Spielbericht
Das Wichtigste vorweg, als Schiedsrichter Robin Braun um 15:48 final in seine Pfeife blies, beendete RWE eine bittere Punktlosserie und konnte erstmals seit vier Wochen wieder als Sieger vom Platz gehen. Ebenfalls wichtig, die mitgereisten Anhänger, mal wieder weit über 1000 Menschen, quittierten dieses mit sehr wohlwollendem Applaus und waren den Essenern auch in der gesamten Spielzeit mit positiver Unterstützung verbunden. Wie sehr jedoch der Kopf die Beine bewegt oder diese blockiert, davon legte auch die Partei beim Tabellenschlusslicht Zeugnis ab.
Trainer Titz hatte im Vorfeld darauf hingewiesen, dass Bergisch Gladbach gegen RWE die Partie der Saison bevorstehe und das Team seines Kollegen Helge Hohl alles in die Waagschale werfen werde, um dem Favoriten ein Bein zu stellen. Damit behielt Titz auch recht, zumindest der Einsatz der Gastgeber stimmte über die volle Distanz. Dass dieser zugleich zeitweise übertrieben war, gehört dann wohl auch zum Fußball. Insgesamt lief Rot-Weiss jedoch eher selbst Gefahr, sich ins Straucheln zu bringen, als dass Bergisch dieses bewerkstelligen konnte. Doch der Reihe nach.
Strömender Regen empfing Mannschaft und Fans von RWE in der Paffrather Straße, in welcher die Belkaw-Arena verortet ist. Plätze auf der regensicheren Sitztribüne waren daher heiß begehrt. Um eine Vermischung der Fanlager zu verhindern, wurde den RWE-Anhängern der Zugang zu allen Tribünenbereichen durch Ordnungskräfte und Polizei ab einem gewissen Punkt versperrt. Das ist nachvollziehbar, brachte jedoch als unangenehmen Nebeneffekt mit sich, dass die einzigen offiziellen Toiletten auf Bergisch Gladbacher Seite befindlich waren. Für Essener bedeutete dieses, einen Spaziergang durch das halbe Stadionrund auf sich nehmen zu müssen, um die auf der Gegengeraden verorteten mobilen Dixie-Klos anlaufen zu können. Nicht sehr gut durchdacht von den Gastgebern. Die wenigen RWE-Fans, die sich trotz der sehr humiden Witterung auf den unüberdachten Stehbereichen einfanden, hätten sich wohl gewünscht, dass ihre Toilettenhäuschen einen Sehschlitz parat gehabt hätten, um von dort aus das Spiel verfolgen zu können. Diesen offenkundigen Organisationsmangel machte der Gastgeber dadurch wett, dass kurz vor Anpfiff „Adiole“ gespielt wurde und sehr ungewöhnlich die Essener Aufstellung durch unseren eigenen Stadionsprecher verlesen werden durfte. Diese hielt dann faustdicke Überraschungen parat. Nicht nur Florian Bichler, Publikumsliebling Marcel Platzek und Ayodele Adetula befanden sich in der Startelf, sondern zur großen Verblüffung der meisten Anhänger wurde das RWE-Tor nicht von Marcel Lenz, sondern von Jakob Golz gehütet, der bislang nur im Niederrhein-Pokal gegen Genc Osman zu einem Pflichtspieleinsatz gekommen war. Vor den Augen seines prominenten Vaters Richard sollte der Youngster eine gute Partie machen. Hamdi Dahmani, Joshua Endres und Hedon Selishta rotierten erstmals aus dem Kader, in welchem sich hingegen Jonas Erwig-Drüppel, Enzo Wirtz und auch Benjamin Wallquist nach längerer Abstinenz wiederfanden. Christian Titz belohnte hier offensichtlich die guten Vorstellungen dieser Akteure beim Test gegen Baumberg. Adetula und Bichler besetzten die offensiven Außen, Platzek natürlich das Zentrum, auch Kefkir spielte daher zu Beginn zentraler als gewöhnlich, zumal auch Dorow zunächst nur einen Bankplatz zugewiesen bekommen hatte.
