RWE-Fans streiten leidenschaftlich gerne, doch nach der Auslosung der ersten DFB-Pokalrunde herrschte ernüchternde Einigkeit: Der Worst Case ist eingetreten und statt eines attraktiven Bundesligisten oder gar eines Lokalrivalen wurde RWE das mit großem Abstand unattraktivste Los des gesamten Topfes zugeteilt. Das allein ist natürlich noch kein Grund, einer Partie fernzubleiben – schließlich füllen wir das Stadion auch gegen Sandhausen, Verl und Freiburg II.
Es geht auch nicht um fehlende Tradition oder Kommerz, bzw. die Ablehnung derselben, die in den deutschen Ultra-Szenen zu heftigen Protestaktionen führte. Es geht darum, dass der Pokalgegner überhaupt kein Fußballverein ist und die Daseinsberechtigung des absonderlichen Konstrukts darin besteht, analog zu lustigen Seifenkistenrennen oder halsbrecherischen Extremsportarten, Fußball zu einer Werbeveranstaltung herabzuwürdigen, um mehr Getränke zu verkaufen.
Nicht etwa wurde ein Fußballverein „kommerzialisiert“ und versucht durch ausufernde Sponsoringmaßnahmen wie den Verkauf des Stadionnamens bis hin zur Veräußerung von Anteilen Geld zu generieren, um mehr sportlichen Erfolg zu erreichen – stattdessen wurde die Marke als Fußballverein verkleidet, um auf großer Bühne ein Produkt zu präsentieren. Der dahinterstehende Getränkekonzern versucht mit einer hochgradig aggressiven Marketingstrategie den Fußballsport weltweit zu seiner ganz eigenen Seifenkiste zu machen und wischt Vereinsrecht, Mitbestimmung oder Sporthistorie als nerviges Beiwerk beiseite. Im deutschsprachigen Raum erfolgte der Einstieg durch die Übernahme von Austria Salzburg, wo prompt Name, Vereinsfarben und Wappen abgeändert wurden, die Vereinshistorie von der Homepage verschwand und Fans, die im Stadion das vereinheitlichte Bild der Konzernfarben durch die nervigen alten violetten Trikotfarben störten, des Stadions verwiesen wurden. Der bestehende Verein Austria Salzburg wurde nicht durch Sponsoring, bzw. Investorentätigkeit unterstützt, sondern zum Zwecke der maximalen Vermarktung einfach ausgelöscht und musste in den Niederungen des österreichischen Fußballs von seinen Fans neu gegründet werden.
In Deutschland verhinderte die „50+1“-Regel derartige Machenschaften lange Zeit, doch nachdem im Zuge der Fußball-WM 2006 das Leipziger Zentralstadion gebaut wurde und anschließend als nutzlose Immobilie zwischen den Viertligisten LOK und Chemie zu vermodern drohte, lockerte der korrupte Deutsche Fußballbund seine strengen Regeln einfach auf. Statt in der Kreisliga mit einer Vereinsgründung von Null zu beginnen, erhielt der Konzern 2009 die Möglichkeit, die Oberliga-Spielberechtigung des Amateurvereins SSV Markranstädt für ein Jahr zu übernehmen und mit dem ersten Aufstieg die Abkürzung in die Regionalliga zu nehmen. Dort drehte man trotz unbegrenzten Geldflusses und der Verpflichtung ehemaliger Nationalspieler noch zwei peinliche Ehrenrunden, ehe der Durchmarsch in die Bundesliga gelang.
Der anfängliche Misserfolg in der Regionalliga wird bei Verteidigern des Produkts ebenso gerne unter den Tisch fallen gelassen, wie das Fehlen jeglichen operativen Risikos bei der Bewertung der vermeintlich „guten Arbeit“, die dort geleistet werde. Natürlich haben sich im Vergleich dazu viele Traditionsvereine selbst zugrunde gewirtschaftet, aber während in Hamburg, Kaiserslautern oder auch bei uns in Essen nach sportlichem Misserfolg rote Zahlen und ausbleibende Sponsoring- und Fernseheinnahmen eine Negativspirale auslösten, wird in Leipzig das Konto durch den unendlichen Geldfluss jederzeit glattgezogen, da Sponsor und „Verein“ (offiziell existiert ein Verein, dessen wenige stimmberechtigte Mitglieder ausnahmslos Konzernmitarbeiter sind) nicht in Symbiose mit Gegenleistungen existieren, sondern schlicht identisch sind.
