Sowohl sportlich als auch von den Begleitumständen her erlebte Rot-Weiss Essen beim Trip nach Rostock ein völliges Fiasko. Mit 0:4 ging RWE an der Ostsee baden und zeigte dabei eine erbärmlich zu nennende Vorstellung. Damit nicht genug. Noch weitaus schlimmer waren die Dinge, die unserer reisenden Anhängerschaft durch unzivilisierte und wertebefreite Kriminelle auf der Anreise widerfuhren. So müssen nun nicht nur die Scheiben des von der FFA organisierten Sonderzugs, sondern auch die von der Essener Mannschaft hinterlassenen sportlichen Scherben gekittet werden. Jawattdenn.de versucht sich an einer Aufarbeitung eines undenkwürdigen Samstags im Oktober 2024.
Oberidiotie an der Oberhavel
Gegen 09:30 liefen die Nachrichten in den jeweiligen RWE-Chatgruppen heiß und ganz heiß war es auch im eigentlich idyllischen Landkreis Oberhavel inmitten des Löwenberger Landes, durch das sich der rot-weisse Auswärtsexpress zu diesem Zeitpunkt bewegen wollte. Zunächst explodierten einige Polenböller am Rand der Strecke und die bereits seit mehreren Stunden on Tour befindlichen RWE-Fans waren mit einem Male hellwach. Wer sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, erblickte eine Horde, die mit Ausnahme der schwarzen Sturmhauben fast wie der Ku-Klux-Klan wirkte. Das verhieß nichts Gutes. Dennoch stoppte der Fan-Express. Steine flogen Richtung Zug, Scheiben zerbrachen, bis in die Abteile hinein lagen die dicken Brocken. Schwere bis lebensgefährliche Verletzungen wurden billigend in Kauf genommen. Warum der Zug gestoppt und nicht das Weite gesucht hatte, ist noch immer nicht klar. Eine Theorie ist, dass die Scheibe des Lok-Führerhäuschens so beschädigt worden war, dass der Fahrer selbst die Notbremse zog. Auch in diesem Reportageclip des NDR ist von solchen Beschädigungen die Rede.
Verifiziert ist das noch nicht. Ebenso wenig verifiziert und zum jetzigen Zeitpunkt eher sehr unwahrscheinlich ist eine Verabredung der Angreifer mit Essener Gleichgesinnten. Dennoch setzten bundesweit aber auch im Revier ansässige Medienhäuser sofort gerne den Narrativ in die Welt, dass Essener Kreise hier beteiligt gewesen seien. Hier wäre deutlich mehr Sorgfalt in der Berichterstattung gefragt, man sollte nicht Opfer eines schwerwiegenden Angriffs einfach mal so zu Mittätern stempeln, ohne dass irgendeine klare Aufarbeitung erfolgt ist. Reißerische Mediengeilheit ersetzte einmal mehr den Journalismus. Das ist einfach nur eine Sauerei den 768 Menschen gegenüber, denen der ganze Tag verdorben worden ist. Unter ihnen übrigens Essens Kultkicker Felix Herzenbruch, der sich die Tour sicherlich auch ganz anders vorgestellt hatte.
Die Angreifer selbst, die auf vielen spontan entstandenen Handyvideos erkennbar, aber natürlich nicht identifizierbar sind, dürften sich trotzdem dieser Publicity erfreuen. Natürlich existieren auch schon „Aufarbeitungen“ aus einschlägigen Kreisen, die das Geschehen auf YouTube „analysieren“. Hierzu fragt sich die Jawattdenn-Redaktion, ob es bei diesen Mittzwanzigern mit Kickboxtraining eigentlich keinen Fremdscham-Reflex gibt, wenn sie so ein Video sehen oder erstellen, wo mit Kriegsrhetorik und dramatischer Musik untermalt wird, wie sie einer Horde Primaten gleich einen Zug mit Steinen bewerfen? Ein für alle Mal, stupide Kriminelle, die feige Angriffe starten, sind keine Helden.
