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WM 1974 Finale Deutschland – Niederlande

Nach frühem Schock gewinnen deutsche Tugenden die Oberhand! Müller schießt das Siegtor, Meier hält den Sieg fest, Deutschland ist wieder Weltmeister!

WM 1974 in Deutschland

07.07.1974 in München, Olympiastadion (Zuschauer: 78.200), Anstoß 16:00 Uhr (MEZ), Schiedsrichter: Jack Taylor (England)

Deutschland: Niederlande  2:1 (2:1)

Aufstellungen:

Deutschland:

Maier – Breitner, Beckenbauer (C), Schwarzenbeck, Vogts – Hoeneß, Bonhof, Overath – Grabowski, Müller, Hölzenbein

Trainer: Helmut Schön

Niederlande:

Jongbloed – Krol, Haan, Rijsbergen (68. De Jong), Suurbier – van Hanegem, Neeskens, Jansen – Rensenbrink (46. Van de Kerkhof) , Cruyff (C), Rep

Trainer: Rinus Michels

Tore:

0:1 Neeskens (2., Elfmeter), 1:1 Breitner (25. Elfmeter), 2:1 Müller (43.)

Nach frühem Schock gewinnen deutsche Tugenden die Oberhand! Müller schießt das Siegtor, Meier hält den Sieg fest, Deutschland ist wieder Weltmeister!

Deutschland ist Fußball-Weltmeister! In einem hochspannenden und dramatischen Finale im Münchener Olympiastadion hat die DFB-Elf die Niederlande niedergerungen. Noch nie geriet eine Mannschaft in einem WM-Finale so früh in Rückstand wie die deutsche Elf, doch bis zur Pause stand das Endergebnis bereits fest, weil Breitner per Foulelfmeter und natürlich Gerd Müller die Partie drehten. Den zwischenzeitlichen Sturmlauf von Oranje überstand die Schön-Elf und hatte ihrerseits Gelegenheiten weitere Treffer zu machen. Am Ende behielten deutsche Tugenden die Oberhand. Wir werfen einen Blick auf den Endspielnachmittag.

Das Personal und die taktische Ausrichtung

Helmut Schön schickte die Mannschaft ins Spiel, die sich mit zunehmender Turnierdauer gefunden und auch die Wasserschlacht gegen Polen gewonnen hatte. Vor Sepp Maier organisierte Spielführer Beckenbauer die Abwehr, Breitner verteidigte auf Links und interpretierte diese Rolle gewohnt offensiv, Schwarzenbeck stand neben Beckenbauer im Zentrum, Berti Vogts stand nominell rechts in der Kette, sollte aber Johann Cruyff sonderbewachen. Davor spielten zwei deutsche Dreierreihen, Uli Hoeneß, Rainer Bonhof und Wolfgang Overath sollten die Bindeglieder zwischen Abwehr und Angriff sein, vor ihnen spielten die offensiven Außen Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein, das Sturmzentrum besetzte der „Bomber der Nation“ Gerd Müller.

Die Niederlande agierten nominell mit einer sehr vergleichbaren Grundformation, der zentrale Stürmer Johann Cruyff wechselte aber immer wieder von der Neun auf die Zehn und zurück, was Berti Vogts als dessen “Kettenhund” zunächst große Schwierigkeiten bereitete. Nach dem Anfangsschock fing sich die deutsche Mannschaft und schließlich war Oranje unter Zugzwang. Während der „General“ Rinus Michels von beiden möglichen Wechseln Gebrauch machte und zunächst Rensenbrink bereits zur Halbzeit positionsgetreu gegen René van de Kerkhof im Sturm tauschte und später dann den angeschlagenen Verteidiger Rijsbergen durch Theo de Jong ersetzte, um noch offensiver zu werden, beließ der Mann mit der Mütze Helmut Schön seine Mannschaft unverändert auf dem Feld. Auch ein Ausdruck dafür, dass die Deutschen mit zunehmender Spieldauer anders als die Niederländer nichts verändern mussten.