Dazu kommt, dass der Konzern nach Belieben die Spieler seiner weltweiten Filialen hin und herschiebt und als Resultat dieses Wettbewerbsvorsprungs Serienmeister in Österreich ist und in Deutschland zweimal den Pokal gewinnen konnte, um diesen natürlich werbetechnisch zum Behältnis für das eigene Getränk umzufunktionieren. Dass sich in Leipzig Zehntausende Zuschauer selbst zu Klatschpappen des Konzerns ohne eigene Vereinsmitgliedschaft machen lassen ist dabei weder verwunderlich noch verwerflich, denn für die Besucher des Zentralstadions reiht sich Fußball tatsächlich als spannendes Event mit Sponsoring-Maskottchen gleich hinter den besagten Seifenkistenrennen ein und eine andere Perspektive auf den Fußballsport ist dort nur bei den unterklassigen Lokalrivalen existent. Die Bedeutung des DFB-Pokals als sporthistorisch bedeutsamer Trophäe eingetragener Vereine stößt dort ebenso auf Unkenntnis und Unverständnis, wie die dem Konstrukt entgegengebrachte Ablehnung, die gerne als Neid auf die sportlichen Erfolge fehlinterpretiert wird.
Genau hier liegt aber der Unterschied zu tatsächlichen Fußballvereinen, denen aus diversen Gründen Sympathie oder Abneigung entgegengebracht wird. Ich wünsche dem Wuppertaler SV viele krachende Niederlagen, nicht aber den Abstieg in die sportliche Bedeutungslosigkeit. Im Stadion besinge ich den Duisburger Abstieg, möchte aber gerne wieder Spiele gegen den MSV in höheren Ligen erleben. Wenn die Blauen aus Gelsenkirchen spielen, schalte ich schonmal ein, um sie verlieren zu sehen. Wenn Leipzig spielt, schalte ich einfach ab. Es ist kein Fußballverein, der Mitglieder oder Fans hat, die ich sympathisch oder unsympathisch finden kann – es sind eine Reihe internationaler Fußballer, die für einen Getränkekonzern auflaufen, der sämtliche Regeln und Werte meiner Lieblingssportart unterlaufen hat und nun zufällig in Leipzig spielt, weil die Marktanalyse ergab, dass dort im weiteren Umfeld bei großem Einzugsgebiet noch kein Profifußball geboten wurde. Wäre der DFB als Institution nicht hochgradig korrupt, die illegitime Teilnahme des Konzerns am deutschen Vereinsfußball wäre niemals ermöglicht worden und wir hätten uns im Worst Case über einen leeren Elversberger Gästeblock geärgert.
Während darin redaktionsintern Einigkeit besteht, wurden die Konsequenzen durchaus kontrovers diskutiert. Für mich ist ein Besuch dieses Spiels keine Option, denn durch einen Stadionbesuch trage letztendlich mit dazu bei, ein unter skandalösen Umständen in der Fußballbundesliga etabliertes Konstrukt zu normalisieren. Natürlich wird das Stadion auch diesmal voll sein, wünschenswert wäre aus meiner Sicht allerdings bei jedem Pflichtspiel gegen die Leipziger ein leeres Stadion ohne bunte Choreografie und mit werbeunwirksamer Kreisligakulisse. Dass es bei einem Duell mit einem Champions League Teilnehmer auch Wochen nach Verkaufsstart noch Karten für den Heimbereich gab, während diese für den Ligaauftakt gegen Alemannia Aachen in kürzester Zeit vergriffen waren, zeigt mir, dass ich mit der Einstellung offenbar nicht allein bin. Natürlich ist aber auch der Standpunkt absolut legitim, immer Rot-Weiss Essen zu unterstützen und bei der ersten Pokalrunde seine Mannschaft anzufeuern – unabhängig vom Gegner. Mögen die anwesenden Rot-Weissen den gegnerischen Spielern und Gästeblockbesuchern eine gastfreundschaftliche Erfahrung nach alter Hafenstraßenmanier bereiten und die hoffentlich folgende sportliche Sensation uns noch ein richtiges Pokalspiel gegen einen Fußballverein in Runde 2 bescheren!
Nur der RWE!