Trotz Corona und in letzter Konsequenz wieder einmal verpassten Aufstieg in der Vorsaison ist der Essener Anhang heiß wie Frittenfett auf die Regionalliga-Saison 2020/21 und das, obwohl er diese wohl auf unbestimmte Zeit nicht mal im Stadion erleben dürfen wird. Rot-Weiss will die Liga-Krone und am Ende der Saison eine dann eine Dekade andauernde sportliche Existenz in der Viertklassigkeit endlich beenden.
Am letzten Samstag gab es bereits den ersten Titel der Saison, der genau genommen dem letzten Spieljahr entspringt. Der Niederrheinpokal 2020 konnte wegen Corona erst nach der Sommerpause final ausgespielt werden und zum Glück holten sich die Roten den Pott gegen den Oberligisten 1. FC Kleve. Nach dreijähriger Abstinenz in der Hauptrunde des DFB-Pokals ist RWE nun also wieder dabei. Das erste Ziel wurde somit bereits vor Ligastart erreicht. Jawattdenn.de wagt eine Vorab-Analyse einer Saison, in der zahlreiche Siegesbiere beim Anhang schäumen sollen. JWD prüft die Plus- und Knackpunkte der Essener, wirft einen Blick auf die Kaderveränderungen und schaut auch in die Glaskugel, was die Konkurrenz betrifft. Die gegenwärtigen und zukünftigen Auswirkungen von Corona sind leider auch noch immer nicht zu vernachlässigen.
Was sind die Pluspunkte für Rot-Weiss Essen?
• RWE verfügt über einen nun eingespielten Kader und konnte beim Trainingsstart Anfang Juli diesen bereits nahezu komplett begrüßen. Alle Stammspieler und insgesamt 19 Akteure der letzten Saison stehen noch im Essener Kader. Coach Christian Neidhart stand fast luxuriös viel Zeit zur Verfügung sein Team kennen zu lernen und darüber hinaus bereits in den Feinschliff der gewünschten Abläufe zu gehen. Nur punktuell mussten die Essener sich zum Thema Personal noch Gedanken machen. Viele von Neidharts Trainerkollegen in der Regionalliga West waren zur selben Zeit gemeinsam mit ihren sportlichen Leitungen damit beschäftigt, überhaupt einen schlagkräftigen Kader aufzubauen. Insbesondere die zuletzt härteste und noch in der Liga verbliebene Konkurrenz im Kampf um die Ligaspitze hat da ganz andere, nämlich schlechtere Voraussetzungen. Einen Blick auf die potenzielle Konkurrenz werfen wir später.
• RWE konnte seinen ohnehin guten Kader nicht nur halten, sondern auch qualitativ hochwertig verstärken. Wir widmen uns den Neuzugängen in einem eigenen Kapitel.
• Das dritte Kaderplus ist die quantitative und qualitative Ausgeglichenheit. Es steht eine Mammutsaison mit 40 Pflichtspielen in der Meisterschaft und einer nicht bezifferbaren Anzahl an Partien in Pokalwettbewerben, oftmals mit englischen Wochen, bevor. RWE wird deswegen jedoch nicht auf dem sprichwörtlichen Zahnfleisch gehen müssen.
• Mit Christian Neidhart kommt ein extrem motivierter Trainer nach Essen. Ansonsten hätte dieser seinen noch ein Jahr gültigen Vertrag beim klassenhöheren SV Meppen mit Sicherheit nicht für das Engagement an der Hafenstraße aufgelöst. Sieben Jahre lang arbeitete der gebürtige Braunschweiger erfolgreich bei den Meppenern. Er führte die Emsländer von der Regional- in die Dritte Liga und formte auch dort ein Team, das zuletzt sogar an die Tür zur Zweiten Bundesliga anklopfen durfte. Doch nicht nur die sportlichen Erfolge, sondern auch die menschlichen Qualitäten des 51-Jährigen begeisterten die Essener Verantwortlichen. In Meppen war man von beiden Aspekten voll überzeugt. Die Art und Weise, wie Verein inklusive Fans, ihren langjährigen sportlichen Chefangestellten verabschiedeten, war beeindruckend. Und zwar beeindruckend positiv. Hier wurde jemand ganz offensichtlich sehr geschätzt.
• Corona hat auch Rot-Weiss Essen wirtschaftlich stark zugesetzt. Aber paradoxerweise schmälert das (noch) nicht Essens Chancen auf eine starke und erfolgreiche Saison. Die große Frage ist, ob sich einer der potenziellen Konkurrenten unter diesen Bedingungen wirtschaftlich weit aus dem Fenster lehnen wird. Derzeit sieht es nicht so aus. Mit dem Erreichen der ersten DFB-Pokalhauptrunde, in welcher RWE auf Arminia Bielefeld trifft, hat Rot-Weiss zudem auch ohne Stadionzuschauer wichtige Zusatzeinnahmen sicher.
Was sind die Essener Knackpunkte?
• Die Drucksituation ist riesig. RWE formuliert es klar und deutlich, so deutlich wie nie zuvor in den letzten Jahren. Man will Meister werden. Die Erwartungshaltung an der Hafenstraße ist grundsätzlich immens, in dieser Saison sicherlich auch berechtigt. Der Druck, der auf dem gesamten Team lasten wird, ist daher noch größer als sonst. Verzieh der RWE-Anhang in der letzten Saison noch diverse Patzer, weil man nach einer gefühlten Ewigkeit endlich mal wieder oben dran war, so wird das Umfeld nun von Beginn an explosiv sein. Es gilt schlichtweg, mittels Erfolgen diese Explosivität und Power in die richtige Richtung zu lenken.
