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WM 1990 Deutschland – Jugoslawien

Und weiter geht’s mit dem Rückblick auf das erste deutsche Vorrundenspiel bei der WM 1990 in Italien gegen Jugoslawien.

Das erste Vorrundenspiel:

WM 1990 in Italien

11.06.1990 in Mailand, Stadion Guiseppe Meazza (Zuschauer 74.765), Anstoß 21 Uhr, Schiedsrichter Peter Mikkelsen (Dänemark)

Deutschland: Jugoslawien 4:1 (2:0)

Aufstellungen:

Deutschland

Illgner – Augenthaler – Berthold – Brehme – Buchwald – Reuter – Bein (74.Möller)  

– Häßler (74. Littbarski)–  Matthäus (C) – Klinsmann – Völler (Trainer: Beckenbauer)

Jugoslawien

Ivković – Baljic – Hadžibegić – Katanec – Spasic – Vulic – Jozic – Savicevic 

(55. Brnovic) – Susic (55. Prosinecki) – Stojković – Vujovic (C) (Trainer: Osim)

Tore:

1:0 Matthäus (28.), 2:0 Klinsmann (39.), 2:1 Jozic (55.), 3:1 Matthäus (65.), 4:1 Völler (71.)

Unternehmen dritter WM-Titel startet fulminant! Kaiser Franz und das DFB-Team brillieren gegen Jugoslawien!

Das hatte sich Fußball-Deutschland genauso erhofft, aber nicht unbedingt so erwartet. Nach einer ganzen Reihe von schwachen bis mäßigen Auftaktspielen bei der Fußball WM hauten die Jungs von Teamchef Franz Beckenbauer zu Beginn der Titelkämpfe in Italien, an deren Ende der dritte WM-Titel für die Bundesrepublik stehen soll, richtig einen raus und schlugen Jugoslawien, kein Leichtgewicht im Weltfußball, mit 4:1 Toren. Der überragende Kapitän Lothar Matthäus schnürte einen Doppelpack, zudem trafen Jürgen Klinsmann und Rudi Völler für Deutschland bei einem zwischenzeitlichen Gegentor von Jozic. So lief der Abend in Mailand.

Das Personal und die taktische Ausrichtung

Die deutsche Nationalelf startete in einer variablen Formation, die in Ballbesitz ein 4-4-2 ermöglichte, in anderen Situationen flexibel auf 5-3-2 oder eine 3-5-2 Formation umzustellen war. Bodo Illgner begann im Tor, Klaus Augenthaler gab zentral den Libero und schaltete sich bei Ballbesitz als Aufbauspieler auch deutlich weiter vorne ein. Guido Buchwald spielte eine Mischung aus zentraler Kette und der Sechs, ebenso flexibel rückte Thomas Berthold sowohl zentral nach Innen als auch auf die rechte Verteidigerposition, vorgelagert interpretierte Stefan Reuter seine Rolle wechselnd als Rechtsverteidiger oder vor Berthold offensiver. Links verteidigte Andreas Brehme, wobei auch der Spieler von Inter Mailand sehr offensiv agierte.

Davor spielte Uwe Bein, der aber auch immer wieder ins Zentrum zog, wo neben Thomas Häßler der Star des Abends Lothar Matthäus spielte und das Mittelfeld regierte. Vorne kamen mit Jürgen Klinsmann und Rudi Völler zwei Spitzen vom Typus Mittelstürmer zum Einsatz, die auch beide treffen sollten. Kaiser Franz wechselte nach 74 Minuten doppelt, Andreas Möller ersetzte Uwe Bein und Pierre Littbarski Thomas Häßler. Die deutsche Mannschaft wirkte insgesamt zielstrebiger und dynamischer als der Gegner Jugoslawien, der in der grundsätzlich sehr ähnlichen aber weniger variablen 4-4-2 Formation spielte und vor allem das deutsche Zentrum um Matthäus nicht in den Griff bekam.

Die Pluspunkte

Das war eine echte Duftmarke der DFB-Elf. Neben der bereits angesprochenen taktischen Flexibilität beeindruckte die deutsche Mannschaft durch Energie und Siegeswille, verkörpert durch seine Nummer 10, Kapitän Lothar Matthäus von Inter Mailand, der aus einem starken Kollektiv herausragte und eine Weltklasseleistung zeigte. Alle Treffer waren sehr sehenswert.

