Vorbericht
Sonntag steht sie wieder an, die alljährliche Tour ins Niederrheinstadion: Tausende Rot-Weisse machen sich notgedrungen auf den Weg an die Emscher, um ihre Mannschaft beim Auswärtsspiel zu unterstützen.
Mit Rot-Weiß Oberhausen bittet der amtierende Vizemeister der Regionalliga West zum Nachbarschaftsduell, doch Vorfreude herrscht primär auf Seiten der grün gekleideten Rot-Weißen und ihrer blauen Freunde identischen Gründungsjahres, die in erhöhter Zahl die sonst so leeren Tribünen füllen werden. Als Gast ärgert man sich derweil Jahr für Jahr bereits im Vorfeld über die Unfähigkeit des kleinen Nachbarn, ein Spiel mit mehr als 2.000 Zuschauern zu organisieren – die bescheidene Sicht aus dem Gästeblock trägt ihr übriges zur nicht vorhandenen Vorfreude bei.
Rein sportlich leistet RWO seit Jahren bessere Arbeit und hat seit 2012 im eigenen Stadion kein direktes Aufeinandertreffen mehr verloren. Zuletzt gab es ein hart umkämpftes 1:1 im Mai, das den Anfang vom Ende der Aufstiegshoffnungen der Kleeblätter markierte und als eine der wenigen annehmbaren Leistungen der Essener Rückrunden-Trümmertruppe in Erinnerung bleibt. Ein Jahr zuvor brachte ein Last-Minute-(Nicht)-Tor den Oberhausenern an gleicher Stelle den Niederrheinpokalsieg und dem Gästeanhang aus Essen eine Portion Pfefferspray der Polizei.
Trotz des guten Saisonstarts der Mannschaft von Christian Titz ist man in Oberhausen angesichts der deutlich erfolgreicheren letzten Jahre, sowie der im Kern zusammengebliebenen und eingespielten Mannschaft zuversichtlich, die gute Serie am Sonntag fortzusetzen. Trainer Terranova spricht ganz nüchtern von einer „machbaren Aufgabe“ und nach sieben Jahren ohne Heimniederlage gegen RWE bleibt man in Oberhausen trotz der kuriosen Heim-/Auswärtsbilanz ganz entspannt: Saisonübergreifend wurden zwar die letzten sieben Auswärtsspiele in Folge gewonnen, jedoch fünf Heimspiele in Folge nicht mehr siegriech gestaltet. Dass es Sonntag auf den Rängen ein Auswärtsspiel für den Gastgeber wird, kommt der Terranova-Elf daher wohl entgegen.
Die Aufstellung, mit der Christian Titz das Spiel angehen wird, könnte wie bereits in Rödinghausen und gegen Wattenscheid Überraschungen parat halten. Die letzten beiden Spiele jedenfalls lassen einige Fragen offen: Startet erneut Daniel Heber für Marco Kehl-Gomez auf der Position des rechten Innenverteidigers? Wer spielt in der Sturmspitze: Platzek oder Dahmani? Wird Oguzhan Kefkir wie in Rödinghausen zunächst auf der Bank sitzen? Die neue Breite des Kaders ist wohl der größte Anlass zur Hoffnung, das Niederrheinstadion mit etwas zählbarem verlassen zu können.
Allerdings sollten angesichts der Offensivqualität der Terranova-Truppe die defensiven Unachtsamkeiten deutlich reduziert werden: Bereits 11 Treffer in 4 Spielen sprechen dafür, dass RWE auf eine Mannschaft trifft, die Fehler besser bestrafen könnte, als es den Gegnern im bisherigen Saisonverlauf geglückt war. Mit 2 Siegen und 2 Remis ist RWO – genau wie RWE – ungeschlagen in die Saison gestartet. Es ist lange her, dass dieses Duell derartig vielversprechende, sportliche Vorzeichen hatte und in Anbetracht von zuletzt vier Unentschieden in den letzten vier Liga-Spielen spricht alles dafür, dass es auch diesmal ein enges Spiel vor einer – für RWO-Verhältnisse – Rekord-Kulisse wird.
Spielbericht
Aufmerksame Jawattdenn-Leser werden es bemerkt haben, die derzeit positiv aufgeräumte Stimmung rund um RWE hat auch bei unserer Redaktion wieder Lust auf mehr gemacht. Gab es in der letzten Saison zwar immer die stets eindrucksvollen Bilderstrecken unserer Fotografen, aber darüber hinaus wenig redaktionelle Regung, gibt es mittlerweile wieder Vorberichte von den RWE-Spielen. Angesichts eines fast historischen 3:0-Erfolges beim Revier-Rivalen RWO am Sonntag entlockt uns unsere Mannschaft nun auch einen Spielbericht, denn sieben lange Jahre mussten RWE-Anhänger auf einen Erfolg im Stadion Niederrhein warten.