• Die Causa Christian Titz ist nicht vergessen. Nicht nur, weil Titz und RWE aktuell wieder öffentliche Meinungsverschiedenheiten zur Rechtslage bei der Entlassung des Coaches haben. Jörn Nowak ist im Grunde auf Gedeihen und Verderben an Neucoach Neidhart gebunden. Dieser ist der Wunschtrainer des Sportlichen Leiters der Essener, einen letztlichen Fehlgriff wie bei Christian Titz darf man sich nicht erneut leisten.
• Antworten muss Neidhart auf folgende elementare Fragen finden, die RWE in der letzten Saison ein Bein stellten. Wie kann effizienter Ballbesitzfußball gegen tief stehende Truppen betrieben werden, d.h. wie kriegt Rot-Weiss die Kugel in die gegnerischen Netze, wenn diese zum Hochsicherheitstrakt ausgerufen worden sind? Zugleich stellt sich das Problem, wie bei offensiver Risikobereitschaft das eigene Tor geschützt werden kann. In der Vorsaison machten nicht wenige Gegner aus wenig Chancen viel an (RWE-Gegen-) Toren, während Rot-Weiss mit ausgelassenen Großchancen wucherte. Als Problemlöser wurde Simon Engelmann verpflichtet, auch Maximilian Pronichev verfügt über einen nennenswerten Torinstinkt. Sind die RWE-Spitzen ausgeschaltet, auch das soll bei sehr gut organisierten Gegnern vorkommen, muss allerdings ein Plan B vorhanden sein.
• Was positiv ist, hat auch eine Kehrseite. In Essen werden aufgrund der Kaderbreite regelmäßig Spieler von ausgewiesener Qualität nicht von Beginn an auf dem Rasen stehen können oder im Extremfall sogar nur die Tribüne bevölkern. Hier wird Neidhart als Psychologe gefordert sein, um Unruhe im Keim ersticken zu können.
• Die Partien gegen Rot-Weiss Essen sind für jeden Konkurrenten in der Liga etwas Besonderes. Man sieht bereits jetzt vor jeder Partie die jeweiligen Schlagzeilen vor dem geistigen Auge, wenn gegnerische Trainer und sportliche Leitungen das Match gegen den wohl größten Favoriten zum Spiel des Jahres ausrufen werden. Jörn Nowak fragte bereits in der letzten Saison im Jawattdenn.de-Interview, mit welcher Einstellung denn diese Mannschaften dann gegen andere Gegner zu Werke gehen und resümierte, dass so manche Aussage fast an Wettbewerbsverzerrung grenze. Ein Aspekt, den RWE nicht beeinflussen kann. Das Bewusstsein, dass im Grunde jede Truppe gegen die Elf von der Hafenstraße gefühlt gut 10 – 20 % mehr reinhaut, muss jedoch vorhanden sein.
Die Ab- und Neuzugänge
Wie vor jeder Saison dreht sich das Personalkarussel. RWE hat jedoch vor der kommenden Spielzeit keinen Umbruch vollzogen, sondern seinen Kader vergleichsweise wenig verändert. Dabei kann man sagen, dass die Neuzugänge hochkarätiger sind als Essens abgewanderte Spieler.
Sieben Spieler verlassen die Hafenstraße 97 A. Der dienstälteste Akteur ist dabei Philipp Zeiger. Der lange Innenverteidiger trug 6 Jahre lang das RWE-Trikot. In der letzten Saison hatte er lange Zeit mit einer Stoffwechselkrankheit zu kämpfen, um kurz vor dem Saisonabbruch noch zu einigen Pflichtspielminuten zu kommen. Zeigers Abgang war daher zu erwarten. Den sympathischen gebürtigen Dresdner wird der Essener Anhang in guter Erinnerung behalten. Zeiger hat inzwischen in Altglienicke bei einer Spitzenmannschaft des Nordostens angeheuert. Auch immerhin 5 Jahre war Torhüter Robin Heller bei den Roten. In dieser Zeit rotierte er zwischen Spielfeld, Bank und Tribüne. Insbesondere für letzteren Platz sind günstigere Alternativen zu haben. Mit Marcel Lenz verlässt ein weiterer Schlussmann die Hafenstraße und wechselt zum ETB. In seinen immerhin drei RWE-Jahren hatte er viel Verletzungspech und war zudem in seinen Leistungen schwankend. Daher verlor er in der Vorsaison die Position der Nummer 1 auch an Jakob Golz.
RWE trennte sich nicht nur von zwei Torhütern, sondern auch von zwei Mittelstürmern. Den nun zum SV Rödinghausen abgewanderten Enzo Wirtz begleiten viele Sympathien des Anhangs. Da der insbesondere in der Jokerrolle überzeugende Wirtz aber in seinen zwei Spielzeiten in Essen selten volle Wertschätzung der jeweiligen Trainer genoss, ist es verständlich, dass er seine Zukunft anderswo sieht.