Das 1:0 entsprang einem Drehschuss von Matthäus, der ein Direkt-Zuspiel per Vollspann von Stefan Reuter toll in der Drehung verarbeitete und mit seinem schwächeren linken Fuß ins lange Eck versenkte, keine Chance für Torhüter Ivkovic.

Das 2:0 nach 39 Spielminuten war spektakulär. Augenthaler marschierte und setzte Ani Brehme präzise auf dem linken Flügel in Szene. Die deutsche Nummer 3 flankte Richtung kurzen Pfosten, von dort kam ein Klinsi geflogen. Sein Gegenspieler konnte nur ehrfürchtig danebenstehen, wie die blonde deutsche Angriffswaffe die Kugel quer in der Luft liegend per Kopf ins lange Eck setzte.

Nach dem jugoslawischen Anschlusstreffer kurz nach der Pause ließ die deutsche Elf dennoch keinen Zweifel am Sieg aufkommen. Noch in der eigenen Hälfte nahm Lothar Matthäus, immer wieder Matthäus, den Ball an und zog unwiderstehlich und unaufhaltsam Richtung jugoslawische Box, gut 30 Meter weit blieb er fast unbehelligt und benutzte die hilflos wirkenden Gegenspieler als Slalomstangen. Der Abschluss erfolgte aus vollem Lauf aus gut 20 Metern und erneut war Ivkoviv machtlos und von seinen Vorderleuten verlassen, zu dominant trat Deutschland vor allem im Mittelfeld auf.

Dennoch hatten die Deutschen noch Appetit auf mehr und profitierten von der Beidfüßigkeit ihres Linksverteidigers Andreas Brehme. Brehme war auf dem linken Flügel nach Innen gezogen und zog mit dem rechten Fuß ab. Ivkovic wollte nun auch mal an einem Gegentreffer Schuld sein und ließ den Ball durch die Hände gleiten, den letzten Kick zum Überschreiten der Torlinie gab der Kugel dann wahrscheinlich der lauernde Rudi Völler. Insgesamt überzeugte die deutsche Willenskraft und der nicht nachlassende Elan, Lothar Matthäus war der Leader, der das alles ermöglichte.

Die Knackpunkte

In der ersten knapp halben Stunde kam das deutsche Team nur langsam in Schwung und es gab keine zwingenden Aktionen in Richtung des gegnerischen Tores. Das erzürnte Teamchef Beckenbauer sehr und zeitweise wirkte der Trainer elanvoller als seine Mannschaft (siehe Aufreger).

Nachdem der deutsche Motor richtig ins Laufen gekommen war, wirkte der Anschlusstreffer zum 1:2 für die Jugoslawen ärgerlich und vermeidbar. Zwar war der Freistoß von Stojkovic gut geschlagen, doch Torschütze Jozic erfreute sich viel zu großer Freiräume und der ihm in dieser Szene zugeteilte Jürgen Klinsmann bestätigte den Aphorismus, dass Stürmer dem eigenen Strafraum fernzubleiben hätten, denn Klinsi verteidigte halbherzig. Zum Glück war das nicht der Auftakt einer Aufholjagd des Gegners, sondern die deutsche Elf hielt in der Folgezeit die Konzentration wieder hoch.

Die Aufreger

Diese Kategorie gehört eigentlich nur Kaiser Franz. Denn der deutsche Teamchef stand 90 Minuten lang unter Strom, vor allem zu Beginn der Partie, als er das noch ruckelnde Spiel seiner Mannschaft in den ersten gut 20 Minuten wild rudernd mit den Armen und schimpfend wie ein Rohrspatz begleitete.

Beim ebenso wilden Torjubel über das 1:0 stieß sich der Teamchef dann den kaiserlichen Lockenkopf an der Unterkante der Trainerbank, gut erholt davon kommentierte er später den Anschlusstreffer des Gegners mit der nächsten Schimpfkanonade, die stellvertretend für die Mannschaft Linksverteidiger Andreas Brehme an der Seitenlinie entgegen zu nehmen hatte.

Fazit und Blick über den Tellerrand – Die Lage in der deutschen Gruppe

Was für ein Auftakt, der Appetit auf mehr macht. Jugoslawien hatte man im Vorfeld der WM als stärksten Gruppengegner eingeschätzt, doch die Elf vom Balkan spielte nur etwa eine halbe Stunde auf Augenhöhe mit der deutschen Mannschaft, die zuletzt 1954 gegen die Türkei (ebenfalls 4:1) so deutlich ihr Premierenspiel gewonnen hatte.