„Nie wieder Rostock!“ – Stressfaktor auf weiterer Hin- und kommender Rückfahrt auf Rekordniveau
Jedenfalls gelang es der primitiven Horde, jegliche geregelten weiteren Abläufe im Keim zu ersticken. Das sollte sogar noch für die Rückfahrt gelten. Irgendwann bewegte sich der in Teilen schwer demolierte Zug der Central-Bahn in Richtung Bahnhof des nah gelegenen Örtchens Gransee weiter, wo die Reisegruppe aufgeteilt werden musste. 300 der insgesamt 768 Personen mussten in einem anderen Zug die Reise nach Rostock fortsetzen. Angekommen sind die Bahnreisenden erst zu Beginn der zweiten Halbzeit und auch das nur, weil der Anpfiff um eine halbe Stunde nach hinten auf 14:30 Uhr verschoben worden war.
Dass sie überhaupt ihre Reise nach Rostock fortsetzen durften, ist wohl auch dem großen Einsatz von RWE-Vorstandsmitglied Alexander Rang zu verdanken, der in stetigem Austausch mit der Polizei und Bahn gestanden hatte. Zudem erwirkte Rang, dass für die Nachzügler ein zweites Tor für die Kontrolle am Stadion geöffnet worden war und zeigte sich dort auch persönlich präsent. Ein dickes Lob an den vor einiger Zeit noch umstrittenen Alex Rang, der immer besser im RWE-Kosmos ankommt. Ob die rot-weissen Bahnreisenden allerdings angesichts dessen, was ihnen in der noch verbleibenden Spielzeit von ihrer Mannschaft dann präsentiert werden sollte, ihre Ankunft nicht dennoch bereut hatten, beleuchtet ein folgendes Kapitel.
Nach der deftigen sportlichen Klatsche war zu allem Überfluss an eine geordnete Heimfahrt nicht zu denken. Nach Aussagen der FFA-Verantwortlichen wollte die Polizei am Bahnhof Rostock die Essener Anhänger nicht einmal mehr in das Bahnhofsgebäude und geschweige denn zu ihren Schließfächern dort lassen, in denen die Wertsachen verstaut worden waren. Zudem wollte man nur noch 400 Personen zurück in den Zug lassen, indem natürlich auch noch Wert- und Sachgegenstände gelagert waren. Selbstredend, dass nun großes Chaos am Hauptbahnhof entstand. So schlugen sich einzelne Personen, die es zu den Schließfächern geschafft hatten, mit dem Hand-Gepäck von mehreren weiteren Personen herum.
Pläne, individuell mit anderen Zügen abzureisen, wurden dadurch torpediert, dass natürlich niemand seine Wertsachen hier zurücklassen wollte. Einige waren so weit, ein Mietauto zu chartern, wollten aber nicht den noch irgendwie vorhandenen Schutz von Polizei im Bahnhofsgebäude aufgeben und dieses verlassen. Zum Glück für die bereits bis zum Anschlag gestresste Mega-Reisegruppe bestand die FFA gegenüber der Central Bahn auf Erfüllung des Beförderungsvertrages für 768 Personen. Schlussendlich fuhr der Sonderzug gegen 19.00 Uhr dann doch noch mit voller Besetzung zurück. Allerdings war er nur noch begrenzt nutzbar und die demolierten Zugteile gesperrt. Knapp die Hälfte der Mitreisenden traten die Rückfahrt ohne festen Sitzplatz an, gegen 03:30 Uhr Sommerzeit und 02:30 normaler Zeit endete eine unaussprechliche Tortur am Essener Hauptbahnhof.