Auch Hedon Selishta muss die Hafenstraße nach nur einem Jahr verlassen. Dennoch schoss der aus der Oberliga Bayern gekommene Torjäger vier wichtige Treffer für RWE. Vereinsintern wurde aber Vereinsikone Marcel Platzek als klassischer Mittelstürmer für eine weitere Saison auserkoren. Als der Wuppertaler SV im Frühjahr 2019 seinen halben Kader freistellen musste, weil die Bergischen sich finanziell völlig übernommen hatten, schnappte sich RWE den rechten Flügelflitzer Jonas Erwig-Drüppel. Der sollte bei den einzig wahren Roten den nach Paderborn abgewanderten Kai Pröger ersetzen, dessen Schuhe Erwig-Drüppel dann doch nicht ganz passten.Hinzu gesellte sich Verletzungspech. JED kam in Essen nie wirklich an und läuft demnächst wieder für den WSV auf.
Der Letzte im Bunde der Essener Abgänge ist Innenverteidiger José Matuwila, den RWE sich in der Winterpause aus Kaiserslautern geliehen hatte. Ganze zweimal trug Matuwila das RWE-Trikot. Einem bärenstarken Auftritt im Derby gegen RWO folgte ein mäßiger gegen den SV Lippstadt, dann fand Matuwila sich auf der Bank wieder und kurz darauf kam Corona. Eine Art Zwischenrolle zwischen Zu- und Abgängen nimmt der ehemalige U19- Spieler Ioannis Orkas ein. Der Mittelfeldakteur erhielt zunächst einen Lizenzspielervertrag, den er dann auf eigenen Wunsch wieder auflöste. Das ist nachvollziehbar, denn nirgendwo ist der Konkurrenzkampf in Essens starkem Kader so groß wie in der Mittelfeldzentrale.
Fazit, kein einziger Akteur, der RWE den Rücken gekehrt hat, war Stammspieler und ein jeder hätte es wohl auch dieses Jahr sehr schwer gehabt, zu mehr Einsatzminuten zu kommen.
Auf dem Transfermarkt schlug RWE sechsmal zu. Der alles überstrahlende Coup stellt dabei die Verpflichtung des Strafraumserientäters Simon Engelmann dar. Mit Engelmann sicherten sich die Roten den wohl komplettesten Stürmer der Regionalliga West, der sich zudem trotz seiner bereits 31 Jahre körperlich und mental in Topverfassung befindet.
Von daher ist es schwer vorstellbar, dass der Neuzugang Probleme haben wird, das beschauliche Umfeld des Wiehengebirges mit der vorerst ohnehin nicht brodelnden Hafenstraße 97 A zu tauschen. Engelmann kann offensiv nahezu alles. Tolle Technik paart sich mit gnadenlosem Torinstinkt. Nach 19 Toren in der Saison 2018/19 traf „Engel“ im letzten Jahr in 26 Auftritten für seinen ehemaligen Arbeitgeber Rödinghausen auch 26 Mal ins Schwarze. Das bedeutete zweimal in Folge die Torjägerkrone. Zudem ist er nicht auf die Position in der Sturmmitte fixiert. Seine technische Versiertheit ermöglicht es dem Goalgetter ebenfalls problemlos, sich in die Tiefe fallen zu lassen und Torchancen für seine Mitspieler zu kreieren.
Man liest es unschwer heraus, ein solcher Transfer macht Freude. Holte RWE in den vergangenen Jahren auch schon einstmals treffsichere Stürmer wie Christian Knappmann, der – sorry Knappi – eher ein im 16er beheimateter Bulldozer war, an dem RWE relativ schnell die Freude verlor, oder auch einen David Jansen, der in Endlosschleife verletzt gewesen ist, so darf Engelmann wohl ohne Sorge als Toptransfer gesehen werden. Ebenso wie Bielefelds Fabian Klos, der sich mit 32 Jahren noch zum Zweitligatorschützenkönig krönte, wird Essens neue Nummer 11 im fortgeschrittenen Fußballeralter eher noch besser. Das bewies er sogleich auch im RWE-Trikot. Engelmann hat nach zwei Partien im Niederrheinpokal bereits 4 Pflichtspieltreffer auf dem Konto, im Finale gegen Kleve schnürte Engel mal eben einen Dreierpack. Der Mann ist ein Phänomen.
Ein weiterer ausgesprochen gestandener Spieler ist der zentrale Mittelfeldakteur Felix Backszat, der genau wie Engelmann in der letzten Saison Meister mit dem SV Rödinghausen geworden ist. Dieses Kunststück gelang Backszat auch die beiden Jahre zuvor mit Viktoria Köln. Der Hattrick bei Regionalliga West-Meisterschaften spricht für den 1,85 Meter großen Akteur, der „Backa“ gerufen wird. Er ist auf der 6 aber auch offensiver auf der 8 einsetzbar, in der letzten Saison gelangen ihm zudem 6 Treffer. Das zentrale Mittelfeld ist bei RWE somit um einen weiteren Spieler von ausgewiesener Qualität reicher geworden.
Von zwei Schlussleuten hat RWE sich getrennt, ein neuer mit guter sportlicher Vita wird den Kampf mit dem verbliebenen Jakob Golz um den Stammplatz zwischen Essens Pfosten aufnehmen. Von Nachbar Rot-Weiss Oberhausen kommt Daniel Davari. RWO war aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, den eigentlich noch ein Jahr laufenden Vertrag mit dem gestandenen und profierfahrenen Schlussmann aufzukündigen. Da musste der zuvor in Oberhausen beschäftigte Jörn Nowak nicht lange überlegen und holte Davari zu RWE wie er ihn zuvor zu RWO geholt hatte. Hatte Rot-Weiss vor der letzten Saison keine klare Nummer 1, so ist der ehemalige iranische Nationaltorhüter im Grunde ganz eindeutig eine solche. Mit Jakob Golz (21), der sich im Laufe der Vorsaison einen Stammplatz erkämpfte und sich zudem enorm entwickelte, trifft Davari dennoch auf einen starken Youngster als Herausforderer.