Damals wurde Deutschland bekanntlich Weltmeister. So weit ist es aber noch lange nicht. Die andere Partie der Gruppe D gewann Kolumbien gegen die Vereinigten Arabischen Emirate mit 2:0. Eben diese Vereinigten Arabischen Emirate fordern die deutsche Mannschaft am kommenden Donnerstag, dann ist die Beckenbauer Elf haushoher Favorit und könnte im zu erwartenden Siegesfall bereits das Ticket für das Achtelfinale sichern.

Blick zurück aus der Gegenwart – so lief die Vorrunde der WM 1990 in Italien – Anekdoten rund um das Spiel gegen Jugoslawien

Die WM in Italien 1990 löste von Beginn an Begeisterung in deutschen Wohnzimmern, aber auch auf den Straßen aus, denn Siege wurden mit Autokorsos gefeiert, zu Beginn noch vorsichtig, mit dem Fortschreiten des Turniers immer enthusiastischer. Die starke deutsche Vorrunde, beginnend mit dem klaren Sieg über die Jugoslawen, seit vielen Jahrzehnten ein harter Konkurrent bei Weltmeisterschaften, war einer der Auslöser dafür.

Ein Spieler war der Hauptverantwortliche dafür, Lothar Matthäus war an diesem Abend so gut wie nie zuvor und selten danach in seiner Karriere. Der bereits 29 Jahre alte deutsche Kapitän befreite sich bei dieser WM vom Ruf des Hans-Dampf in allen Sackgassen und reifte zum Weltklassespieler. Dabei war die DFB-Elf nicht unbedingt als einer der absoluten Topfavoriten nach Italien gereist.

In der Qualifikation blieb man zwar fast standardmäßig für deutsche Nationalmannschaften unbesiegt, wurde jedoch nur Zweiter in der Gruppe hinter Erzrivale Niederlande, von dem man sich zweimal Remis (0:0 in München bzw. 1:1 in Rotterdam) trennte. Im letzten Gruppenspiel der Quali in Köln im November 1989 benötigte das Beckenbauer-Team unbedingt einen Sieg gegen Wales und geriet zunächst in Rückstand. Deutschland drehte die Partie, Thomas Häßler schoss das Siegtor zum 2:1, aber es durfte bis zum Schluss gezittert werden, was auch für den damals noch sehr jugendlichen Studiomoderator Günther Jauch und Trainerlegende Otto Rehhagel, gebürtiger Essener und damals noch bei Werder Bremen, galt. 

Bezeichnend, dass viele deutsche Spieler nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Michel Vautrot jubelnd auf die Knie sanken, so, als seien sie bereits Weltmeister und nicht nur qualifiziert. So war der amtierende Vizeweltmeister bei der Endrunde in Italien dabei und wenn Deutschland ein Turnier spielt, zählen die Bundesadlerträger traditionell zum Favoritenkreis. Dieser Rolle wurde Deutschland dann tatsächlich gerecht. Das kam auch den Gastgebern aus Italien sehr zupass, zumindest aus finanziellen Gründen.

Ursprünglich sollte Deutschland seine Spiele in der Gruppe D im beschaulichen Verona austragen, doch schon unmittelbar nach der erfolgreichen Qualifikation wurden die Spiele ins weitaus größere Guiseppe-Meazza-Stadion im Mailänder Stadtteil San Siro verlegt, das für die WM feudal ausgebaut und saniert worden war. Allerdings mit dem kleinen Fehler, dass zu wenig Tageslicht durch die Dachkonstruktion fiel, sodass der eigens ausgelegte Rollrasen bei den Partien arg strapazierfähig sein musste, weil er nicht unbedingt gut angewachsen war.

Das tat der Begeisterung der zu Zehntausenden anreisenden deutschen Anhänger keinen Abbruch. Die Organisatoren hatten richtig kalkuliert, das frühere Estadio San Siro präsentierte sich bei den deutschen Partien als schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer. Das war auch der politischen Großwetterlage geschuldet, denn ein Dreivierteljahr nach dem Mauerfall und einige Monate vor der Wiedervereinigung reisten auch viele Schlachtenbummler aus der noch existierenden DDR nach Bella Italia, um ein gesamtdeutsches Fußballfest zu feiern. Bis inklusive des Viertelfinales spielte Deutschland aufgrund des Gruppensieges in Mailand.