Wenn Rot-Weiss bei Rot-Weiß gewinnt, dann richtig. Siegten die Essener zum Auftakt der Saison 2012/13 mit einem Aufsehen erregenden 4:2, so war das jetzige 3:0 vom Ergebnis und den gesehenen Leistungen her sogar noch deutlicher. Alles war angerichtet für ein Spitzenspiel an der Emscher. Die Gäste reisten mit der Empfehlung von 13 Punkten aus 5 Ligaspielen zum ebenfalls bis dato ungeschlagenen Gastgeber nach Oberhausen, der im Vorfeld bei 8 Punkten aus aber nur 4 Partien immerhin einen Zweipunkteschnitt verbuchen konnte. Überhaupt zählt RWO als amtierender Vizemeister der Regionalliga West nicht zu den Leichtgewichten der Liga, sodass RWO-Cheftrainer Mike Terranova unseren RWE im Vorfeld als „machbare Aufgabe“ angesehen hatte. Die Atmosphäre war eines Derbys würdig. Gut 9.600 Zuschauer passierten die Stadiontore. Geschätzte 5.000 Essener stärkten ihrem Team den Rücken. Einige hatten zuvor einen Fanmarsch quer durch Oberhausen zum Stadion veranstaltet. In Fankreisen lässt man bei speziellen Spielen halt gerne mal die Muskeln spielen.
Der Gastgeber war beim Einlass dieses Mal deutlich besser aufgestellt als bei den vorherigen Gastspielen der Essener. Gab es zuletzt meistens ellenlange Schlangen an nur einem Stadionzugang, so ging es nun über deren drei Eingänge wesentlich flotter ins Stadioninnere. Ein gutes Omen. Auch das Wetter spielte mit und es blieb trocken, sodass die vor dem Spiel geäußerte Hoffnung des Oberhausener Anhangs, Essen würde auf den Rängen und dem Rasen nass gemacht werden, sich in beiden Fällen nicht erfüllen sollte. Der heimische Anhang bot auf der Hintertortribüne ein Bild ganz in Grün, eine Reminiszenz an das Kleeblatt im Oberhausener Vereinswappen. Da sich beide Fangruppen ohnehin nicht Grün sind, wurden natürlich wieder die üblichen Nettigkeiten ausgetauscht. Man muss nicht viel darüber sagen, aber eines schon. Der einzig wahre Schreck vom Niederrhein wohnt in der Essener Hafenstraße und heißt Lothar Dohr, seines Zeichens heutiger RWE-Fanbeauftragter. Wenn er im alten Georg-Melches-Stadion seine berühmten vier Fragen an die rot-weisse Fangemeinde richtete, dann erbebte ganz Bergeborbeck mitsamt des angrenzenden Vogelheim. Gänsehaut war angesagt. Aus Respekt vor ihm wurde nie ein echter Nachfolger gefunden, als er sich „zur Ruhe setzte“. Dass ausgerechnet RWO-Anhänger, die RWE doch so leidenschaftlich zu hassen glauben, diesen ureigenen Essener Choral imitieren möchten und dabei im Vergleich zum Original in eine ungewollt komische Persiflage von Fankultur abrutschen, ist daher schon bemerkenswert.
Aber zum Sportlichen. RWE-Chefcoach Christian Titz und sein Team hatten wie gewohnt zumindest kleine personelle Überraschungen auf Lager. Marco Kehl-Gomez rückte als Kapitän in die Startformation zurück, jedoch nicht in die Innenverteidigung, sondern gemeinsam mit Dennis Grote auf die Sechs. Im Zentrum verteidigte daher zunächst erneut Daniel Heber, während David Sauerland die rechte Verteidigerposition einnahm. Rot-Weiss verzichtete zu Beginn auf eine „gelernte“ Spitze, überraschend fand sich Jan-Lucas Dorow in vorderster Front. Ansonsten bot die Essener Startformation das gewohnte Bild mit Kefkir und Endres auf den offensiven Außen und Amara Condé als Taktgeber. Auf der Bank entdeckten die RWE-Anhänger erstmals Enzo Wirtz. Das Oberhausener Gegenüber wollte ebenfalls ungewohnte Akzente setzen. Mike Terranova verzichtete überraschend zunächst auf Raphael Steinmetz und seinen gefürchteten Flügelstürmer Francis Ubabuike. Entscheidungen, die nicht allzu viel Zuspruch im RWO-Lager finden sollten. Doch der Reihe nach.