Für die rechte Außenbahn hat RWE doppelt zugeschlagen. Von Drittligaabsteiger Großaspach kommt Rechtsverteidiger Jonas Behounek, für dieselbe Position Sandro Plechaty von der Gelsenkirchener Reserve. Da sich David Sauerland, der diese Position nach Daniel Hebers Umbesetzung ins Abwehrzentrum federführend bekleidete, leider beim Testspielauftakt einen Kreuzbandriss zugezogen hat, taten die Verpflichtungen hier Not. Jonas Behounek befand sich schon in früheren Zeiten im Visier des sportlichen Leiters Jörn Nowak. Plechaty überzeugt mit starker Technik und Offensivdrang und könnte somit das Pendant von Kevin Grund auf der gegenüberliegenden Außenbahn und Zulieferer der Flügelstürmer werden. Insbesondere Plechaty kann auch selbst in einer offensiveren Rolle agieren.
Im Finale des Niederrheinpokals bot RWE mit Davari, Behounek, Plechaty, Backszat und Engelmann alle diese Neuzugänge auf. Ein Beleg dafür, dass Essens Kader nicht nur ergänzt, sondern verstärkt werden sollte.
Der letzte reine Neuzugang ist Felix Schlüsselburg aus der U19 des BVB. Da auch er im Mittelfeld Zuhause ist, wird er in seinem ersten Seniorenjahr eher als Perspektivspieler zu sehen sein.
Zwei Neue sind alte Bekannte. Felix Herzenbruch kommt nach knapp einjähriger Leihe aus Oberhausen zurück. Beim Nachbarn war er Stammspieler. Da in der letzten Saison eine echte Alternative zu Kevin Grund als Linksverteidiger gefehlt hat, wird „Herze“ diese Lücke schließen können.
Erstmals von Saison-Beginn an bei den Senioren ist Noel Futkeu. Der immer noch erst siebzehnjährige und damit für Essens U19 spielberechtigte Futkeu zählte bereits ab der Rückrunde der Vorsaison zum RWE-Kader und trug sich beim bislang letzten Meisterschaftsspiel der Essener beim Sieg in Bonn in die Torschützenliste ein. Futkeu ist unbekümmert, pfeilschnell und fühlt sich auf der rechten Offensivbahn am wohlsten. Dem Youngster ist trotz der starken Konkurrenz im Kader etwas zuzutrauen. Im Hauptberuf ist Futkeu aber noch Schüler und arbeitet an seinem Abitur an einer Essener Gesamtschule.
Die ersten Eindrücke in Testspielen und dem Niederrhein-Pokal
In den Testspielen zeigte RWE oft Lockerheit und spielerisch überzeugende Kost. Nach dem Warm-Up gegen Bezirksligist VFB Bottrop (11:0) wurde das Lokalderby gegen den ETB mit 2:0 für sich entschieden. Weil die Roten hier aber nicht so über die Schwarzen hergefallen waren, wie es sich einige Anhänger auch in der frühen Phase der Vorbereitung gewünscht hätten, gab es sofort Kritik. Teilweise ballerte RWE sich aber auch in Ekstase, wie beim 21:0 gegen Jahn Hiesfeld oder etwas bescheidener beim 7:1 gegen Eintracht Rheine. Gegen den Südwestregionalligisten TSV Steinbach, in seiner Liga ebenfalls ambitioniert, siegte Rot-Weiss mit 2:1. Insgesamt ließen die Roten in den bisherigen Testspielen somit nur zwei Gegentreffer zu. Ein Indiz dafür, dass Christian Neidhart ein sorgsames Auge auf die Defensive hat.
Corona macht in dieser Spielzeit auch etwas Positives möglich, nämlich vor dem Ligastart noch die Form in Pflichtspielen testen zu können. Die noch ausstehenden Partien im Niederrheinpokal bescherten RWE zwei „Tests“ unter Wettkampfbedingungen. Bei der TVD Velbert aus der Oberliga Niederrhein feierten die Essener im Halbfinale des NR-Pokals einen 2:0 Erfolg auf Kunstrasen und qualifizierten sich für das Finale. Das Match jedoch machte deutlich, was Essen auch in der Meisterschaft erwarten könnte. Dicht gestaffelt und aggressiv im Zweikampf nahmen die Hausherren RWE in der ersten Hälfte die Lust am Spiel, direkt nach dem Seitenwechsel traf Joshua Endres und beruhigte die rot-weissen Gemüter.
RWE spielte fortan den sprichwörtlichen Stiefel herunter, bis Simon Engelmann kurz vor Schluss das machte, wofür RWE ihn geholt hat, nämlich zu knipsen. RWE bestand somit einen wichtigen Charaktertest und holte sich einen Pflichtsieg gegen die hoch motivierten Gastgeber, die nichts zu verlieren hatten. Bis auf das Spiel. Jedoch war zu bemerken, dass Pflichtspiele und sonstige Vorbereitungsspiele unterschiedliche Kategorien sind. Das Finale um den Niederrheinpokal, das RWE verdient mit 3:1 für sich entscheiden konnte, lieferte hierzu ebenfalls Erkenntnisse. Auf dem Premiumgeläuf an der heimischen Hafenstraße spielte Essen den tapferen Oberligisten zunächst förmlich an die Wand, ließ jedoch ein halbes Dutzend bester Chancen liegen.
