest zweiten Blick. Als im Herbst 2023, RWE hatte soeben mit einem 2:0 Sieg gegen Waldhof Mannheim den fünften Ligasieg in Folge gefeiert, ausgerechnet aus den Blöcken seiner zuvor schärfsten Kritiker „Ollala, wir haben einen Trainer, ollala Dabro wunderbar!“ erschallte, strahlte der so Gefeierte wie ein Honigkuchenpferd. Und das vollkommen zurecht.
So sollte es natürlich weitergehen. Progression wurde im dritten Jahr seiner Trainertätigkeit von Christoph Dabrowski gefordert. Doch wenn man ehrlich ist, dann startete Dabro jede seiner Missionen in Liga Drei quasi aufs Neue. Im ersten Jahr bekam er eine Mannschaft hingestellt, an deren Zusammenstellung er kaum mitarbeiten konnte und die lange um den Klassenerhalt zittern musste. Im Folgejahr bekam man einen Eindruck davon, was Dabrowski mit einer nun verstärkten und von ihm geformten Truppe auf die Beine stellen kann. Das Problem in dieser Saison ist dann leider nur, dass dem Trainer fast die halbe Stammelf abhandengekommen war. Auch das ist ein Grund dafür, dass RWE nun nach 17 Spielen der laufenden Saison nur 16 Zähler gesammelt hat. Was nun das Aus für Christoph Dabrowski bedeutete. Ist das gerechtfertigt? Das Thema ist wie immer komplex, es fällt jedoch schwer, die pfeifersche Aussage der Unausweichlichkeit vorbehaltlos zu teilen.
Die Großbaustelle RWE-Kader 24/25 – Dabros Schuld?
Das Transferfenster hielt für RWE einen Schock nach dem nächsten parat. Kapitän Vinko Sapina, Abwehrchef Felix Götze, eine Liga höher beim SC Paderborn ebenso top wie in Essen, sowie die Topscorer Marvin Obuz und Cedric Harenbrock suchten sich neue finanzielle und sportliche Herausforderungen, Isi Young ließ RWE freiwillig ziehen. Ein Aderlass, den keine Truppe der Drittligawelt mal so eben auffängt. Zudem garantierten diese Spieler eine hohe Ball- und Passsicherheit und verkörperten die spielerische Identität der Rot-Weissen.
Namhafte Neuzugänge waren im Gegenzug nur Ahmet Arslan sowie die Abwehrspieler Tobi Kraulich und Michael Schultz. Hinzu kamen zahlreiche ambitionierte Regionalligaspieler ohne Profierfahrung. Auch erst relativ spät bekam Dabrowski seinen endgültigen Kader bis zur Wiederöffnung des Transfensters gestellt. Und dieser zeigte auch für Außenstehende eine seltsam anmutende Konsistenz auf, weswegen wir bei der Saisonprognose vor Ligastart auch von einem „unausgewogenen Kader“ sprachen.
RWE verzichtete z.B. auf die Verpflichtung eines gestandenen neuen Sechsers, eine Lücke, die noch immer klafft, und traute hier Profineulingen wie Jimmy Kaparos oder Tom Moustier eine tragende Rolle zu. Im Sturm wartete man lange vergeblich auf einen Neuzugang. Als kurz vor Ligastart Manuel Wintzheimer als Alternative zu Leonardo Vonic verpflichtet wurde, fragte man sich durchaus, inwiefern der zwar kantig wirkende, aber nur 1,80 Meter große Angreifer dem Typus des von Dabro gewünschten Wandspielers entspräche. Da sich Wintzheimer gut in die Saison hinein kämpfte, war man entspannter, doch spätestens seit dessen Langzeitverletzung, die ihn erst zur Rückrunde wieder zum Kader stoßen lässt, macht sich Verzweiflung breit.
Leonardo Vonic tut das Dasein als einzige echte noch verfügbare Spitze offenbar nicht allzu gut. Als Vonic nach schwachem Auftritt kurz vor Ende des Spiels gegen 1860 das Feld verlassen musste, stand Essen sogar ohne eine einzige nominell gelernte Spitze auf dem Feld.
Dafür könnte RWE die Außenbahnen doppelt oder dreifach besetzen. Ramien Safi und Kelsey Owusu machen hier einen durchaus guten Job, auch wenn die beiden aus der Regio West zu RWE gestoßenen Spieler zuletzt leistungstechnisch ebenfalls durchhingen. Essens sportliche Doppel-Leitung bestehend aus Christian Flüthmann und Marcus Steegmann besetzte die Flügel aber zusätzlich mit dem Belgier Robbie D’Haese, Dion Berisha aus der Reserve des FC Bayern und schlechter Letzt Joseph Boyamba aus Elversberg. D’Haese kam mit Erstligaerfahrung aus Belgien an die Hafenstraße, zündete aber bislang nicht, eine Ursache dafür aber auch Verletzungshintergründe. Diese waren bei Vertragsunterschrift aber auch nicht gänzlich unbekannt. Die sportliche Vita von Joseph Boyamba ließ ebenfalls mehr erhoffen, als der 28-Jährige im RWE-Trikot leistet. Dion Berisha ist sogar ein reiner Kaderfüller. Alle diese Personalien kosten Geld und man bekommt den Eindruck, an der falschen Stelle.