 Die Pluspunkte

Es ist als großer Verdienst der deutschen Mannschaft zu bezeichnen, dass sie den sehr frühen Rückstand wegsteckte und nicht die Nerven verlor, als der Gegner versuchte, mit ihr Katz und Maus zu spielen. Im Gegenteil reichten der DFB-Elf bis zum Pausenpfiff starke gut 20 Minuten, um die Partie zu drehen. Bockstark in solch einem Endspiel. Zum Pausentee konnte Oranje, das so selbstbewusst begonnen hatte, sogar froh sein, nicht noch ein Tor höher in Rückstand zu sein.

Im zweiten Abschnitt stand die Mannschaft während der gegnerischen Drangphase zusammen, Sepp Maier zeigte sein wohl bestes Länderspiel und als er einmal geschlagen war, stand Paul Breitner auf der Torlinie, um zu klären. Anders als die Niederländer, die häufg und intensiv mit Schiedsrichter Taylor diskutierten, konzentrierten sich die Deutschen auf ihr Spiel und blieben auch besonnen, als Jack Taylor ihnen Grund gab, unzufrieden mit der Schiedsrichterleistung zu sein. Insgesamt siegte somit die Mannschaft, die die größere Reife an den Tag gelegt hatte.

Die Knackpunkte

Kaum war die Partie angepfiffen, da stand das weite Rund des Olympiastadions mit Ausnahme der holländischen Fanblöcke bereits unter Schock. Die Niederlande ließ vom Anstoß den Ball lange zirkulieren, ohne dass ein deutscher Spieler an den Ball kam. Auch als die Holländer das Spiel in die deutsche Hälfte verlegten. Als Johann Cruyff schließlich mit dem Ball antrat, war er die siebzehnte Station des niederländischen Aufbauspiels. Der Kapitän war nicht zu stoppen, narrte Berti Vogts gleich zweimal, dann kam Uli Hoeneß seinem Mannschaftskameraden zur „Hilfe“, aber leider regelwidrig auf der Strafraumkante. Elfmeter für Holland. Neeskens knallte trocken in die Mitte, nach 2 Minuten lag die deutsche Mannschaft hinten. Ein Albtraumstart.

Es dauerte nur ein paar weitere Minuten, da hatte Berti Vogts die Gelbe Karte gesehen, nachdem er erneut auf ein Mätzchen von Johann Cruyff hereingefallen war und dieses bereits entnervt wirkend mit einem Foul sanktionierte. Zu diesem Zeitpunkt wirkten Terrier Vogts und fast die ganze Mannschaft überfordert. Nachdem sich Deutschland gefangen und den Niederländern Spiel und Führung entrissen hatte, wurde der deutsche Auftritt nach gut einer Stunde zu passiv.

In den folgenden 20 Minuten gab es diverse kritische Situationen zu überstehen. Als Johhny Rep, bedient von Suurbier, nach 78 Minuten nur noch Maier und das deutsche Tor vor sich hatte, schien es um die deutsche Führung geschehen, doch Rep brachte das Kunststück fertig, den Ball vorbei am und nicht ins Tor zu schießen. Immer dann, wenn die Niederländer mit Tempo auf die deutsche Abwehr zugehen konnten, wurde es vor allem für Katsche Schwarzenbeck schwer, seine Schnelligkeitsnachteile zu kompensieren, doch Oranje hatte zum Glück auch in diesen Situationen kein Zielwasser getrunken oder es stand Sepp Maier im Weg. Das Schlimmste war nach gut 80 Minuten überstanden, die Niederländer verlegten sich zunehmend auf lange weite Bälle, die Maier allesamt fischte, zum Teil aber Kopf und Kragen riskieren musste. Von Minute 63 bis 83 durfte man von deutschem Matchglück sprechen.