Dann zeigten die Hausherren ihre spielerische Klasse, direkt beteiligt in der letzten Zone ausschließlich Neuzugänge. Zunächst spielte Jonas Behounek die Kugel ins Zentrum auf Backszat, der direkt in den Lauf von Sandro Plechaty weiterleitete. Dessen kluger Rückpass war ein gefundenes Fressen für den Torhunger Simon Engelmanns, der exakt richtig einlief und zur Führung vollendete. Trotz drückender Überlegenheit ging RWE nur mit einer 1:0 Führung in die Halbzeit. Dann passierte das, was im Fußball immer sein kann. Eine einzige gute gegnerische Aktion führte zum Ausgleich. Nach einem guten Pass in die Tiefe setzte Kevin Grund zur Grätsche gegen seinen Gegenspieler an, traf wohl den Ball, doch der Referee erkannte ein elfmeterwürdiges Vergehen. Der Strafstoß saß.
Dass es am Ende des Tages nicht dazu kam, dass die mangelnde Effizienz des Essener Angriffsspiels zum Leidthema Nummer 1 auserkoren werden musste, war dann Simon Engelmann zu verdanken. Essens Nummer 11 löste sich mit der Kugel von seinem Gegenspieler und hielt aus gut 25 Metern einfach mal drauf. Das Geschoss wurde abgefälscht und fand als Bogenlampe den Weg ins Klever Tor. Etwas Glück und ganz viel individuelle Klasse. Eben die individuelle Klasse, welche RWE im letzten Jahr gefehlt hatte. Als der Schiedsrichter mittels einer Konzessionsentscheidung auch den Essenern einen schmeichelhaften Elfmeter gönnte, war Engel erneut zur Stelle und verwandelte gekonnt. Der RWE-Anhang schnalzte mit der Zunge und war besorgt zugleich. Toll, einen solchen Goalgetter wie Engelmann zu haben. Doch dessen offensive Nebenleute ließen fast fahrlässig weitere Großchancen liegen. Hier liegt weiterhin großer Verbesserungsbedarf.
Noch drei Dinge wurden gegen Kleve offenbart. Chef im Mittelfeldring war bis zu seiner Auswechslung nach gut einer Stunde – hier ist aufgrund der relativ späten Verpflichtung noch von Trainingsrückstand auszugehen – Felix Backszat mit enormer Präsenz und Zweikampfstärke. Und RWE scheint vom Dogma der Vorsaison, unbedingt jeden Ball flach hinten herauszuspielen, kontextbezogen abzuweichen. Keeper Davari schlug auch schon mal einen langen Ball hinten heraus. Die können dann von Spielern wie Backszat und Engelmann verwertet und in des Gegners Hälfte gewonnen werden. Coach Neidhart war zudem mehrfach mit Anweisungen zu vernehmen, dass der Ball nach Möglichkeit schneller nach vorne und nicht hinten herumgespielt werden solle. Das tat RWE in Hälfte eins vorzüglich und Kleve rannte fast nur hinterher. Später im Match kam es jedoch auch wieder vermehrt zu Ballverwaltungspassagen, die vom Gegner leichter zu verteidigen waren. Rot-Weiss wird hier die richtige Balance finden müssen.
Die Konkurrenz
Bei der Konkurrenz ist diesmal nicht klar auszumachen, wer zum Angriff auf die Tabellenspitze blasen können wird. Vor einem Jahr konnte man trotz eines verheißungsvollen RWE-Kaders den SV Rödinghausen als Topfavoriten der Liga ausmachen. Und obwohl am Ende Verl aufgestiegen ist, wäre der Platz in der Relegation an Rödinghausen gegangen, hätte man dort nicht schon vor Corona die Drittligaambitionen aufgegeben. Dieses Jahr verraten die Konkurrenten weit weniger über sich. Weniger gefährlich sind sie deswegen natürlich dennoch nicht. Wie immer bergen Zweitvertretungen große Gefahr und könnte ein noch unbekannter Senkrechtstarter die Rolle des SC Verl einnehmen. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, hier die Glaskugel für einige Ligakonkurrenten.
SV Rödinghausen
Nach dem Verzicht auf die Drittligalizenz brach dem SV Rödinghausen sein starker Kader fast gänzlich zusammen. Über Engelmann und Backszat freut sich RWE, Uerdingen über Traore, Altglienicke über Linus Meyer und der BVB 2 über Franz Pfanne. Sie blieben nicht die einzigen Abgänge. Als eine der wenigen Stützen des amtierenden Regio West Meisters blieb Kapitän Daniel Flottmann im Wiehengebirge. Es scheint so, als müsste sich der Fanklub der Amigos ab jetzt mit weniger ambitionierten Zielen anfreunden. Ob der einstige RWE-Stürmer Enzo Wirtz daran etwas ändern können wird, wollen wir aus Essener Sicht jedenfalls nicht hoffen.
Rot-Weiß Oberhausen
Auch Nachbar RWO hat einen enormen Aderlass zu verkraften, nur wenige Leistungsträger wie Maik Odenthal oder Raphael Steinmetz blieben am Kanal. Bei den Neuzugängen fällt zunächst der auch schon bei RWE tätige Mittelstürmer Sven Kreyer auf, der die letzten Jahre bei Viktoria Köln tätig war. Kreyer ist der Typ bulliger Strafraumspieler, sein Pendant Shun Terada das Gegenteil. Der pfeilschnelle Japaner kommt vom SV Straelen, für den er auch schon mal in der Regio West erfolgreich tätig gewesen ist. Prominentester Neuer ist Tanju Öztürk, der über breite Profierfahrung verfügt und das zentrale Mittelfeld bereichern soll.