Von Anpfiff an blieben weitere Überraschungen aus, denn RWE diktierte das Geschehen auf dem Rasen und den Rängen. Nach nur 6 Zeigerumdrehungen beruhigte Daniel Heber die Gemüter aller Esener, als er bei einem schlecht verteidigtem Eckstoß aus kurzer Distanz zur Gästeführung einnetzen konnte. Essen war fortan auf dem seifigen Rasen vor allem um Spielkontrolle bemüht, Bergisch blieb defensiv mit zwei Viererketten, daher entwickelte sich eine ereignisarme Partie, die erst nach gut 30 Minuten wieder Fahrt aufnahm. David Sauerland bot sich die Chance zum 2:0, doch der gut aufgelegte Cebulla im Tor hatte etwas dagegen. Der Gastgeber fasste vor allem über Standards Mut, die kurz hereingespielten und am kurzen Pfosten verlängerten Eckbälle vermittelten den Eindruck von Gefahr, ebenso wie ein direkt getretener Freistoß, den Golz sicher über die Latte lenkte. Auf der Gegenseite erlebten die RWE-Fans Marcel Platzek wie gewohnt als absolutes Arbeitstier, das keinen Ball verloren gab und seine häufig zwei Gegenspieler vor Probleme stellte. Einen gebrauchten Tag hatte aber leider Adetula auf der linken Angriffsseite erwischt, der bereits nach 38. Minuten durch Dorow ersetzt wurde. Kefkir rotierte nach links, Dorow ins Zentrum. Bis zur Pause blieb es jedoch bei der knappen, aber zweifelsohne verdienten Essener Führung.
Die Essener Anhänger wünschten sich zur Nervenberuhigung ein frühes 2:0 und bekamen dieses auch nach 54. Minuten, als Florian Bichler frei vor Cebulla eiskalt bleib und sich für seine engagierte Vorstellung belohnte. Der Deckel war im Grunde drauf auf dem Spiel und in den folgenden gut 30 Minuten sahen die Zuschauer ein Spiel nach klar erkennbarem Schema. RWE dominierte offenbar befreit von Sorgen klar, wie fast üblich wollte aber bei einem halben Dutzend guter Gelegenheiten das entscheidende 3:0 nicht fallen. Die Gastgeber setzten immer häufiger sehr rustikale Mittel ein, um die Essener im Zaun zu halten. Nach knapp einer Stunde musste daher leider Alexander Hahn angeschlagen vom Platz, nachdem er bei einem energischem Vorstoß förmlich abgeräumt worden war. Hahn, im Vergleich zur Partie gegen Fortuna Köln deutlich verbessert, spielte noch einige Minuten weiter, bis er durch Grote ersetzt wurde. Man darf daher eher von einer Vorsichtsmaßnahme des Trainerteams ausgehen. Eben jener Grote wollte nach seiner erneuten Nichtnomminierung für die Startelf nun etwas zeigen auf dem Felde, hatte dieses jedoch kaum betreten, da war er das nächste Opfer Bergischer Zweikampfhärte. Der Ball war längst gespielt, da wurde der ehemalige Chemnitzer rustikal von den Beinen geholt. Es gab Gelb und einen Disput zwischen beiden Trainern, denn Christian Titz war die Gangart der Gastgeber ebenso wie den erbosten Fans offensichtlich eine Spur zu überengagiert.
