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Einmal Lotte und zurück – ein Rückblick auf 14 Jahre im Fußballniemandsland – Kapitel IV

Vor dem Projekt „Hoch 3“ legte RWE eine P3 Spielzeit vor: Pleiten, Pech und Pannen. Die Saison 2015/16 endete beinahe mit dem Abstieg in die Oberliga. Aber für einen ehemaligen Protagonisten in der Premier League. Das Kapitel IV für die besonders Hartgesottenen ist aufgeschlagen.

Kapitel IV: Mit DFB-Jugendpower fast in Richtung Oberliga – Siewerts Horror-Hafenstraßen-Fußball

In die Spielzeit 2015/16 gingen RWE und seine Anhänger trotzdem wieder optimistisch: Frischer Wind sollte durch einen Trainer-Rookie kommen. Jan Siewert, zuvor für den DFB im Jugendbereich tätig gewesen, heuerte an der Hafenstraße an und verkündete bei seiner Vorstellung selbstbewusst, „Hafenstraßen-Fußball“ spielen lassen zu wollen. Gerade 32 Jahre alt war Siewert bei Amtsantritt. Zumindest ein Spieler seines Kaders war älter, nämlich Frank Löning. Der damals 33 Jahre alte Ex-Profi kam erst zur Rückrunde und half RWE mit 7 Toren aus der allergrößten Klemme heraus. Denn Siewerts Hafenstraßen-Fußball zauberte sehr selten ein Lächeln auf die Gesichter der Fans, meistens herrschte dort eher blanker Horror. RWE spielte seine schlechteste Regionalliga-Saison und kämpfte lange Zeit gegen den Abstieg. Den Klassenerhalt bewerkstelligte Siewert-Nachfolger Sven Demandt, denn Anfang April 2016 stellte Rot-Weiss Essen seinen glücklosen Jungcoach frei. Gerade noch rechtzeitig.

Jan Siewert – von der Regionalliga in die Premier League – und keiner kann’s verstehen.

Eine kuriose Randnote: Um Siewert aus seinem komfortablen Vertrag beim DFB herauszubekommen, köderte Rot-Weiss den im Seniorenbereich völlig unerfahrenen Trainer mit einem Dreijahresvertrag. So einen Kontrakt unterschrieb in Essen wohl kein Trainer vor Siewert und garantiert kein Trainer nach ihm. Für RWE wurde die Trennung somit zu einem teuren Spaß. Siewerts Ruf war durch die RWE-Episode aber (noch) nicht ruiniert. Er arbeitete danach als Co-Trainer für den VFL Bochum und übernahm die U19 des Vereins, jeweils kurzfristig. Dann wurde er Coach der Dortmunder Regionalligamannschaft und das immerhin für 1,5 Jahre von 2017 bis Anfang 2019. In dieser Zeit machte er überschaubar wenig aus dem mit Rohdiamanten besetzten Kader, doch gelang ihm im Herbst 2018 eine süße Rache an seinem ehemaligen Arbeitgeber RWE, als er Essen mit einer stark profiverstärkten BVB-Mannschaft 5:0 wegputzen sollte. Dazu später mehr.

Hier links im Bild die andere Hälfte des englischen Dream-Teams – Ändy Wuinklah

Als letztes Kuriosum darf Siewerts Engagement als Cheftrainer in der Premier League gelten. Es kam ein Angebot aus Huddersfield und Siewert wurde im Januar 2019 vom BVB für diese große Chance freigegeben. Auf der Insel hatte seit einem gewissen Jürgen Klopp ein Run auf deutsche Trainer eingesetzt, vor allem auf solche, die in Dortmund tätig gewesen waren. So verdankte Jan Siewert seinen Inseltrip wohl eher diesem Umstand als seinen persönlichen Referenzen. Huddersfield stand bei seiner Amtsübernahme schon abgeschlagen auf einem Abstiegsplatz, in der Rückrunde sollte Siewert einen konstanten sportlichen Low-Level halten, Klatsche auf Klatsche einfahren und absteigen. Unterstützt von seinem Co, dem uns ebenfalls bekannten Andy Winkler. Als das Duo Infernale aus Deutschland den Saisonstart in Englands Liga Zwei in den Sand setzte, wurde ihm der Stuhl vor die Tür gesetzt. Neben der sportlichen Misere wurden SieWink auch in Huddersfield ein unglücklich zu nennender Umgang mit Spielern nachgesagt. Aktuell ist Jan Siewert Cheftrainer in der Mainzer Nachwuchsabteilung und in der Jugend wohl besser aufgehoben.