Der Coach heißt nicht mehr Mike Terranova, sondern Dimitrios Pappas, der zuvor für den Nachwuchs verantwortlich gewesen ist. Das in den vergangenen Jahren meist relativ erfolgreiche RWO wird zeigen müssen, wie gut man diesen Umbruch vollziehen können wird. Die Vorbereitung lief jedenfalls gut, u.a. gelang ein 3:1 Erfolg gegen den Ligakonkurrenten Gladbach 2.
Preußen Münster
Absteiger Preußen Münster gibt zwar an, finanziell in eine Spitzenmannschaft investieren zu können, muss diese jedoch erst einmal zusammenstellen. Seit 2011 hat der alte Westrivale in der dritten Liga gespielt. In der unter besonderen Bedingungen zu Ende gegangenen „Corona-Saison“ 2019/20 hat es die Adlerträger dann jedoch erwischt. Nach fast einer Dekade im Profifußball steht nun wieder die Regionalliga West auf dem Programm. Vom Namen her stellt Münster einen echten Konkurrenten dar. Doch tatsächlich hat seit Bestehen der eingleisigen Dritten Liga in der Spielzeit 2008/09 noch nie ein Absteiger in die Regionalliga West den direkten Wiederaufstieg gepackt. Vielmehr war der Abstieg meistens mit sehr großer personeller Veränderung und dem Aufbau einer neuen Mannschaft verbunden. Preußen Münster stellt da keine Ausnahme dar. Zwar bleibt Cheftrainer Sascha Hildmann erhalten, jedoch Mitte August und damit knapp 3 Wochen vor dem anvisierten Start ins Ligageschehen standen erst 15 Akteure an der Hammer Straße unter Vertrag.
Dann gelang jedoch ein doppelter Transfercoup. Für das zentrale Mittelfeld ergatterten die Preußen den 149-fachen Zweitligaspieler Dennis Daube, der auch 13 Partien im Fußball-Oberhaus absolviert hat. Daube zählt zu den vielen prominenten Kickern, die zuvor gut dotierte Verträge beim KFC Uerdingen erhalten hatten, auf die dann dort aber doch nicht gesetzt worden ist. Von daher dürfte Daube in Münster der Ehrgeiz noch einmal gepackt haben. Für die linke Mittelfeldseite wurde zeitgleich Jules Schwadorf verpflichtet, der bei Wehen Wiesbaden Zweitligaluft geschnuppert hatte, jedoch kaum zum Einsatz gekommen war. Ganz hohe Ziele sind für die Preußen insgesamt wohl nur schwer zu erreichen. Nicht unwahrscheinlich, dass sich die Grün-Schwarzen zunächst in einer Saison des Umbruchs befinden werden. In den direkten Duellen mit RWE wird Preußen Münster jedoch der Ehrgeiz besonders packen. Aber das ist ohnehin der Normalfall in der Liga.
Fortuna Köln
Fortuna Köln gibt sich weniger bescheiden als im Vorjahr. Die Kölner Südstädter, nach ihrem Abstieg und dem gleichzeitigen Aufstieg des Stadtrivalen Viktoria 2019 nur noch die Nummer 3 in der Domstadt, haben ihre Umbruchsaison hinter sich. Als Vorjahresabsteiger ereilte die Fortuna das Schicksal all ihrer Vorgänger, mit dem Kampf um den Wiederaufstieg nichts zu tun zu haben. In dieser Saison wollen die Kölner mehr. Coach Thomas Stratos wurde von seinen Aufgaben entbunden, Alexander Ende, ehemaliger Spieler der Fortuna, soll nach seiner Rückkehr zum Verein als Trainer dieses Jahr mehr erreichen.
Aus Oberhausen schnappte man sich Abwehrchef Yannick Löhden und Flügelflitzer Francis Ubabuike, von Absteiger Preußen Münster den hoch gehandelten Mittelfeldakteur Nico Brandenburger. Stürmer Julian Günther-Schmidt kommt von einem anderen Drittligaabsteiger aus Jena. Günther-Schmidt gehörte auch schon dem erweiterten Bundesligakader des FC Augsburg an. Linksverteidiger Dan-Patrick Poggenberg verfügt ebenfalls über nennenswerte Profierfahrung. Noch immer im Kader steht Routinier Roman Prokoph, der durchaus weiß, wo das gegnerische Tor steht. Schlechte Leute und überhaupt einen schlechten Kader hat die Fortuna somit nicht geholt bzw. zusammen. Hier gilt, Holzauge sei wachsam.
Borussia Dortmund 2
Borussia Dortmund 2 wird an der Hafenstraße mit Argusaugen verfolgt werden. Nachdem der FC Bayern sich mit seiner „Reserve“ die Meisterschaft in der dritten Liga sicherte, schielt man auch an der Roten Erde nach oben an die Tabellenspitze, wenn auch erstmal eine Klasse tiefer. Bewerkstelligen soll das mit Enrico Maaßen Rödinghausens Meistermacher, der sogleich Mittelfeldmotor Franz Pfanne aus dem Wiehengebirge mitbrachte. Insgesamt drehte sich auch beim hoch ambitionierten BVB 2 das Personalkarussel rasant. Topscorer Boyamba kehrte den Dortmunder ebenso den Rücken wie andere Leistungsträger, z.B. Chris Führich, Marco Rente oder Julian Schwermann. Umgekehrt wurden zahlreiche neue vielversprechende Akteure an Land gezogen, die meist als Rohdiamanten angesehen werden dürfen, die später zumindest anderswo höherklassig spielen werden.