Nicht nur von den deutschen, sondern auch von den italienischen Tifosi gefeiert, denn mit Lothar Matthäus, Andreas Brehme und Jürgen Klinsmann spielten drei Nationalspieler für Lokalmatador Inter Mailand. Eine kleine Anekdote gibt es noch um das am Ende Rudi Völler zugeschriebene Tor zum 4:1 gegen die Jugoslawen. Keeper Ivkovic hatte einen scharfen Schuss von Andi Brehme, der mit Rechts und Links gleich gut war, über die Handschuhe rutschen lassen. Während die Kugel ins lange Eck trudelte, setzte Rudi Völler nach, behinderte Ivkovic beim Nachfassen noch entscheidend, war aber möglicherweise gar nicht mehr am Ball und Brehme somit der eigentliche Torschütze.

Da der DFB Rudi Völler bei seinem großen persönlichen Ziel, die Torjägerkrone der WM zu gewinnen, unterstützen wollte, machte er sich für die Anerkennung Völlers als Torschütze stark. Die FIFA folgte dem. Als Völler im zweiten Gruppenspiel gegen die VAE doppelt traf, schien die Strategie aufzugehen. Doch es waren zugleich Völlers letzte Turniertreffer, der somit am Ende drei Treffer auf der Habenseite hatte.

Die wusste aber auch Andy Brehme, der in den späteren K.O.-Spielen enorm wichtige Tore erzielen sollte, sein Eigen zu nennen. Somit hätte Brehme bei vier Treffern gestanden, wäre ihm das Tor gegen Jugoslawien auch gutgeschrieben worden. Das hätte Gleichstand in der internen Torschützenliste mit Lothar Matthäus bedeutet. Zum Torschützenkönig waren aber ohnehin mindestens 6 Treffer erforderlich gewesen, letztlich war der Italiener Toto Schilacci mit dieser Marke bester Torjäger des Turniers.

Kamen die Deutschen sehr lange Zeit nur schleppend in WM-Turniere und hatten die Auftaktpartien der letzten drei Endrunden mit zum Teil gruseligen Leistungen gegen kleinere Nationen nicht gewonnen, so gilt der fulminante Auftaktsieg über die Elf vom Balkan 1990 als Inbegriff der Partie, die Flügel verleiht und eine Mannschaft durchs weitere Turnier trägt. Selten zuvor und erst 2010 wieder, da schlug Deutschland Australien mit 4:0, performte eine deutsche Elf derart überzeugend zum Auftakt.

Galt Australien nicht als Schwergewicht, so tat dies aber Portugal um seinen Weltstar Christiano Ronaldo, CR7 und die Seinen holten sich zu Beginn der WM 2014 in Brasilien ebenfalls eine 0:4 Klatsche von der DFB-Elf ab. Passend dazu gewann diese auch die Turniere 1990 und 2014 am Ende. Nach dem Sieg gegen Jugoslawien gab es den erwarteten klaren Sieg gegen die Vereinigten Arabischen Emirate, am Ende stand es 5:1 und Deutschland war bereits für das Achtelfinale qualifiziert. Mit diversen Reservisten antretend gab es zum Ende ein 1:1 gegen Kolumbien.

Dennoch hätte die DFB-Elf dieses Match gerne gewonnen, insbesondere, weil der Gegner aus Südamerika mit vielen provozierenden Schauspieleinlagen auffallen sollte, allen voran der blonde Engel Carlos Valderrama und Torhüter Rene Higuita, dessen Ausflüge bis weit vor den Strafraum legendär waren und der vom irischen Schiedsrichter Snoddy bei einem Ballverlust bei einer solchen Unternehmung geschützt wurde, als sei er auch noch dreißig Meter vor seiner Box im Fünfmeterraum.

Als Pierre Littbarski Deutschland kurz vor Ende der regulären Spielzeit mit 1:0 in Führung schoss, war die (Schaden)freude daher groß, doch kurz darauf setzte der wiederauferweckte Valderrama seinen Mannschaftskameraden Rincon brillant in Szene und der tunnelte Bodo Ilgner zum Ausgleich. Kolumbien sicherte sich somit das Weiterkommen in der Gruppe D hinter Deutschland und Jugoslawien als einer der vier besten Gruppendritten. Der deutsche Gegner für das Achtelfinale musste im Übrigen ausgelost werden. Es wurde dann eines der spektakulärsten Spiele der WM überhaupt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Sven Meyering