Die Aufreger

Schiedsrichter Jack Taylor aus England und sein Gespann aus Ramon Barreto Ruiz aus Uruguay und Alfonso Gonzalez Archundia aus Mexiko hatten so manche knifflige Situation zu meistern und lagen dabei nicht immer richtig. Korrekt waren beide gegebenen Elfmeter. Als Johann Cruyff unwiderstehlich angetreten war, senste ihn Uli Hoeneß von der Seite kurz hinter der Strafraumlinie um. Keine Wahl für Taylor. Der Elfmeter zum deutschen Ausgleich war einem unvorsichtigen Einsteigen von Wim Jansen geschuldet, der den dribbelnden Bernd Hölzenbein mit lang ausgezogener Grätsche in Höhe des Elfmeterpunktes am Standbein erwischte.

Weniger richtig lag Taylor in der zweiten Hälfte bei gleich zwei Entscheidungen gegen die deutsche Mannschaft. Gut 10 Minuten nach Wiederanpfiff flankte Grabowski auf Gerd Müller, der sich im Strafraum frei gestohlen hatte und zum vermeintlichen 3:1 einschoss. Die Fahne des Linienrichters ging hoch, zu Unrecht, Rijsbergen stand bei Ballabgabe deutlich hinter Müller und näher am Tor. Eine dicke Fehlentscheidung. Knapp 5 Minuten vor dem regulären Spielende drang Hölzenbein wieder mit dem Ball am Fuß in die Box ein, wieder stand ihm Wim Jansen im Weg, der den Frankfurter förmlich umnietete. Was Taylor geritten hat, hier keinen Strafstoß zu verhängen wird das große Geheimnis des Mannes von der britischen Insel bleiben.

Zudem entgingen zwei Niederländer nur knapp einem Platzverweis. Zunächst schuppte Van Hanegem noch in Hälfte eins Gerd Müller einfach um, als der ein angebliches Foul von Rijsbergen monierte. Taylor sah das Vergehen nicht, der Linienrichter griff ein. Van Hanegem kam mit Gelb davon. Johann Cruyff wiederum hatte Taylor auf dem Weg in die Kabine so hart verbal bearbeitet, bis auch der Oranje-Spielführer den Gelben Karton sah. In Hälfte Zwei stieg Cruyff hart gegen Sepp Maier ein, der den Ball bereits sicher hatte. Hier lag ein Feldverweis für den Weltstar in der Luft.

Fazit

Die über 78.000 Zuschauer sahen ein packendes und hochklassiges Finale, in der die deutsche Mannschaft das Glück des Tüchtigen hatte. Die Niederländer gaben zunächst klar den Ton, dann aber das Spiel eben auch aus der Hand. Danach standen auf der einen Seite diverse sehr gute Gelegenheiten das 2:2 zu erzielen, aber auf der anderen Seite auch krasse Fehlentscheidungen gegen die deutsche Mannschaft, die das Spiel überhaupt nur so lange so offen hielten. Unter dem Strich ist die Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland ein würdiger Weltmeister.

Die erste Weltmeisterschaft in Deutschland 1974 und der verdiente glückliche Endspielsieg

Das WM-Turnier 1974 in Deutschland war die erste Heim-WM des DFB-Teams, bevor sie 32 Jahre später erneut im eigenen Land antreten durfte. Die WM 2006 wurde zum Sommermärchen ohne Titel, die WM 1974 wird in Hinblick auf das Sportliche kritischer gesehen, die Weltmeisterelf von 1974 fühlt sich noch immer auch vom DFB als nicht wirklich akzeptiert, aber Deutschland war am Ende 20 Jahre nach dem Wunder vorn Bern zum zweiten Mal Fußball-Weltmeister.

Obwohl sich bis heute hartnäckig die Meinung gehalten hat, der Finalsieg über die Niederlande sei höchst glücklich ausgefallen, so kann man das anhand der Ereignisse des Endspiels als zumindest fragwürdig ansehen. Wie die Kategorie „Aufreger“ zeigt, hätten sich die Holländer über eine höhere Niederlage im Endeffekt gar nicht beschweren können, denn Deutschland wurde ein korrektes Tor aberkannt und es hätte zwingend einen weiteren Strafstoß für das Team von Helmut Schön geben müssen. Müllers „Abseitstor“ hätte das 3:1 bedeutet, die Fehlentscheidung wurde weder während der Live-Reportage von Rudi Michel groß diskutiert noch in der Nachberichterstattung. Selbst nach der damaligen Definition der Abseitsregel, nach der zwei gegnerische Spieler der Torlinie näher sein mussten als der Angreifer und gleiche Höhe strafbares Abseits gewesen war, handelte es sich um eine extreme Fehlentscheidung.