Die namhaften Neuzugänge im Sommer 2015 sorgten für viel Zuversicht.

Dabei hatte es vielversprechend angefangen. In der Vorbereitung überzeugte RWE, vermöbelte den Lokalrivalen ETB und trotzte dem spanischen Zweitligisten Real Mallorca ein Unentschieden ab. Dann kam der erste Spieltag und der SC Wiedenbrück nach Essen. RWE agierte schwungvoll, Neuzugang Kasim Rabihic brillierte gar durch Kabinettstückchen. Die Führung wollte aber nicht gelingen, in Abschnitt 2 holte sich mit Jeffrey Obst ein weiterer Neuer die Rote Karte nach einer Rudelbildung ab. RWE ging danach ein wie eine Primel und 0:3 unter. Unter anderem traf der spätere Essener Kamil Bednarski. Ein herber Dämpfer.

Guter Einstand für Neuzugang Jeffrey Obst – rote Karte und ein 0:3 im Auftaktspiel für RWE.

Dann ging es gegen den alten Westrivalen Fortuna Düsseldorf im DFB-Pokal. Essen zeigte ein anderes Gesicht als noch gegen Wiedenbrück. Zum einen rotierte Siewert das Personal ordentlich durch und mit Benny Baier befand sich ein eigentlicher Führungsspieler erst einmal auf der Bank. Überhaupt setzte Siewert stark auf die Jugend, denn sein Kapitän war der erst 21 Jahre alte Moritz Fritz. Auch spielerisch zeigte Rot-Weiss sich deutlich verbessert, der Pokalfight ging über 120 torlose Minuten, in denen der Regionalligist mehr vom Spiel und bessere Chancen gehabt hatte als der zwei Klassen höher spielende Gegner. Seltsamerweise wurde nach dem Elfmeterschießen, das die Fortuna mit 3:1 gewinnen sollte, Düsseldorfs Keeper Lars Unnerstall als Pokalheld gefeiert. Der hatte aber nur einen von drei Essener Fehlschüssen pariert, die anderen beiden flogen über das Tor. RWE-Schlussmann Robin Heller hingegen hielt sogar zwei Strafstöße des Zweitligisten, guckte aber am Ende ebenso in die Röhre wie alle anderen Essener auch. Sportlich war das eine typische Siewert-Episode, denn mit etwas mehr Fortune gegen Fortuna hätte RWE womöglich besser in die Spur gefunden.

Elfmeterschießen war auch damals schon nicht die Paradedisziplin der RWE-Kicker.

Aber es kam anders. Nur selten haute Rot-Weiss in der Liga mal einen raus, wie beim 9:1 gegen den TuS Erndtebrück. In Erinnerung blieben eher Partien wie der Auswärtsauftritt bei der SG Wattenscheid 09. Dieser wurde unter der Woche bundesweit von Sport 1 in deutsche Wohnzimmer gebracht, in denen dreifach der Torjingle der SGW erklingen sollte und entgeisterte Gesichter aus Essens Fankurve stierten. RWE kam einfach nicht in Schwung und schlidderte Schritt für Schritt herab.