Zusammenhalten soll den Laden der bereits 30-jährige Niklas Dahms, der mal eben aus der zweiten Liga verpflichtet worden ist. Bescheiden gibt sich der BVB 2 somit einmal mehr nicht. Das Team darf als einer der Favoriten auf den Titel gelten. Ob man aber bei solch starker Kaderfluktuation die notwendige Konstanz mitbringen wird, um ganz oben angreifen zu können, bleibt abzuwarten. Dafür darf man hier wie üblich auf sehr prominente Teilzeitarbeiter aus dem Profibereich zählen. Allein deshalb bleiben zweite Mannschaften weiterhin eines der großen Reizthemen in der Regionalliga, dessen Diskussion sich der Dachverband DFB in der bereits gewohnten grenzenlosen Ignoranz auch weiterhin verweigert.
Der noch unbekannte Underdog
Okay, Verl hatte sich gut verstärkt, doch wer hatte mit den Ostwestfalen in dieser Form gerechnet? Wird es diesmal der gut situierte Aufsteiger aus Straelen, der die Underdogrolle einnehmen kann? Gänzlich unerwähnt darf auch nicht die Zweitvertretung der Gladbacher Borussia bleiben. Die Fohlen haben übrigens den mit dem höchsten Marktwert taxierten Spieler der Regio West in ihren Reihen, für den Transfermarkt.de 450.000 € veranschlagt. Und zwar den Australier mit italienischen Wurzeln Jacob Italiano. Und bei Alemannia Aachen endete die Ära Fuat Kilic und möglicherweise kann der beim Wuppertaler SV vor einigen Jahren erfolgreiche neue Alemannen Trainer Stefan Vollmerhausen eine Aufbruchsstimmung am Tivoli erzeugen.
Am Finaltag der Amateure wurde diese jedoch bereits empfindlich geschmälert. Die Alemannia unterlag dem Oberligisten FC Düren mit 0:1 und setzte damit die Chance in den Sand, in der ersten DFB-Pokalhauptrunde gegen den frisch gebackenen Champions-League-Sieger Bayern München antreten zu dürfen. Das Spiel wäre möglicherweise auch das lukrative TV-Live-Event gewesen. Die Einnahmen hätten den Kaiserstädtern sehr gut getan, auch bei der weiteren Kaderplanung.
Und zuguterletzt…
… für RWE ist grundsätzlich RWE selbst gefährlich. Das Warum ist schon weiter oben beschrieben worden.
Corona und die Regionalliga West
Ein noch unbekannter, aber für alle Mannschaften geltender Faktor ist das Spiel vor nahezu leeren Rängen. Noch immer zeigt Corona seine hässliche Fratze, noch immer hält man daran fest, Fußballspiele nicht vor Zuschauern austragen zu lassen. Ob die am 31.08 auslaufende derzeitig gültige Corona-Verordnung daran etwas ändern wird, ist mehr als fraglich. Darüber ließe sich lange und trefflich diskutieren. An dieser Stelle wollen wir uns jedoch nur mit den wirtschaftlichen und auch sportlichen Auswirkungen beschäftigen und nicht mit den Themen der Gerechtigkeit und der Sehnsucht nach einem vollen Stadion.
RWE, das in der Vorsaison im Schnitt sagenhafte 11.000 Zuschauer zu Heimspielen begrüßen durfte, trifft das Zuschauerthema natürlich besonders hart. Essen hat bundesweit den mit Abstand größten Zuschauerzuspruch unterhalb der drei Profiligen. Ergo gehen hier auch besonders viele Gelder verloren, solange es nur Geisterspiele geben kann und wird. In der letzten Saison verweigerte sich die Liga noch, vor leeren Rängen Meisterschaftsspiele auszutragen. Da aber irgendwann der Ligabetrieb wieder ins Rollen kommen muss und auch eine Verlegung des Starts bis in den September hinein keine Verbesserungen erbrachte, wird RWE zumindest bis auf weiteres keine heißblütige Hafenstraße 97 A, sondern dörfliche Freundschaftsspiel-Atmosphäre erleben dürfen. Ob das sportlich überhaupt Auswirkungen haben wird, sei dahingestellt.
Zwar glaubt jeder Fan, dass er mit seiner Anwesenheit und seinem Support seiner Mannschaft die sprichwörtlichen Flügel verleihen kann. In der letzten Saison war RWE jedoch auswärts (13 Spiele, 30 Punkte) vor kleinerer Kulisse unter dem Strich erfolgreicher als in heimischen Gefilden (11 Spiele, 21 Punkte) und unterlag zudem nur ein einziges Mal, während in Essen viermal der Gegner siegen konnte.
