Vorbericht
RWE will Holstein kielholen! RWE will ins Halbfinale!
Es sind wichtige Wochen an der Hafenstraße 97 A. Der Kampf um die Ligameisterschaft und den Aufstiegsplatz zieht die Fans bereits in ihren Bann, wobei die erste Essener Saisonniederlage am vergangenen Freitag in Düsseldorf von allen Beteiligten auf RWE-Seite gerade noch schwer verdaut wird. Ein besonderes Bonbon hält aber der DFB-Pokal für die einzig wahren Roten und ihren Anhang parat. Zum ersten Mal seit 27,5 Jahren steht Rot-Weiss Essen wieder in einem Viertelfinale des größten nationalen Pokalwettbewerbs. Damals siegte RWE im November 1993 im Eisschrank von Jena mit 6:5 nach Elfmeterschießen bei Gastgeber Carl Zeiss, nun erwartet Rot-Weiss bei milderen Temperaturen Zweitligaspitzentruppe Holstein Kiel zum Pokal-Tanz im Stadion Essen. Und genau wie alle drei Runden zuvor will Essen die Sensation schaffen und genau wie 1993 den Grundstein für einen noch größeren Triumph legen.
Der Wahnsinnserfolg über den CL-Aspiranten Leverkusen im Achtelfinale und vor allem die Art und Weise, wie dieser zustande gekommen war, beantwortete die Frage des Jawattdenn.de Vorberichtes, wie unvergesslich das Pokalspiel in Anlehnung an das berühmte Match von 1995 diesmal bleiben werde, eindeutig. Absolut unvergesslich und legendär! Dass ein drei Klassen tiefer spielendes Team einen Rückstand in der Verlängerung noch zum Sieg dreht, gehört eher in die Kategorie des fast schon Unmöglichen. RWE schaffte es dennoch. Die letzte Aktion auf dem Spielfeld, die Nachspielzeit war bis auf wenige Sekunden heruntergelaufen, als Jonas Hildebrandt nach einem letzten Leverkusener Fehlpass mit der Kugel am Fuß unbedrängt Richtung Mittellinie und in den Schlusspfiff hinein flüchten konnte, bedeutete den Beginn eines Hypes um RWE und seine Spieler, den man an der Hafenstraße 97 A so noch nicht kannte. In jeder Nachrichtensendung des Landes war der Sieg des Underdogs präsent, liefen die Tore von Oguzhan Kefkir und Simon Engelmann, sah man die Freudenbilder in der Stadt. Da der DFB-Pokal auch in andere Länder übertragen wird, konnte man sich Spielausschnitte auch in anderen Sprachen zu Gemüte führen. Besonders empfehlenswert ein O-Ton auf Englisch, der pure Gänsehaut verursacht. Gut einen Monat später ist aber nicht mehr angesagt, sich auf diesen Pokalmeriten auszuruhen, sondern neue zu erlangen.
Der Gegner Holstein Kiel löste dabei bereits bei seiner Zulosung durch Segler Boris Herrmann gewisse Glücksgefühle aus, was unter psychologischen Gesichtspunkten interessant ist. Sowohl bei der Auslosung des Achtel- als auch des Viertelfinales war RWE Trainer Christian Neidhart per Videoschalte live dabei. Als Essen im Achtelfinale von Sven Hannawald den Sieger des noch auszutragenden Duells zwischen Bayer Leverkusen und Eintracht Frankfurt zugelost bekam, musste der Essener Coach ebenso wie die meisten Anhänger sichtlich schlucken. Es ist nämlich keineswegs so, dass RWE und seine Anhänger im DFB-Pokal große Stars bestaunen möchten. Grundsätzlich möchte man auch hier so weit kommen, wie es eben geht. Bundesligisten stehen somit nicht so weit oben auf der Essener Wunschliste. Nach dem Wunder von Essen, in dessen Zuge Leverkusen zu Loserkusen geworden ist, suggeriert die Zulosung eines Zweitligisten wiederum, da geht was! Das kann gut, aber auch gefährlich sein. Neidhart gab in der ARD-Liveschalte professionell zu Protokoll:
„Ich bin nicht unglücklich über einen Zweitligisten, auch wenn wir in jedem Spiel krasser Außenseiter sind. Wir nehmen das Spiel gerne an. Ich glaube, das ist ein Spiel, in dem man eine gewisse Pokal-Fantasie weiterführen kann.“
Und in Richtung des kommenden Gegners sagte der Essener Erfolgstrainer, dass sich Kiel, nachdem es Bayern München ausgeschaltet habe, sicherlich nicht bei einem Regionalligisten verabschieden wolle. Bereits ein kleiner Griff in die psychologische Trickkiste, denn die Gefahr der Blamage liegt trotz allem bei den Störchen und nicht bei den Essenern, die im Falle eines Ausscheidens als klassentiefster Klub im Wettbewerb trotzdem eine sensationelle Serie gespielt hätten. Dennoch wird Essen wahrscheinlich mit breiter Brust gegen die Störche antreten, die ihrerseits wiederum ebenso nicht unglücklich waren über die Auslosung. Denn auch an der Ostsee sagt man sich, ein Regionalligist im Viertelfinale, da ist die Tür zum Halbfinale weit offen. Sahen auch viele Kieler Fans so, denn im Internet-Forum feierten einige bereits das Weiterkommen. Cheftrainer Ole Werner hingegen wird genau wissen, dass sein Team in Essen ein heißer Tanz erwartet und intensiv davor warnen, RWE zu unterschätzen.