„Moritz Fritz, Sie haben 0:3 gegen Wattenscheid verloren. Wie enttäuscht sind Sie?“

Verantwortlich für den tabellarischen Stillstand und dann Tiefflug waren nicht nur die Niederlagen, sondern auch zahlreiche Unentschieden. So legte RWE vom 18 bis 26 Spieltag eine Serie von 8 Remis in Serie hin, eingerahmt von jeweils einer Niederlage.

Nach nun also 10 Spielen ohne Dreier hatte dann der SC Verl die Ehre, in Essen 0:1 zu verlieren, Siegtorschütze Essens Fußball-Gott Marcel Platzek. Im Hinspiel an der Verler Poststraße waren die RWE-Fans noch im wahrsten Sinne des Wortes mit Dreck beworfen worden, als Marco Kaminski im Trikot der Gastgeber die Liebkosungen der Essener Anhänger von der Außenseite zu viel wurden und er einen ausgerissenen Grasbüschel in Richtung der Fans warf, worauf die Aufregung groß war. Zum Glück war die knapp einen Meter hohe Bande aber Hindernis genug, um einen Platzsturm zu verhindern und die Gemüter beruhigten sich wieder. So konnte Rot-Weiss im Rückspiel Rache für seine Fans nehmen. Danach gab es gegen Viktoria Köln und die Sportfreunde Lotte wieder Schlappen und Essen zog auf der Trainerbank die Reißleine. RWE war 15. und stand so eben noch über dem Strich bei einem verfestigten Abwärtstrend. Velbert als 16. hatte sogar noch ein Spiel in der Hinterhand.

Neuer Mann auf der Trainerbank: Sven Demandt (re.). Hier lacht er noch.

Von nun an war Sven Demandt Essens neuer Mann an der Seitenlinie und die Fans forderten „Three Points on Demand“. In den verbleibenden 8 Spielen holte Demandt dann einen Zwei- Punkteschnitt und holte RWE aus der Abstiegszone. Die endgültige Rettung gelang erst am vorletzten Spieltag, ausgerechnet gegen den FC Kray. Dieser leistete jedoch ordentlich Widerstand. Offiziell hatte Kray Heimrecht, aber man spielte im Stadion Essen. Frank Löning brachte RWE in Führung, doch bereits zum Pausenstauder hatte Kray ausgeglichen. Obwohl Essens FCK sogar durch einen Platzverweis dezimiert worden war, ging er in Unterzahl in Führung. RWE hörte die Glocken der Oberliga läuten, ein Doppelpack in der 78. und 79. Minute durch Löning und Platzek brachte Rot-Weiss ans rettende Ufer. Da die Konkurrenz zeitgleich ordentlich Federn ließ und Rot-Weiss am letzten Spieltag gegen Dortmund II erneut siegen sollte, täuschte Tabellenplatz 12 am Ende über die zeitweisen Nöte arg hinweg.

Selten war eine Trennung von einem Trainer so überlebenswichtig gewesen wie die von Jan Siewert, auch wenn die Abstiegssorgen im Nachgang der Saison etwas relativiert wurden: Da es keinen Drittliga-Absteiger in die Regionalliga West gab, die Sportfreunde Lotte als Regionalliga-Meister jedoch die Relegation gegen Südwest-Vertreter Waldhof Mannheim siegreich gestalteten und die Liga nach oben verließen, wurde ein Abstiegsplatz gestrichen und die Zweitvertretung des FC Köln hielt mit 41 Punkten doch noch die Klasse.

Frank Löhning hatte großen Anteil am Klassenerhalt in dieser Saison

Was blieb von dieser Horror-Saison sonst noch in Erinnerung? Zum Beispiel der strukturloseste und aufgeblähteste Kader der womöglich ganzen Vereinsgeschichte. Nicht nur Trainer Siewert war ein Anfänger im Seniorenbereich, auch der sportliche Leiter Andreas Winkler bewies, dass Uwe Harttgen auf dieser Position noch nicht der Tiefpunkt gewesen war. Winkler kaufte gefühlt alles, was nicht rechtzeitig auf die Bäume kam und am Ende der Spielzeit hatten 36 Spieler im rot-weissen Kader gestanden. Klingt das bereits rekordverdächtig, so sorgt dann die Zahl 15 für noch größeres Erstaunen. Denn das war, kaum zu glauben aber wahr, die Anzahl der Spieler, die es auf 0, in Worten Null Einsätze brachten.