Die unbestreitbare Anzahl an sehr guten Gelegenheiten für die Oranjes das 2:2 zu erzielen, die größte davon ein fast kaum zu glaubender Fehlschuss des ansonsten bei dieser WM treffsicheren Mittelstürmers Johnny Rep frei vor dem Tor von Sepp Maier, haben sich allerdings stärker in die Erinnerung eingebrannt, ebenso die Sichtweise auf eine angeblich klare Schwalbe von Bernd Hölzenbein vor dem Elfmeter, der zum Ausgleich führte. Auch hier darf man anderer Meinung sein. Hölzenbein hatte einen öffnenden Pass von Overath aufgenommen und spazierte förmlich durch die niederländische Abwehrreihe, die fast eine Gasse für Hölzenbein bildete. Als der Frankfurter im Strafraum angekommen war, standen vier Oranjes um ihn herum, aber keine Anspielstation.

So dribbelte er weiter, verlud Rijsbergen und dann grätschte Wim Jansen mit einer Ungeschicklichkeit Richtung Standbein Hölzenbeins, dass noch heutzutage jeder gute Stürmer diese Einladung annehmen würde. Eine klare Fehlentscheidung war das ganz bestimmt nicht. Bezeichnend wie Rijsbergen resigniert abdrehte und nichts zu monieren hatte, während Abwehrchef Arie Haan fragende Gesten in Richtung Jansen machte, was er da gemacht habe. Erst später kamen die Niederländer dann zu der Überzeugung, dass hier eine klare Schwalbe vorgelegen habe, in der Szene selber war ihnen wohl bewusst, dass dieser Pfiff korrekt war. Letztlich handelte es sich um einen krassen Abwehrfehler, denn das in klarer Überzahl befindliche Oranje konnte Hölzenbein nicht am Dribbling in die Box hindern und Jansens Einsteigen war einfach dumm.

Das spätere ungeahndete Foul an demselben deutschen Spieler war im Übrigen so klar, dass man zwei Strafstöße dafür hätte verhängen können. Beim Elfer, der gegeben wurde, gab es dann noch die Anekdote über den Schützen Paul Breitner. Bundestrainer Helmut Schön hatte im Vorfeld des Endspiels angeblich keinen Elfmeterschützen festgelegt. Das war umso erstaunlicher, als dass Uli Hoeneß im Match gegen Polen noch einen Elfer recht kläglich vergeben hatte. Hoeneß spielte im Finale übrigens unter Nachwirkungen von hohem Fieber, unter dem er noch in der Nacht vor dem Spiel gelitten hatte. Um seinen Einsatz nicht zu gefährden ließ Hoeneß sich vom Münchener Mannschaftsarzt fiebersenkende Mittel verabreichen, Helmut Schön wusste davon nichts. So aber war doppelt klar, dass nicht erneut Hoeneß antreten werde.

Paul Breitner hingegen litt schon als junger Spieler nicht unter mangelnden Selbstbewusstsein, schnappte sich den Ball und verwandelte sicher, während TV-Kommentator Rudi Michel die Zuschauer aufforderte, denselben Mut zu haben wie Breitner und zumindest hinzuschauen. Der Ausgleich war der Schlüssel zum Sieg, denn nun änderten sich die Kräfteverhältnisse auf dem Feld und die Niederländer bedauerten wohl schon jetzt, nach der Führung Schlendrian walten gelassen zu haben. Breitner selbst, selten verlegen um Selbstinszenierungen, schilderte später, ihm sei beim Anschauen der Bilder des Finales der Schweiß ausgebrochen, als er die Nummer 3 habe ins Bild kommen und sich den Ball schnappen gesehen zu haben. Die Nummer 3, das war Breitner selber und er bezeichnet sich bis heute als Deppen, diese Verantwortung übernommen zu haben.