Warum auch sollte Kiel das tun? Genau genommen erreichte RWE souveräner die Runde der letzten Acht als die Gäste. In der ersten Hauptrunde gab es noch einen leichten Aufgalopp für Kiel, das mit 7:1 beim Oberligisten 1.FC Rielasingen-Arlen siegte. Die nächsten beiden Runden jedoch überstanden die Störche jeweils erst nach der Lotterie vom Punkt. Gegen den FC Bayern zeigte Holstein in Runde 2 zunächst ähnliche Comeback-Qualitäten wie RWE gegen Leverkusen. Trotz zweimaligen Rückstandes gegen den Giganten von der Isar kehrte Kiel jeweils zurück, erzwang die Verlängerung und dann das Elferschießen, bei dem die Störche Nerven aus Drahtseilen offenbarten. Auch gegen den Klassengefährten Darmstadt 98 fiel die Entscheidung erst im Shoot-Out. Sollte es auch in Essen zum Elferschießen kommen, hätte der Zweitligist psychologisch somit sicherlich einen kleinen Vorteil. Essen aber ließ es dreimal gar nicht erst so weit kommen, besiegte Bielefeld und Düsseldorf in der regulären Spielzeit und über die Verlängerung gegen Leverkusen muss wohl nichts mehr geschrieben werden.
Der Underdog wird auch nun in Priorität sein Tor verteidigen wollen und sehen, was nach vorne geht. Ein frühes Gegentor zu vermeiden ist wichtig. In den jeweiligen Anfangsminuten gegen Düsseldorf und Leverkusen wirkte RWE zunächst durchaus etwas gehemmt und arbeitete sich dann ins Spiel, was gegen Zweitligist Düsseldorf besser gelang als gegen die Werkself. Trotz des Zwei-Klassen-Unterschiedes ist nicht anzunehmen, dass Kiel RWE derart an die Wand spielen können wird, wie Leverkusen es über lange Strecken tat, aber im Endeffekt immer wieder an Davari, dem Pfosten oder dem eigenen Unvermögen scheiterte. RWE wird wahrscheinlich mehr Spielanteile bekommen, muss dann aber noch sorgfältiger auf die Balance zwischen Angriff und Abwehr und das defensive Umschalten achten, Tugenden, die Neidhart seiner Mannschaft immer und immer wieder vermittelt hat und die bei der Premierenschlappe bei Düsseldorfs Zweiter leider nicht gegriffen haben.
In der Liga ist die Situation der Kieler vergleichbar mit der von RWE. Holstein ist Teil eines Spitzenquartetts, welches die beiden Direktaufstiegsplätze oder den Relegationsplatz anstrebt. Beide Truppen haben somit das große Aufstiegsziel vor Augen, beide spüren den Atem der Konkurrenz, beide tanzen dennoch gerne auf der Hochzeit des DFB-Pokals, der umgekehrt natürlich auch Kräfteverschleiß bedeutet und den Terminstress erhöht. Stress, dessen sich beide gerne auch im Mai annehmen würden, denn dann werden das Halbfinale und zwei Wochen später das Finale gespielt. Die jeweiligen Generalproben für das Pokal-Match verliefen sehr unterschiedlich. RWE bekam in Düsseldorf bei der dortigen U23 kräftig was auf den Hut. Die Kernprobleme beim 0:3 lauteten hohe gegnerische Effizienz vor dem Essener Tor, hohe eigene Ineffizienz vor dem gegnerischen Tor sowie in dieser Form noch nicht gekannte Probleme im defensiven Umschaltspiel.