Der Vorwurf macht sich breit, RWE habe Masse statt Klasse verpflichtet. Womöglich hätte schon ein Außenbahnspieler weniger die Gelder für einen an anderer Stelle fehlenden Spieler bzw. die Besetzung dieser Position mit höherer individueller Qualität erbracht. Hierbei muss man den Trainer aus der Schusslinie nehmen. Denn federführend sind die im Vorjahr noch so treffsicheren sportlichen Leiter Flüth- und Steegmann hier in der Verantwortung. Inwiefern diese wiederum in der heißen Planungsphase der Saison in der Ausübung ihrer Tätigkeit dadurch gehindert wurden, dass längere Zeit nicht klar zu sein schien, wie viel Geld die Kaderplaner überhaupt in die Hand nehmen können, ist die nächste ungeklärte Frage. Einige Abläufe schienen im Frühjahr 2024 hinter den Kulissen jedenfalls nicht gänzlich klar zu sein, auch nicht welchen Personal-Etat man letztlich aufstellen könne.
Essens immer mal wieder undurchsichtig agierender Aufsichtsrat gab am Ende eine Summe frei, die immerhin 100 K über dem Vorjahr lag, allerdings auch durch höhere Beiträge an die Berufsgenossenschaft fast wieder aufgezehrt wurde. Bekannt ist, dass RWE durchaus ambitionierte Transfers über Arslan und Kraulich hinaus zu tätigen beabsichtigte, sich aber bei Hausnummern wie Innenverteidiger Jakob Lewald, den es dann zum finanzstarken SV Sandhausen zog, oder den wuchtigen Stürmern Andre Becker und Julia Kania, beide nun in Bielefeld, den Kürzeren zog. Es schien, als habe man den heiß umkämpften Markt im Sommer unterschätzt und am Ende eine Mannschaft zusammen bekommen, die nicht dem entsprach, was sich der Trainer aber auch die sportliche Leitung selbst gewünscht oder zumindest erhofft hätten.
Und diese Differenz von Erwartung und Realisierung wog durchaus schwer. Zumal man dennoch immer wieder betonte, ambitioniert zu sein und eine schlagkräftige Truppe geformt zu haben. Eine gewagte und womöglich sogar fahrlässige Prognose.
Auch ein Vakuum an wirklichen Führungsspielern ist entstanden. Welchen Wert zuvor Spieler wie Sapina und Götze hatten, muss nicht mehr betont werden. In dieser Rolle sah der zuvor bei Viktoria Köln tätige Marcus Steegmann den Kapitän der Rheinstädter Michael Schultz, seines Zeichens Innenverteidiger von stolzen 194 Zentimetern. Der Nachteil einer Innenverteidigung mit Schultz und Tobi Kraulich ist freilich, dass das offensiv und aktiv geplante Essener Spielsystem mit einer nicht gerade pfeilschnellen Besetzung des hintersten Parts nicht abschließend durchdacht erscheint. Einen echten Leader sucht man in Michael Schultz, der auch in Essen das Kapitänsamt übertragen bekam, zumindest auf dem Feld eher vergeblich.
Am ehesten verkörpert Ahmet Arslan diesen Typus Spieler. Zumindest offen und ehrlich erscheint Ammo, der sich auch immer den Fans stellt, stets. So sprach Arslan, in Vertretung des gesperrten Schultz auch Kapitän, direkt nach dem desaströsen 0:3 gegen die Löwen am Sonntag folgende Worte in das Magenta-Mikrofon in deutsche Wohnzimmer, „Ich habe selten einen Trainer erlebt, der einen Verein so lebt. Wenn irgendein Spieler auch in der Kabine darüber redet, ob auf der Trainerposition etwas anderes passieren muss, der muss dann auch von uns rasiert werden“. Bämm.
Eine Aussage, die die RWE-Verantwortlichen, die Dabrowski dennoch weniger als 24 Stunden später von seinen Aufgaben an der Hafenstraße entbinden sollten, nicht mit Begeisterung gehört haben werden. Zeigt sie doch auf, dass auch andere Wege denkbar gewesen wären als die „unausweichliche“ Entlassung Dabrowskis. Und auch, dass es innerhalb des RWE-Kaders offenbar nicht adventlich besinnlich zugeht und womöglich längst nicht jeder alles für den Verein in die Waagschale geworfen hat. Letztlich haben sich ungute Dinge an der Hafenstraße immer stärker akkumuliert, an deren Ende gemäß einer alten Fußball-Weisheit der Trainer immer das schwächste Glied ist. Echte Rückendeckung, die Dabrowski in der Vergangenheit an der Hafenstraße schon einmal erfuhr und die sich auszahlen sollte, war jedenfalls nicht zu verspüren.
Freilich trägt Dabro als hauptverantwortlicher Cheftrainer natürlich für die gezeigten Spiele und Leistungen die Verantwortung. Inwiefern er und sein Trainerteam es sich auch selber schwermachten, systemisch viel und wahrscheinlich zu viel experimentierten und die Negativ-Entwicklung beförderten, beleuchtet Teil 2 der Analyse.
NUR DER RWE!
Sven Meyering