Ob man Breitner das so abnehmen darf, steht auf einem anderen Blatt, richtig ist aber sicherlich die Einordnung des Ausgleichs als Wendepunkt des Spiels. Diesen Wendepunkt und seine Folgen hat Oranje bis heute nicht verkraftet und verarbeitete dieses Trauma nur schwerlich bis gar nicht. Auch die niederländische Öffentlichkeit nicht. In Amsterdam, wo man am Montag darauf den Weltmeister feiern wollte, wurde der Empfang der geschlagenen Mannschaft abgesagt, obwohl diese das mit Abstand beste Turnierergebnis der Verbandsgeschichte geliefert hatte. Am Tag des Endspiels am 07.Juli 1974 war die niederländische Nationalmannschaft sehr stark, aber Deutschland siegte keinesfalls unverdient.

Am Ende hatte die Elf um Weltstar Johann Cruyff sich auch ein wenig selbst besiegt. Eine gewisse Überheblichkeit war den Oranjes zu eigen geworden. Vor dem Münchener Finale hörten die deutschen Spieler in ihrer Umkleide über die Lüftungssysteme des Münchener Olympiastadions freudiges Singen aus der Kabine des Gegners. Offenbar waren die Niederländer siegessicher. Und das, obwohl alle Spieler des niederländischen Kaders WM-Neulinge waren, während Franz Beckenbauer und Wolfgang Overath bereits 1966 ein Finale gespielt und vier weitere Akteure der deutschen Startelf bei der WM in Mexiko Erfahrungen gesammelt hatten. Zudem hatte Oranje, bislang nur bei den antiken Turnieren 1934 und 1938 dabei und dabei sieglos geblieben, ein Finale auswärts beim amtierenden Europameister zu bestreiten. Die spürbare Hybris der Holländer machte das DFB-Team wütend und letztlich vergaßen die Deutschen über diesen Ärger sogar ein wenig ihre Zweifel darüber, diese Niederländer schlagen zu können.

Diese Zweifel waren nach dem Verlauf des Turniers aber durchaus angebracht. Fußballerisch stand die Weltmeisterschaft bislang im Zeichen einer groß aufspielenden niederländischen Auswahl um ihren Superstar Johann Cruyff herum, der wohl der beste Spieler des Turniers war. Cruyff besaß bereits durch seine Rückennummer, der 14, einen nach Außen sichtbaren Sonderstatus. Eigentlich war das niederländische WM-Aufgebot alphabetisch durchnummeriert worden, weswegen zum Beispiel Torhüter Jongbloed mit der Nummer 8 auflaufen musste. Cruyff hätte etatmäßig die Rückennummer 3 bekommen müssen, doch er bestand auf der 14, der Nummer mit der er bei seinem langjährigem Verein Ajax Amsterdam für Furore gesorgt und sich den Ruf eines Weltstars erworben hatte.

Ajax hatte von 1971 bis 1973 dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewonnen, auf dem Weg zum Titel 1973 hatten der niederländische Meister den deutschen Bayern München dabei gedemütigt und den FCB mit 4:0 in Amsterdam vorgeführt. Das galt als Fingerzeig auf die holländisch-deutschen Kräfteverhältnisse. Regisseur Cruyff trug die 14. Die hatte er auch bei seinem neuen Arbeitgeber, dem FC Barcelona erhalten. Der Exzentriker dachte also bei der WM 1974 gar nicht daran, sich dem Nummernspiel des Verbandes zu unterwerfen. Obwohl die Deutschen bei der WM mit 7 Spielern des FC Bayern antraten,  die im selben Jahr den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatten und Ajax nachgefolgt waren, mit Ausnahme von Jupp Kapellmann waren alle Stammspieler, hatte der Kader der Oranjes eine  sehr ähnliche und in den Augen der meisten Experten noch höhere individuelle Qualität zu bieten.