Sandro Plechaty, der mit einem Knorpelschaden im Knie länger ausfällt, wurde schmerzlich vermisst. Es wäre unfair, Vertreter Jonas Behounek die Schuld an der Niederlage zu verpassen. Besonders beim 0:1 fehlte ihm zwar erkennbar der Antritt, jedoch öffnete RWE auch unnötig das Zentrum und rückte zu weit heraus, sodass die Fortunen im Grunde mit einem Pass Essens Abwehr überspielen und es dann sehr gut zu Ende bringen konnten. Schiedsrichter Selim Erk hatte auch nicht seinen allerbesten Tag. Zunächst verweigerten er und sein Gespann RWE den regulären Ausgleich durch Isaiah Young, der nach Vorarbeit von Kehl-Gomez den Ball satt im Kasten versenkte und dabei nach Studium der Videobilder ganz klar nicht im Abseits gestanden hatte. Der RWE-Spiel-Twitter kommentierte dieses mit dem Neologismus „Erkerlich“. Zudem war der Ballverlust von Dennis Grote vor dem 0:2 nicht unwahrscheinlich nur durch ein Foul zustande gekommen. Düsseldorfs Lobinger kopierte anschließend Simon Engelmanns Siegtreffer gegen Leverkusen im Pokal und rammte die Kugel von halb rechts hoch in den Essener Giebel. Trotz dieser suboptimalen Schiedsrichter-Leistung machte sich RWE mit einer Vielzahl an vergebenen Torgelegenheiten das Leben unnötig schwer und hätte auch selbst beim Stande von 0:0 das Ergebnis in ganz andere Bahnen lenken oder später die Wende einleiten können.
Am Mittwoch hofft ganz Fußball-Essen daher darauf, dass die Rot-Weissen ihre bislang im DFB-Pokal gezeigte Effizienz vor des Gegners Tor wiedererlangen können. Das alles entscheidende 0:3 fingen sich die schon früh sperrangelweit offen agierenden Essener dann nach einem schlecht ausgeführten eigenen Standard, in dessen Folge sich Daniel Davari gleich zwei frei mit Ball auf ihn zulaufenden Düsseldorfern gegenüber und dann dem Ball im Netz hinterher sah. Man muss RWE hierbei wohl zugutehalten, dass die Mannschaft solche Situationen im Grunde nicht kennt. Noch nie zuvor seit dem 01.02.20, der letzten vorangegangenen Pflichtspielschlappe gegen Rödinghausen, hatte man 0:2 zurückgelegen. Das alles ist bei entsprechender Aufarbeitung verzeihbar und ebenso korrigierbar, auch wenn Teile des RWE-Anhanges genau das taten, was unsere Saisonprognose schon vorhergesagt hatte, nämlich auf eine Niederlage mit sofortiger hysterischer Schnapp-Atmung zu reagieren. Die Liga ist zwar enorm eng, aber nach wie vor für Essen aus eigener Kraft zu gewinnen.
Gewonnen hat der Pokalgast Kiel am Wochenende gegen Erzgebirge Aue mit einer gehörigen Portion an norddeutscher Beharrlichkeit und Unterstützung durch den VAR. Dieser nahm den Auern beim Stande von 0:0 gleich zwei Treffer wegen Abseits weg, jeweils ging es nur um wenige Zentimeter. Umgekehrt profitierten die Störche dann von einem dummen Foul im Strafraum auf der Gegenseite und kamen kurz vor Schluss zum 1:0 Siegtreffer per Strafstoß durch Elferexperte Alexander Mühling, der sage und schreibe schon zum siebten Mal in dieser Zweitligasaison vom Punkt aus traf. Die Kieler sind somit nicht nur Spezialisten für Elfmeterschießen, sondern auch für Strafstöße aus dem Spiel heraus. Trainer Ole Werner ist mit 32 Jahren der jüngste Coach der Zweiten Bundesliga und nicht nur gemessen daran sehr erfolgreich, denn die Kieler rangieren schon signifikant lange in den obersten Regionen der Liga und die Erfolge im Pokal sind für die Störche, immerhin Deutscher Meister von 1912, ebenso wie für unseren RWE alles andere als selbstverständlich.
Werner ist ein Freund des 4-3-3 und hat mit Routinier Finn Bartels, Zentrumsspieler Jae-Sung Lee aus Südkorea und Fabian Reese, den RWE aus Regionalligapartien während dessen Zeit bei Gelsenkirchen 2 kennt, seine vorderste Angriffsreihe. Aktuell häufiger aus der Jokerrolle heraus agiert Janni Serra, obwohl der Angreifer mit 7 Ligatoren erfolgreichster Offensivspieler ist. Holstein verdankt seinen Platz in der Spitzengruppe ohnehin eher der sehr kompakten Defensive, denn während gerade einmal 21 Gegentreffer in 23 Spielen den Bestwert der Liga darstellen, sind 37 eigene Tore die wenigsten des Spitzenquartetts. Allerdings ist Kiel dennoch grundsätzlich offensiv ausgerichtet und pflegt Ballbesitzfußball, in dieser Saison legt man analog zu RWE viel Wert auf das gesunde Gleichgewicht von Abwehr und Angriff.