Winkler oder besser RWE bezahlte Ablösen für Spieler, die kaum einen Gegenwert dafür lieferten, oder verpflichtete z.B. Juwelen wie den norwegischen Ex-Jugendnationalspieler Hendrik Gulden. Das Problem war nur, dass Gulden da bereits wegen einer Erkrankung kurz vor der Sportinvalidität war. Dennoch müsse man so einen Mann holen, wenn es die Gelegenheit gäbe, so Winkler. Gulden, der im Anschluss dem Giganten Sportfreunde Niederwenigern die Gelegenheit zu seiner Verpflichtung ermöglichte, brachte es wenig überraschend auf keine Einsatzzeiten. Im Vergleich zu Gulden erwies sich sein Landsmann Joachim Osvold als echter Kracher und brachte es auf immerhin 85 Spielminuten. Er dürfte damit auch Erling Haaland als Vorbild für seine Deutschland-Erfahrungen gedient haben.

Erling Haaland hatte zur Motivation ein Poster seines Vorbildes Joachim Osvold an der Wand hängen.

Einmal in Fahrt gekommen packte Essens sportlicher Leiter noch den Oberliga Goalgetter Kai Druschky obendrauf, der, richtig, ebenfalls kein einziges Mal für RWE spielen sollte. Druschky war aber wenigstens durch einen kurz nach seiner Verpflichtung erlittenen Mittelfußbruch entschuldigt. Dass Essens Kader gleich 5 Torhüter angehörten, sprach auch nicht gerade für Winklerschen Weitblick. Unter ihnen übrigens Manuel Lenz, heute Torwarttrainer an der Hafenstraße. Winklers Kaufrausch sorgte dafür, dass man noch heute bei einigen Namen des Kaders 2015/16 arge Erinnerungslücken an die Spieler hat, die diesem offiziell angehörten.

Dabei gab es auch echte Kracher innerhalb dieser Mannschaft. Neben den bereits erwähnten Frank Löning und Kasim Rabihic standen auch Spieler wie Cebio Soukou und Kevin Behrens, aktuell bei Union Berlin in der Bundesliga tätig, bei RWE unter Vertrag. Diese gerieten beide mit dem überforderten Jan Siewert aneinander und wechselten in der Winterpause. Soukou nach Aue in Liga Zwei und Behrens zum 1. FC Saarbrücken.

Unter Andreas Winkler wurden gerne auch mal gute Spieler, wie Kevin Behrens, während der Saison aussortiert.

Sportlich schwächte das die RWE-Mannschaft, aber der verzweifelt und vergeblich um Autorität ringende Siewert nahm das billigend in Kauf. Beim Training durfte er dafür dank Andy Winkler meistens einen Spickzettel mitnehmen – wer kann sich schon merken, wer so alles binnen kurzer Zeit gekommen und gegangen war? Irgendwie passt zu dieser Katastrophenspielzeit, dass Nachbar Rot-Weiß Oberhausen gegen Ende der Saison mit 2:0 an der Hafenstraße gewinnen sollte. Das blieb bis zum heutigen Tage der letzte Sieg, den RWO in der Liga gegen RWE erzielen konnte! Etwas versöhnt wurden die Fans mit dem Titelgewinn im Niederrhein-Pokal, den Rot-Weiss sich mit einem 3:0 Erfolg über Wuppertal sichern sollte. So schloss man die Saison unter Sven Demandt stabilisiert ab und sollte das in der kommenden Spielzeit fortsetzen.

Regelmäßig den Niederrheinpokal gewinnen konnten wir aber.

Fortsetzung folgt …