Wie die Polizei in Rostock für die Sicherheit der fast zurückgelassenen RWE-Anhänger hätte sorgen wollen, blieb völlig unklar. Auch Bahnfahrer außerhalb des Sonderzugs hatten ihre liebe Mühe und Not, unversehrt zurück in die Heimat zu kommen. So war ein RE nach Hamburg die einzige Möglichkeit, Rostock zu entkommen. Zu diesem Zweck räumte die Polizei ein Abteil des RE eigens für RWE-Anhänger, stieg aber selber nicht mit in den Zug. Wohl aber einige Rostocker-Sport-Frei-Aktivisten, die zumindest bis Schwerin noch für eine bedrohliche Atmosphäre sorgen sollten. Bahnmitarbeiter verständigten zwischendurch die Bundespolizei zum Glück blieb bis zu deren Eintreffen bei einer nur gefühlten Bedrohung für die RWE-Fans. Als Fazit bleibt da wohl nur zu sagen, „Nie wieder Rostock!“
Sportlicher Offenbarungseid als negative Kirsche auf der Sahne
Die Begleitumstände waren für den Essener Anhang schlimm genug. Doch der Auftritt ihrer Mannschaft setzte dem Ganzen die negative Kirsche hoch oben auf die Sahne. Von der ersten Minute an wurden die unkonzentriert und schläfrig wirkenden Essener von den Rostockern quasi überrannt. Ein aufweckendes Glockengeläut von unserem Horst gibt es bekanntlich nicht mehr, aber was genau geht in den Köpfen der Spieler vor, die einen solch uninspirierten und willenlosen Auftritt hinlegen? Man muss es so deutlich sagen, die RWE-Mannschaft ist im Begriff, das Verhältnis zu den Fans in Scherben zu schlagen. Zwar erwartet man immer und grundsätzlich einen couragierten Auftritt der Truppe, aber gerade angesichts der besonderen Umstände, die ja nicht im Verborgenen gelegen hatten und den Spielern bekannt waren, hätte man umso mehr erwartet, dass der Kampf auch und gerade für die leidgeprüften Anhänger bedingungslos angenommen worden wäre. Stattdessen ließ sich RWE wehrlos niedermachen und die eigene Hütte voll hauen.
Eine „prekäre Situation?“ – Da kann keiner widersprechen!
Trainer Christoph Dabrowski räumte ein, dass man die Fans enttäuscht habe, Keeper Jakob Golz ging so weit, dass man sich entschuldigen müsse. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung, unklar aber bleibt, wo die Gründe für eine solch schlechte Mentalität zu suchen sind. Natürlich hat RWE große Personalprobleme. Mit Lucas Brumme und Tobias Kraulich fehlten zwei wichtige Spieler verletzt, Julian Eitschberger wurde durch einen gar nicht so schlauen und geltungssüchtigen Fuchs aus dem Verkehr gezogen.
Da war Dabro wieder einmal zur Umstellung gezwungen, eine Viererkette mit Nils Kaiser und Eric Voufack als Außenverteidiger ist aber dennoch erstaunlich, haben doch beide Akteure eher Stärken im Vorwärtsgang und wären durch eine Dreierkette innen sicherlich viel besser abgesichert gewesen. Vor allem wenn die offensiven Außenspieler defensiv nicht vernünftig mit nach hinten arbeiten. Wie sich Voufack und Boyamba vor dem 0:1 vom ballführenden Rostocker Lebeau ohne Gegenwehr vernaschen ließen war lächerlich. Und so ging es weiter und bis auf Jakob Golz präsentierte sich kein RWE-Spieler drittligatauglich. Hier bekommt man den zwingenden Eindruck, dass Dabro und sein Trainerteam gut daran täten, eine stabile Defensivformation zu finden, in der jeder Akteur weiß, was er zu tun hat. Fortlaufende Systemwechsel stabilisieren eine ohnehin angeknackste Truppe nicht, auch wenn natürlich Ausfälle zu verzeichnen waren.
Wenn man Zweikämpfe so wenig annimmt wie am gestrigen Tage ist das System allerdings zweitrangig. Der Gegner aus Rostock zeigte sich hingegen nicht nur an Bahnstrecken, sondern auch auf dem Platz gewaltbereit. Bei der Brutalo-Attacke von Tim Krohn auf Robbie D`Haese verspürte man beim Zusehen Schmerzen. Mit offener Sohle übermotiviert und mit Verletzungsabsicht sprang Krohn D`Haese ins Sprunggelenk. Der Belgier knickte böse weg und dürfte wochenlang ausfallen. Dafür sah Attentäter Krohn die gelbe Karte, der Vorfall passierte einen Meter entfernt von den Augen des Linienrichters. Drei Tage zuvor wurde Julian Eitschberger für ein harmloses taktisches Foul, bei dem er seinen Gegenspieler unabsichtlich leicht verletzte, noch des Feldes verwiesen.