Es begann wie eigentlich immer. RWE war um Spielkontrolle bemüht, ließ so oft es ging das Leder laufen, während RWO ähnlich wie die BVB-Amateure auf eine kompakte Spielweise setzte, um bei Ballgewinnen gefährlich zu werden. Gut eine Viertelstunde lang zeigte sich RWE als Herr der Dinge, konnte Druck aufbauen und hatte auch die einzig nennenswerte Torgelegenheit dieser Anfangsphase, doch nach präziser Flanke von Grote konnte RWO-Keeper Davari einen Dorow-Kopfball zur Ecke abwehren. Auch zeigte sich ein deutlicher Unterschied in der Spielstrategie beider Teams. Hatte Oberhausens Schlussmann Davari den Ball, so wurde das Mittelfeld meistens mit langen Bällen Old-School britisch überbrückt. RWO setzte gegen die hoch pressenden Essener hier offenbar auf Räume im letzten Drittel. Gefährlich wurde es so jedoch nicht. RWE wiederum strapazierte mit der hartnäckigen Weigerung, auch einmal einen klaren Ball hinten heraus zu spielen, die Nerven seiner Anhänger. War der Ball einmal im letzten Drittel der Oberhausener Hälfte, so setzten Oguzan Kefkir und David Sauerland über rechts sowie Kevin Grund und Joshua Endres über links den Gastgebern zu. Doch nach etwa 20 Spielminuten akklimatisierte sich RWO. Die Essener übertrieben oft das Spiel über ihre linke Seite und darauf stellte sich vor allem Shaibou Oubeyapwa mit zunehmender Spieldauer immer besser ein und stibitzte die Kugel das ein oder andere Mal und die RWO Gegenstöße vermittelten dann den unmittelbaren Eindruck von Gefahr, auch wenn keine Großchance dabei heraussprang. Doch den Gastgebern gelang es auch über aggressives Tackeln im Mittelfeld nach und nach sogar das Kommando zu übernehmen, zusätzlich leistete sich RWE eine fast unverständliche Anzahl grober Abspielfehler.
Nach 40 Spielminuten hatten die Gäste dann gehöriges Glück, dass bei einem Pass von Pisano auf eben erwähnten Oubeyapwa in die Schnittstelle der Essener Abwehr die Fahne des Schiedsrichterassistenten ohne Zögern hoch ging. Hier muss man offen zugeben, dass es wohl kein Abseits war und RWO eine erstklassige Chance genommen worden ist. Da aber bis auf Oberhausens durchgebrochene Nummer 7, die die Kugel auch noch ins Tor beförderte, und dem Stadionsprecher, der trotz lange unterbrochenen Spiels den Torjingle einspielte, alle den Pfiff bemerkt und das Spielen eingestellt hatten, ist es hypothetisch was daraus ansonsten entstanden wäre. Obwohl RWO also mittlerweile gut im Spiel war, hatten die Essener jedoch die größten Einschussmöglichkeiten. War ein erneuter Kopfball von Dorow neben das RWO-Tor noch harmlos, so hatte Marco Kehl-Gomez nach klugem Rückpass von Endres von Höhe des Elfmeterpunktes aus die Riesenchance, RWE in Führung zu schießen, jagte die Kugel aber über den Kasten. Mit dem Pausenpfiff vergab Joshua Endres nach Zuspiel des durchgebrochenen Kefkir aus nur leicht spitzem Winkel die größte Chance des gesamten ersten Durchgangs. Da Oberhausen nach Startschwierigkeiten gut im Spiel war, Essen jedoch die größten Möglichkeiten hatte, waren wohl beide Parteien beim Pausenpfiff nicht unzufrieden.
Der Essener Anhang hoffte, dass Rot-Weiss wie zuletzt fast immer eine deutlich bessere zweite Hälfte spielen würde. Diese Erwartungen wurden sogar übererfüllt. Christian Titz veränderte zunächst einmal die Personalien seiner Elf. Der Gelb verwarnte Sauerland blieb in der Kabine, Daniel Heber rückte auf seine angestammte Rechtsverteidigerposition und Marco-Kehl Gomez zurück in die Innenverteidigung. Dorow wiederum wurde ins Mittelfeld zurückbeordert und seinen Platz im Sturmzentrum nahm Edeljoker Enzo Wirtz ein. Der Enzo Wirtz, der bereits in der letzten Saison aus einer vornehmlichen Reservistenrolle heraus die meisten Essener Treffer überhaupt markiert hatte. Nun benötigte Enzo ganze 9 Minuten auf dem Feld, um RWE im Derby vorentscheidend mit 2:0 in Front zu bringen. Seine wohlgemerkt ersten 9 Saisonminuten. Nach 50 Minuten bediente Daniel Heber Amara Condé auf der rechten Außenbahn, der seinen Gegenspieler schwindelig dribbelte und Oguzan Kefkir mitnahm. Dessen Schuss von halbrechts konnte Davari nur abprallen lassen und da war er zur Stelle, der „Schleicher“ Enzo Wirtz, und vollendete in Gerd Müller Manier ins lange Eck. Verdient, denn nur zwei Minuten zuvor hatte Endres bereits den Pfosten des RWO-Gehäuses getroffen. Der Jubel hatte sich auf Essener Seite kaum gelegt, da wurde er noch ausgelassener. Präzise wie ein Uhrwerk platzierte Kevin Grund einen Eckball genau auf den Kopf von – natürlich – Enzo Wirtz, der den RWO-Abwehrriesen Löhden und Propheter eine lange Nase zeigte und von diesen in der Luft flankiert einköpfte. Ein Phänomen dieser Mann. Die restliche Geschichte des Spiels ist schnell erzählt. Mike Terranova reagierte prompt, brachte die eingangs erwähnten Steinmetz und Ubabuike, überraschte aber zeitgleich durch die Auswechslung des bis dahin auffälligen Oubeyapwa.