Sieben Spieler standen bei Ajax Amsterdam unter Vertrag, weitere sieben Akteure beim zweiten Renommierklub Feyenoord Rotterdam und neben Cruyff spielte auch Johann Neeskens in Barcelona. Auf deutscher Seite schnürten Paul Breitner, allerdings erst nach dem Turnier, und Günther Netzer ihre Schuhe für Real Madrid, was auch die größtmögliche Klubrivalität mit den beiden Barca-Stars abbildete. Als die WM dann startete, war Oranje aber deutlich besser in der Spur als der Gastgeber. Das deutsche Auftaktspiel in Berlin  geriet zu einem zähen Ringen. Am Ende musste ein toller Distanzschuss von Breitner her, damit der Gastgeber und Favorit den Außenseiter Chile mit 1:0 niederringen konnte. Im zweiten Gruppenspiel wurde es nach Treffern von Overath, Cullmann und Gerd Müller gegen Australien, ein weiterer Underdog, mit 3:0 klarer und das Ticket für die Zwischenrunde war bereits gelöst, doch Begeisterungsstürme hatte das Team von Helmut Schön erneut nicht ausgelöst.

Was folgte war der große Weckruf bei dieser WM für den späteren Weltmeister und ein Stück deutsch-deutsche Sportgeschichte. Im Hamburger Volksparkstadion trafen beide deutsche Teilstaaten zum Gruppenfinale aufeinander, sprich die BRD empfing die DDR. Ausgerechnet bei der Endrunde in Westdeutschland kam es somit zum einzigen innerdeutschen Duell überhaupt, denn da die BRD die DDR lange Zeit nicht als autonomen Staat anerkennen wollte, sollte das andere Deutschland auch nicht durch Länderspiele aufgewertet werden. Nun aber wurde die Bundesrepublik zum sportlichen Kräftemessen gezwungen. Vor den Augen der Weltöffentlichkeit am TV und den gut 60.000 Zuschauern im Volksparkstadion von Hamburg holten sich die Ostdeutschen am Ende einen großen Prestigesieg. Jürgen Sparwasser aus Magdeburg schoss das einzige Tor des Abends und ließ die zuvor vom Regime ausgesuchten mitgereisten DDR-Away-Fans lauthals jubeln. 

Die Niederlage war  ein tiefer Stachel im Fleisch des Bundestrainers Helmut Schön. Der gebürtige Dresdner wollte die Partie unbedingt gewinnen. Und seine Spieler schwören bis heute, das auch gewollt zu haben. Es gibt jedoch auch Zweifler daran. Denn der zweite Platz in der Gruppe A hatte für die BRD den schönen Nebeneffekt, in die vermeintlich leichtere Gruppe der Zwischenrunde einziehen zu können. Der Gruppensieg war Pflicht für das Erreichen des Finales. In der bundesdeutschen Gruppe lauteten die Gegner Jugoslawien, Schweden und Polen, somit waren Europäer unter sich. Die DDR hingegen durfte sich mit den Niederlanden und den zwei südamerikanischen Schwergewichten Argentinien und Brasilien, amtierender Weltmeister, messen.

In dieser Gruppe holten die Ostdeutschen nur einen einzigen Punkt, ein 1:1 gegen Argentinien. Die Bundesrepublik hingegen gewann alle ihre drei Zwischenrundenspiele und zog als Sieger ihrer Gruppe ins Endspiel ein. Im Düsseldorfer Rheinstadion schlug eine stark verbesserte bundesdeutsche Auswahl zunächst Jugoslawien mit 2:0 und dann Schweden mit 4:2. Für diese Leistungssteigerung war auch ein reinigendes Gewitter in der Nacht und den Tagen nach der bitteren Schlappe gegen die DDR verantwortlich. Im ungeliebten Trainingslager im schleswig-holsteinischen Malente knallte es gewaltig. Die ganze Nacht diskutierte die deutsche Mannschaft über die Niederlage und was nun anders werden müsse. Auch ordentlich Alkohol und Ehrlichkeit waren im Spiel.