Im Übrigen war auch die leblose Reaktion seiner Mannschaftskameraden auf die Verletzung D`Haeses bezeichnend. Lediglich Kelsey Owusu sagte Übeltäter Krohn ein paar nette Worte. Nicht, dass man sich hier eine Rudelbildung wünscht, aber diese Teilnahmslosigkeit war irgendwie bezeichnend. Auch Nils Kaiser wurde radikal abgeräumt. Rostocks Gebuhr blockte Kaiser in der Rostocker Box mittels eines rücksichtslos zu nennenden Pressschlags derart, dass sich Kaiser das Knie verdrehte. Im Gegensatz zur späteren Aktion von Krohn war Gebuhrs Zweikampfführung jedoch noch dem Kampf um den Ball geschuldet. Kaiser humpelte vom Feld und wird ebenso wie D`Haese erst einmal ausfallen. Gebuhr erzielte wenige Minuten später das vorentscheidende 2:0 für Rostock. Szenen, die belegen, dass auch das Momentum klar nicht auf Essener Seite ist. Dazu gehörte auch, dass der wochenlang zahnlos auftretende Gegner Hansa Rostock seinen Chefcoach Bernd Hollerbach genau vor dem Spiel gegen RWE vor die Tür setzte. Eine Handlung, die man schon viel früher hätte erwarten dürfen, war der Zweitligaabsteiger doch hoher Favorit auf den direkten Wiederaufstieg.
Zumindest wirkte aber die Motivationsspritze gegen RWE unmittelbar. So viele lachende Gesichter sah man rund um das Ostseestadion zuletzt nur bei Anhängern von Gastmannschaften. Christoph Dabrowski bezeichnete die Situation seiner Mannschaft hingegen auf der Pressekonferenz als prekär. Da kann man nicht widersprechen. Rot-Weiss Essen steht auf einem Abstiegsplatz und angesichts solcher Vorstellungen auch völlig zurecht. Gerade sechs Tage ist es her, dass man beim 3:3 in Dresden ein gutes Spiel zeigte, sich aber freilich auch dreimal überflüssigerweise eine Führung nehmen ließ. Dann folgten zwei Schlappen mit insgesamt 1:7-Toren. Das war hoffentlich auch ein endgültiger Wachmacher. Lange Zeit herrschte im Verein offenbar die Grundstimmung vor, dass es schon gut gehen und irgendwann nach oben gehen würde. Noch auf der Jahreshauptversammlung vor zwei Wochen sprach aus jeder Rede der Wunsch heraus, alsbald die zweite Liga in den Blick nehmen zu können. Rot-Weiss Essen sollte sich aktuell vor allem damit befassen, dass es auch eine ganz andere Wendung geben könnte. Da hilft nur eines, sich des Abstiegskampfs bewusst zu sein und diesen auch bedingungslos anzunehmen.
Steht auf, wenn ihr Essner seid…
Es bleibt zu hoffen, dass der Zusammenhalt noch besteht und ein gemeinsamer Kraftakt für die sportliche Wende sorgen wird. Die RWE-Mannschaft wird sich aber nur aus der prekären Situation befreien und sich bei ihren Fans für die Nichtleistung von Rostock entschuldigen können, wenn sie endlich den Kampf annimmt, resignative Gesten auf dem Feld durch energische Körpersprache ersetzt und allen Anhängern den Eindruck vermitteln kann, im Spiel alles, wirklich alles für den Erfolg des Vereins gegeben zu haben. Vor allem Letzteres war in Rostock nicht im Ansatz zu spüren und war um es deutlich zu sagen für die unter den genannten Umständen angereisten Fans ein weiterer Schlag in die Fresse. Steht auf, wenn ihr Essner seid, das möchte man der Mannschaft nun zurufen. Wir hoffen, ihr habt es auch verstanden!
NUR DER RWE!