RWO gelang es in der Folgezeit kein einziges Mal, eine nun souverän auftrumpfende RWE-Mannschaft in Schwierigkeiten zu bringen. Ubabuike biss sich auf der linken Oberhausener Seite am bärenstark agierenden Daniel Heber fortwährend die Zähne aus und sah umgekehrt häufig die Hacken der Essener Nummer 14. In dieser Verfassung ist es jedenfalls unstrittig, dass Heber beim ansonsten gerne rotierenden Trainer Titz mit Ausnahme der zweiten Hälfte in Rödinghausen von Anfang bis Ende auf dem Rasen steht. Zugleich griffen Terranovas taktische Kniffe im Gegensatz zu denen seines Gegenübers ganz und gar nicht. Der ungelenk wirkende Abwehrchef Löhden versuchte sich bereits nach etwa einer Stunde auf einmal als Sturmspitze und war bei Hahn und Kehl-Gomez so gut aufgehoben wie ein Wickelkind bei seiner Amme. Jerome Propheter wiederum spielte teilweise so etwas wie einen hängenden Rechtsaußen und wirkte dabei wie bestellt und nicht abgeholt. Damit war das RWO-Abwehr-Zentrum zugleich entblößt. RWE hatte nun die Räume und fühlte sich pudelwohl. Sein mittlerweile schon fast legendäres Geschick für Einwechslungen und Jokertore bewies Titz in dieser Phase dann erneut. Der pfeilschnelle Adetula ersetzte Endres und erteilte dem überfordert wirkenden Jerome Propheter eine kleine Lehrstunde, als er mit vollem Tempo in den Oberhausener Strafraum eindrang, seinen Gegenspieler mit einem kurzen Haken stehenließ und knallhart ins kurze Eck einschoss. Daniel Davari saß erneut geschlagen auf dem Hosenboden.
Das war gut 10 Minuten vor Ende die endgültige Entscheidung. Zwischendurch war auch Jan Neuwirt für Kevin Grund gekommen und absolvierte ebenfalls seine ersten Regionalligaminuten für RWE. Den Wechselreigen komplettierte Dahmani, der Dorow ersetzte. In den Schlussminuten konnte sich RWO glücklich schätzen, dass RWE gleich drei weitere Topp-Gelegenheiten nicht nutzen konnte, darunter ein Pfostenschuss von Kefkir und eine Rettungstat nach Wirtz-Abschluss auf der Torlinie. Die zweite Hälfte war eine einzige fußballerische Machtdemonstration der Bergeborbecker, die ihren Anhang schier verzückten. Zwei Dinge fielen erneut ins Auge. Können die Gegner in den ersten 45 Minuten das Essener Tempo noch mitgehen, so fällt in den zweiten häufig auf, dass RWE in einem Maße aufdrehen kann, in welchem der Kontrahent abfällt. Körperlich scheint Titz seine Truppe in bislang an der Hafenstraße nicht gekannte Sphären gebracht zu haben. Zudem ist die Qualität, mit der RWE personell aufwartet, enorm. Hier schließen sich Masse und Klasse nicht aus, sondern geben sich die Hand. Welcher Trainer in dieser Liga kann viermal wechseln, ohne die geringste Qualitätseinbuße auf dem Feld hinnehmen zu müssen? Dazu trägt auch die enorme Flexibilität der Essener Akteure bei, die scheinbar mühelos wechselnde Rollen innerhalb eines klar vorgegebenen Systems einnehmen können. Wohl auch deshalb skandierte der siegestrunkene RWE-Anhang nach Schlusspfiff „Wir sind stolz auf unser Team, Rot-Weiss Essen!“. Es gibt auch einen weiteren Grund, auf die Essener Mannschaft stolz zu sein. Obwohl RWE in einem emotionsgeladenen Derby gleich drei Tore vor der Tribüne der RWO-Fans gelangen, verzichteten die Rot-Weissen in ihrem Jubel auf jegliche provozierende Gesten. Auch das zeugt von Stil. Danke Jungs und weiter so!
NUR DER RWE!