Der „Lange“, Bundestrainer Helmut Schön, weilte im Bett und gab seinem Team Freiraum. Das war kein Zeichen schönscher Schwäche, in diesem Moment tat er das Richtige, als er sich nicht einmischte. Obwohl Schön die Prämienzockerei seines Kaders vor Beginn der WM sehr missfallen hatte, war das Verhältnis zur Mannschaft nicht zerrüttet. Schöns wichtigster Ansprechpartner Kapitän Franz Beckenbauer, der seine dritte WM-Endrunde unter Schön spielte, teilte dem Chef am nächsten Tag die Ergebnisse der Teamsitzung mit. Unter anderem rollten danach Spielerköpfe. Die Kölner Bernd Cullmann und Heinz Flohe sowie Overath-Rivale Günther Netzer wirkten ab sofort nicht mehr weiter mit. Größte Profiteure waren der junge Gladbacher Rainer Bonhof und die Frankfurter Bernd Hölzenbein und Jürgen Grabowski.

Franz Beckenbauer betont noch heute, dass Schön nicht von der Mannschaft entmachtet worden war, sondern am Ende das letzte Wort gehabt hatte. Das Trainingslager in Malente hatte somit sehr wenig mit Spiez zu tun, der idyllischen Unterkunft der 54er Weltmeister am Genfer See, in der der Geist von Spiez geboren wurde, der Zusammenhalt, der Berge versetzen sollte. Malente hingegen stand für miefige Provinzialität und Kasernenmentalität. Die DFB-Elf war den ganzen Tag über eingekesselt von Sicherheitskräften, denn in Deutschland fürchtete man zwei Jahre nach dem Desaster der olympischen Spiele in München, als ein palästinensisches Terrorkommando ein blutiges und für einige tödliches Attentat auf die Olympiamannschaft von Israel verübt hatte, Terroranschläge.

Vor allem von Seiten der Roten Armee Fraktion. In diesem Klima der innenpolitischen Anspannung fiel die volle Konzentration auf das Sportliche schwer. Doch mit Beginn der Zwischenrunde hatte der Europameister seine zwei Jahre zuvor beim Titelgewinn des kontinentalen Pokals an den Tag gelegte Klasse und Leichtigkeit offenbar zurückgewonnen. Zudem hatte man Malente mittlerweile verlassen und residierte in der Sportschule Kaiserau. Nun standen nur noch Polen und eine legendäre Wasserschlacht im Frankfurter Waldstadion zwischen den Gastgebern und dem Finale in München. Die polnische Mannschaft hatte bis dato eine starke WM gespielt und hatte ebenso wie die Deutschen ihren Spiele gegen Jugoslawien und Schweden siegreich bestritten. Das Torverhältnis der DFB-Elf war aber besser, somit reichte ein Remis zum Gruppensieg und Einzug ins Endspiel.

Am Tag des 03. Juli 1974 hatte es in Frankfurt den gesamten Tag über in Strömen geregnet. Die Drainage des Platzes war unzureichend, um die Wassermassen zu schlucken, mit großen Walzen und Pumpen war sogar die Feuerwehr im Einsatz, um das Feld  bespielbar zu machen. Kein Ligaspiel wäre unter diesen Umständen angepfiffen und stattdessen verlegt worden, aber der enge Turnierplan, das Endspiel fand vier Tage später statt, erlaubte keinen Aufschub. So pfiff Schiedsrichter Linemayr aus Österreich um 16:30 die Partie an, die als „Wasserschlacht von Frankfurt“ in die Geschichte eingehen sollte. Ein reguläres Spiel war kaum möglich, ständig blieb der Ball in irgendeiner Pfütze liegen oder nahm umgekehrt ein rasant hohes Tempo auf.

