Vorbericht
Nach dem besten Saisonstart seit 1991 erwarten die Rot-Weissen am Freitagabend unter Flutlicht die SG Wattenscheid 09. Gästetrainer Farat Toku ist an der Hafenstraße in 4 Auswärtsspielen noch ungeschlagen und kündigte bereits an, RWE wieder „ärgern“ zu wollen.
Den drei rot-weissen Auftaktsiegen folgte am vergangenen Samstag ein 1:1-Unentschieden im vermeintlich schwierigsten Auswärtsspiel der Saison beim SV Rödinghausen. RWE konnte erneut – bereits zum dritten mal im vierten Spiel – durch eine Leistungssteigerung einen Rückstand wettmachen und vorübergehend die Tabellenspitze verteidigen. Zehn Punkte aus vier Spielen zu Saisonbeginn gab es zuletzt 1991/1992 in der Oberliga Nordrhein gegen Bocholt, Bad Honnef, Jülich und Leverkusen II. Um den Traumstart weiter auszubauen, muss am Freitagabend ein Sieg gegen die SG Wattenscheid 09 her, doch Vorsicht: Obwohl chronisch knapp bei Kasse und in der tabellarischen Endabrechnung meist hinter RWE hat sich die SGW in den letzten 30 Jahren zu einem echten Angstgegner an der Hafenstraße entwickelt!
Von den letzten 14 Heim-Duellen seit 1989 konnte RWE nur drei für sich entscheiden (zuletzt beim 6:0 unter Marc Fascher am 26.10.2014), dem gegenüber stehen fünf Unentschieden und sechs Niederlagen. Während der letzten vier Duelle an der Hafenstraße stand Farat Toku als Gästecoach an der Seitenlinie und konnte 2 Siege sowie 2 Unentscheiden einfahren. Ein nicht unerheblicher Faktor dürfte die hohe Anzahl ehemaliger Rot-Weisser im Kader sein, schließlich bedient sich die SGW bei ihrer Kaderzusammenstellung seit der Regionalliga-Rückkehr 2013 regelmäßig an der Hafenstraße. Da dabei in erster Linie Spieler nach Wattenscheid wechseln, die sich in Essen nicht durchsetzen konnten, sind die Spiele an der Hafenstraße für die Ex-RWEler natürlich eine besondere Motivationsspritze.
Standen beim jüngsten 2:1-Erfolg der Wattenscheider Ende April mit Adrian Schneider, Jeffrey Obst und Emre Yesilova drei Ex-Essener auf dem Platz, könnte Farat Toku diesmal fast die komplette Startelf mit Ehemaligen füllen: Dem Abgang Adrian Schneiders (Schonnebeck) stehen mit Boris Tomiak, Richard Weber, Tolga Cokkosan, Yannick Geisler, Nicolas Hirschberger, Marwin Studtrucker und Güngör Kaya gleich sieben Neuzugänge mit RWE-Vergangenheit gegenüber.
Die besondere Motivation wird auch dadurch angeheizt, dass das Nachbarschaftsduell in Wattenscheid einen deutlich höheren Stellenwert genießt als in Essen,wo wohl niemand von einem echten Derby sprechen würde. Nicht nur besitzt die Vereinshymne der Schwarzweißen Kultstatus in Essen und wird bei jedem Auswärtsspiel lauthals mitgeträllert – als Anfang des Jahres die Zeichen in Wattenscheid (mal wieder) auf Untergang stehen, erfolgt die Gesangseinlagen gar in Form eines Benefizkonzerts aus der Essener Fanszene für den existenzbedrohten Nachbarn. Selbst die rot-weisse Mannschaft zeigte sich solidarisch und überließ dem Gast im April drei wichtige Punkte im Kampf um den Klassenerhalt.
Mit derartigen Geschenken darf die Mannschaft von der Lohrheide diesmal allerdings nicht rechnen, wie auch Gästetrainer Farat Toku mit einem vielsagenden „RWE spielt jetzt anderen Fußball“ bereits andeutete. Die Favoritenrolle liegt klar bei der Elf von Christian Titz, die sich bislang nicht nur durch eine im Vergleich zu den Vorjahren höhere individuelle Qualität auszeichnet, sondern auch mental in der Lage ist, mit Rückständen umzugehen. Eine tolle Moral der Mannschaft, gute personelle Anpassungen des Trainers und hohe Qualität selbst auf der Ersatzbank sorgen dafür, dass ein frühes Gegentor auch auf den Rängen mittlerweile relativ gelassen hingenommen wird. In allen vier Spielen konnte RWE bislang die zweite Halbzeit für sich entscheiden und gestaltete beide Heimspiele mit Treffern in der Nachspielzeit siegreich.
Glücklich mag der Zeitpunkt der Tore mit dem Schlusspfiff sein, die Vorbereitung hat jedoch Methode: Das viel diskutierte Torwartspiel Marcel Lenz‘ führte bislang zu keinem Gegentreffer, hilft jedoch als zusätzliche Anspielstation in der hohen Ballzirkulation, dem Gegner den Zugriff zu erschweren und ihn müde zu spielen. RWE legt sich den Gegner zurecht und lässt ihn laufen. Die Vorgabe, sich stets – auch am eigenen Strafraum – spielerisch aus dem gegnerischen Pressing zu befreien, birgt allerdings auch Risiken: Ein Fehlpass am eigenen Sechzehner führte zum Gegentor gegen Köln. In Rödinghausen verpasste der Gastgeber es in Halbzeit 1, die Abwehrfehler der Rot-Weissen deutlicher zu bestrafen. Auf ein Spiel ohne Gegentor wartet RWE nach 4 Saisonspielen noch.
Wohl dem, der es sich dann erlauben kann, in der Regionalliga Marcel Platzek und Oguzhan Kefkir von der Bank zu bringen – so geschehen am Samstag in Rödinghausen. Die rot-weisse Offensive traf bislang in allen Spielen und bietet durch die neue, vierte Wechselmöglichkeit eine weitere Waffe gegen einen ermüdenden Gegner. Christian Titz nutzte diese neue Flexibilität bislang und bewies gegen die Zweitvertretung des FC Köln, dass er mit der frühen Herausnahme von Marco Kehl-Gomez und Marcel Platzek auch vor unpopulären Entscheidungen nicht zurückschreckt. Dass die Anpassungen zur bislang stärksten Saisonleistung führten, verschafft dem Trainer natürlich sowohl intern als auch auf den Rängen einen entsprechenden Kredit. Gute Saisonstarts seien ihm noch nie geglückt – so dämpfte der rot-weisse Übungsleiter bei seiner Vorstellung die aufkeimende Euphorie. Doch jetzt, wo es doch mal geklappt hat, hätte er sicherlich nichts dagegen, den gelungenen Saisonstart am Freitagabend unter Flutlicht weiter auszubauen und zumindest vorübergehend die Tabellenführung zurückzuerobern.