Die Schlussviertelstunde wurde dann durch den Wechsel von Jonas Erwig-Drüppel für Florian Bichler auf der rechten Außenbahn eingeleitet. JED kam erstmals seit den Schlussminuten bei den Rödinghausenern wieder in einem Pflichtspiel für RWE zum Einsatz und machte in der nicht gerade üppigen verbleibenden Zeit durchaus positiv auf sich aufmerksam. In der 82. Minute ging dann Marcel Platzek unter Szenenapplaus der Anhänger vom Feld und Enzo Wirtz betrat den grünen Rasen, was er bei einem Punktspiel zuletzt bei seinem Doppelpack in Oberhausen getan hatte. Alles plätscherte dahin, der Regen und das Spiel. Dann passierte Ärgerliches, denn kaum zu glauben aber wahr, der Essener Sieg geriet trotz der drückenden Dominanz der Gäste in Gefahr. Mittig der RWE-Hälfte wurde Grote bissig vom Ball getrennt. Für Essens Nummer 6 war es ein klares Foul, doch seine Reklamationen beeindruckten den Referee nicht, ebensowenig wie Patrick Hill, der sich drei Abwehrspielern gegenüber zu einer Fernschuss-Variante genötigt sah, dieses aber beeindruckend gut umsetzte. Jedenfalls schlug die Kugel im linken Essener Tordreieck ein. Keeper Golz stand vermutlich ein Stück zu weit vor dem Tor, aber der Knackpunkt in dieser Szene war eindeutig nicht das Torwartspiel, sondern der unnötige Ballverlust, denn Grote hätte sich, ob Foul oder nicht, früher von der Kugel trennen müssen. Man schrieb die 86. Minute und die nun folgende Schlussphase hätten sich alle bei RWE vermutlich gerne erspart. Nun zeigte sich wieder einmal, wie sehr Fußball Kopfsache ist. Die im Grunde turmhohe Essener Überlegenheit an fußballerischer Qualität war fortan nicht mehr zu sehen, die Partie glich nun eher einem Boxkampf, bei dem beide Kämpfer wild aufeinander einschlagen und dabei Chaos walten lassen. Hierbei fühlt sich ein technisch limitierter Schläger häufig wohler, so auch hier. Nachdem Kizil von gleich drei Essenern nur kurz vor dem Strafraum durch ein Foul zu bremsen war, erhielt Bergisch gar die große Ausgleichschance, einen Freistoß aus bester Position. Schütze Baris Sarikaya wählte die Variante, den Ball flach an der Mauer vorbei zu schießen und hoffte wohl auf Unterstützung durch den nassen Rasen. Jakob Golz tauchte aber mit dem richtigen Timing ab und klärte zur Erleichterung des Essener Lagers zur Ecke, die nichts einbrachte. Kurz darauf war Schluss.
Der Sieg war im Vorfeld fest eingeplant gewesen und bis auf wenige Minuten stand er auch nicht in Zweifel. RWE ist trotz des Erfolges jedoch noch nicht über den sprichwörtlichen Berg hinweg, denn noch immer verweilen diverse Essener Akteure in einem Leistungstal, aus dem man wieder hochklettern muss. Doch RWE befindet sich dort nicht alleine. Auch die bislang härteste Konkurrenz aus Ostwestfalen nimmt sich ihre Krisen. Besonders Rödinghausen traf es hart, denn nach dem 0:1 in Oberhausen verloren die Wiehengebirgler ihre fast standardmäßige Tabellenführung. Aus den letzten vier Partien gab es auch dort nur 4 Punkte bei zwei Niederlagen. Eine gewisse Abhängigkeit von Simon Engelmann ist hier wohl nicht ganz abzustreiten. Nimmt dieser sich eine Torpause schließen sich seine Mannschaftskollegen an. Verl hingegen ist zwar neuer Tabellenführer, kam aber gegen Alemannia Aachen nicht über ein torloses Heim-Remis hinaus, bei dem sich die Gäste über die gesamte Spielzeit hinweg als das bessere Team präsentierten. Da RWE als einzige Mannschaft des Spitzentrios siegte, könnte das Wochenende also als gelungen abgehakt werden.
Jedoch könnte der SC Verl noch der große Gewinner werden, und zwar dann, wenn beim Essener Reviernachbarn Wattenscheid 09 die Lichter ausgehen würden. Dann hätte RWE drei Punkte weniger auf dem Konto, Rödinghausen einen Zähler, Verl hingegen hielte sich gänzlich schadlos, da die Ostwestfalen am ersten Spieltag mit 0:2 gegen Wattenscheid den Kürzeren gezogen hatten. Auch diese Aussichten tragen nicht gerade zur herbstlichen Stimmungsaufbesserung bei und der Blick auf die Tabelle sollte dann tunlichst vermieden werden. RWE muss daher den Kopf wieder frei kriegen für die sportlichen Aufgaben der nächsten Wochen, denn nur Erfolge schaffen mehr Ruhe und lassen das Selbstvertrauen zurückkehren. Leichter gesagt als getan. Am nächsten Samstag sollten Mannschaft und Fans den nächsten gemeinsamen Anlauf unternehmen und siegreich von der Partei bei der Zweitvertretung von Fortuna Düsseldorf zurückkehren.
NUR DER RWE
Sven Meyering