Dennoch gab es neben vielen Zufällen auch einige klare Aktionen. Sepp Maier vereitelte alle guten Chancen der Polen, den für sie notwendigen Treffer zu erzielen. Auf der anderen Seite vergab Uli Hoeneß einen Foulelfmeter, Bernd Hölzenbein war fast genau wie im späteren Endspiel zu Fall gebracht worden. Der Fehlschuss war für Hoeneß und seine Mannschaft nicht so verheerend wie der zwei Jahre später im EM-Finale gegen die Tschechoslowakei, denn in der heute Crunch-Time genannten Schlussviertelstunde erlöste Gerd Müller Fußballdeutschland und schoss das Siegtor, dem Polen nichts mehr entgegen zusetzen hatte. Die Gastgeber hatten somit die Pflicht erfüllt, das Finale erreicht. Nun sollten die Kür und der Titelgewinn folgen.

Nach dem bisherigen Turnierverlauf ging der deutsche Gegner, das Team um Johann Cruyff, sogar favorisiert ins Endspiel. Anders als Deutschland war Oranje sofort im Turnier. In der Vorrunde konnten nur die wehrhaften Schweden mit den Niederländern mithalten und punkteten mit einem torlosen Remis, glanzvoll gewann Holland die Gruppe der zweiten Finalrunde mit Erfolgen über die DDR, Argentinien und Brasilien. Die Niederländer hatten zum Schluss der Zwischenrunde einen sehr ähnlichen Härtetest wie die deutsche Mannschaft gegen Polen zu absolvieren. Nach klaren Siegen über die DDR und Argentinien trafen die Holländer im Dortmunder Westfalenstadion auf den amtierenden Weltmeister Brasilien, der ebenso wie die Polen mit einem Sieg noch ins Endspiel hätte kommen können.

Es wurde eine knüppelharte Partie, in der beide Mannschaften die feine fußballerische Klinge vermissen ließen, die Niederländer aber am Ende mit 2:0 siegten und sich somit mit ganz breiter Brust ins Endspiel begaben. Nach der frühen Führung wurde diese noch breiter, nun wollten die Holländer die ungeliebten Deutschen vorführen. Ihr Trainer Rinus Michels, bekannt als „Der General“, hatte vor dem Spiel noch Weltkriegsanalogien bemüht, um die Motivation seiner Mannschaft noch zu steigern, womöglich waren die Holländer dann übermotiviert. Das ging gründlich daneben. Die DFB-Elf bekam das Spiel ab der 20. Minute in den Griff und drehte die Partie bis zum Pausenpfiff. Dass den Oranjes bereits jetzt die vorherige Siegesgewissheit verloren gegangen war, zeigte eine erregte Kontroverse zwischen Johann Cruyff und Schiedsrichter Taylor nach Abpfiff der ersten Halbzeit auf dem Weg in die Kabine. Cruyff holte sich dafür in der spielfreien Phase die Gelbe Karte ab.

Später im Match hätte er nach einem überharten Einsteigen gegen Sepp Maier, der den Ball bereits sicher gehabt hatte, folgerichtig des Feldes verwiesen werden müssen, doch rettete ihn hiervor wohl sein Starbonus. Den Holländern fehlte im zweiten Abschnitt die Effizienz  und auch wenn es ihnen noch immer schwer fällt es zuzugeben, sie verloren das Endspiel in Addition aller Spielereignisse verdient. Nach einer starken Drangphase ab der 63. Minute,  die allerdings in der 83. Minute endete, hatte Oranje nichts mehr zuzusetzen. Bezeichnend, dass Bundestrainer Helmut Schön und seine Bank bereits kurz vor Ablauf der regulären Spielzeit breit grinsten, Gesten gemacht wurden, dass es jetzt bald vorbei sei und die Daumen nach oben gingen.

Zwar gab es zu damaligen Zeiten keine nennenswerte Nachspielzeit, aber die offensichtliche Entspannung im Lager des kommenden Weltmeisters signalisierte eindeutig, dass man von diesen Holländern keinen Lucky Punch mehr zu erwarten hatte. Aber an diesem Tag in München wurde die bis heute andauernde Fußball-Feindschaft zwischen Deutschland und Holland geboren, die ihre weiteren Höhepunkte bei der EM 1988 sowie der WM 1990 erleben sollte. Vorerst aber stand der zweite WM-Titel für Deutschland und das zurecht.

Sven Meyering