Wirtschaftlich tut das Ganze aber sehr weh. Zumal der Spielplan den Rot-Weissen die besonders zuschauerträchtigen Derbys gegen Münster, Oberhausen und Wuppertal allesamt in der Hinrunde zugedacht hat. Partien, an denen die Hafenstraße ansonsten rappelvoll wäre und die Kassen klingelten. Da RWE noch Anfang August offiziell verkündete, zusammen mit der Stadt Essen und dem zuständigen Gesundheitsamt ein Hygienekonzept zu entwerfen, das bis zu 5.000 Zuschauern den Zutritt zum Stadion eröffnen könnte, bestand lange Zeit die Hoffnung auf einen Saisonstart mit Fans vor Ort. Doch die dynamische bundesweite Entwicklung bei Infektionszahlen machte den Essenern und allen anderen einen Strich durch die Rechnung.
Immerhin gibt es nun unter dem Titel „RWE-DoppelPass“ für alle letztjährigen Dauerkarteninhaber Angebote, die potenziell den Zutritt zu den Spielen sichern und als Ersatz für den Stadionbesuch ein Streaming der Essener Heimspiele beinhalten werden. Nach Aussagen der Klubführung werden diese Streams in hervorragender Bildqualität, mehreren Kameraperspektiven sowie Kommentar ausgestattet sein, sodass niemand gänzlich auf RWE-Heimspiele verzichten müssen wird. Die Sehnsucht nach einem echten Hafenstraßen-Feeling wird sobald aber nicht erfüllt werden können.
Zugleich kommt die Frage auf, ob RWE tatsächlich mit stark verminderten Zuschauereinnahmen seinen erlesen und teuer zu nennenden Kader finanzieren kann. Das fragen sich auch viele Fans und möchten diesen Aspekt möglichst zeitnah auf der einzuberufenden Jahreshauptversammlung geklärt wissen. Hier sollte der Verein in der Tat schnell Transparenz herstellen. Bislang steht nur die Aussage von Marcus Uhlig, man habe nicht mehr Geld ausgegeben, als zur Verfügung stünde. Inwieweit die Gelder von Gönner Sascha Peljhan jetzt nicht doch stark in Anspruch genommen werden müssen, bleibt aber ungeklärt. RWE verwies bislang immer darauf, Peljahns Gelder seien ein Backup, man finanziere sich über die hohen Zuschauereinnahmen.
Das klappte bis zum Saisonabbruch vorzüglich. Die Fans rannten RWE die Bude ein. Aber genau das geht nun erst einmal bekanntlich nicht. Beschaut man sich die Konkurrenz, ist eine nicht unwahrscheinlich auf die Corona-Einbußen zurückzuführende Zurückhaltung auf dem Transfermarkt spürbar. RWE hingegen wirkt wie ein hungriger Boxer, der die angeschlagene Konkurrenz ausknocken will. Und natürlich hofft die gesamte Liga, dass die Saison im kommenden Anlauf trotz Corona nicht erneut abgebrochen werden muss.
Ebenso werden hoffentlich alle 21 Vereine, die jetzt an den Start gehen werden, ihren Spielbetrieb auch unter diesen erschwerten finanziellen Bedingungen aufrechterhalten können. Der Ärger über den Rückzug der SG Wattenscheid 09, der zu einer echten Wettbewerbsverzerrung geführt und nicht Mals etwas mit Corona, sondern mit grandioser wirtschaftlicher Fehlplanung zu tun hatte, ist nicht vergessen. So tat denn auch der TuS Haltern schon vor einigen Wochen das Richtige und zog sich aus der Regionalliga West zurück, weil man eben nicht garantieren konnte, die Saison durchstehen zu können.
Fazit
Betrachtet man den Kader unserer Essener Rot-Weissen und vergleicht diesen mit anderen Mannschaften der Liga, dann kommt man nur sehr schwer oder besser gar nicht darum herum zu bilanzieren, dass Rot-Weiss Essen als großer Favorit in die Regionalligaspielzeit 2020/21, an deren Ende der Direktaufstieg winkt, starten wird. Was anders ist als in den Vorjahren, sahen andere Trainer und deren Vereine RWE bei der alljährlichen Glaskugelbefragung auch bereits öfters weit oben, so nimmt sich Essen dieses Jahr der Favoritenrolle auch offiziell selbst an und verkündet die Meisterschaft der Regio West als Saisonziel.
Dieses geschieht mit guter Begründung. Der Essener Kader ist quantitativ, aber auch qualitativ sehr gut aufgestellt, zu weiten Teilen bereits eingespielt und zudem noch einmal hochwertig verstärkt worden. Eine Einschätzung der Konkurrenz fällt schwerer als üblich und möglicherweise sind die Mannschaften, die mit weniger Druck auflaufen können als die Essener deshalb besonders gefährlich. Für RWE gilt in dieser Saison jedoch, Stauder-Sekt oder Selters.
Man hat geklotzt, nicht gekleckert. Um die Spitze mitzumischen wird nicht reichen, diese zumindest final zu erklimmen muss die RWE-Devise sein. Dafür ist mit (hoffentlich) 40 Meisterschaftsspielen so viel Zeit wie noch nie in der Ligageschichte. Daher sollte auch dem Essener Umfeld klar sein, dass nicht jedes Spiel zum Schicksalsspiel erklärt werden darf und nicht jede Niederlage das Ende aller Träume bedeutet und beim Essener Anhang nicht zu sofortiger hysterischer Schnappatmung führen sollte. Vielmehr entscheidet sich der Titel in dieser Saison über den längsten Atem. Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Am besten etabliert sich RWE natürlich möglichst früh ganz oben. Das Corona-Schreckgespenst des neuerlichen Saisonabbruchs sollte nicht zum Trauma werden.
NUR DER RWE!
Sven Meyering