Auch wenn sich Essen und sein Anhang sicherlich nicht unberechtigte Chancen auf eine weitere Sensation ausrechnen, kommt mit den Kielern ein dennoch dicker Brocken an die Hafenstraße 97 A, der deutlich favorisiert ist. An der Ostsee ist man im Umfeld siegessicher. Die Stadtwerke Kiel werben bereits mit einem Plakat, das eine Portion Pommes mit Ketchup und Mayo zeigt. Die Überschrift lautet, „Rot-Weiss Essen? Guten Appetit, Störche!“: Nun liebe Stadtwerke, dann passt mal auf, dass sich RWE nicht euren Storch brät und Holstein passend zum Spielort Hafenstraße mal eben kielholt. Bekanntlich kommt der Video Assistent Referee nach den besonderen Momenten der Partie gegen Leverkusen auch am Mittwoch wieder zum Einsatz. Hoffentlich wird es keine umstrittenen Szenen geben, die dann für wochenlangen Gesprächsstoff bergen. Denn seit der Einführung dieses Schiedsrichter-Tools muss man leider bilanzieren, dass die Hoffnungen, damit kehre mehr Gerechtigkeit im Fußball ein, durch den nach wie vor vorhandenen Faktor Mensch zum Teil krass konterkariert worden sind.
Für viel Kritik sorgte die Entscheidung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Sport 1, das Duell der beiden Überraschungsteams als einziges der vier Viertelfinals nicht live im Free TV auszustrahlen. Als der Gegner FC Bayern gewesen ist, durften sich die Kieler natürlich auf der nationalen TV-Bühne zeigen, denn die Münchener wären schließlich auch gegen den 4.FC Hintertupfingen bei einem Scheibenschießen präsentiert worden. Insbesondere der DFB-Pokal ist die einzige Bühne der Kleinen im Glamourgeschäft rund um das Leder und sorgt noch für ein wenig Vielfalt in der vom Artensterben bedrohten Fußballwelt, die immer mehr von immer demselben bietet. Es bleibt schwer nachzuvollziehen, warum eine wirklich einzigartige Partie zwischen einem Regionalligisten und einem Zweitligaspitzenteam dann aus dem Raster fällt. Vielleicht fällt es auch der ARD schwer, öffentlich einzugestehen, dass Essen gegen Kiel sich im Zuschauerinteresse nicht vor dem Duell der Brause- und Auto-Plastikklubs verstecken müsste, schließlich muss man auch dort das Produkt Bundesliga hypen, auch wenn der Wettbewerb ein ganz anderer ist. So hat die sich auch selbst so nennende „Marketingidee“ gerade einmal 990 zahlende Mitglieder, während RWE dort mit 6390 Menschen verbucht wird. Essen gegen Kiel findet daher wieder nur live im Pay-TV statt.
Aber lassen wir das. RWE darf nicht beleidigt sein. RWE muss positive Energie erzeugen und ins Halbfinale einziehen. Und hier sei von dieser Stelle auch ganz deutlich gesagt, dass wir Rot-Weissen uns einfach freuen sollten, noch in diesem Wettbewerb dabei zu sein und nach mehr als einem Vierteljahrhundert wieder träumen zu dürfen. Einige Stimmen aus der Essener Fanszene, der Pokal störe nur und lenke vom Wesentlichen, dem so heiß ersehnten Aufstieg ab, sind zwar nachvollziehbar. Denn das größte Ziel bleibt der Einzug in die Dritte Liga und natürlich kostet der Pokal und eine weitere englische Woche viel Kraft. Dennoch hat der Verein im DFB-Pokal sehr hohe und sehr wichtige Einnahmen erzielt, sich bundesweit Respekt verschafft und Imagepflege betrieben und uns Anhängern ungeheure Glücksgefühle verschafft. Und die dürfen durchaus noch ein wenig länger anhalten.,
NUR DER RWE!
Sven Meyering
Spielbericht
Stehende Ovationen für diese Pokalsaison!
Am Ende des Spiels ging der Satz in der Überschrift viral durch die sozialen Netzwerke der RWE-Fans und er verdeutlicht, dass das Team von Rot-Weiss Essen in der Saison 2020/21 eine außergewöhnliche Leistung vollbracht hat. Das Erreichen des Viertelfinals ist für einen Viertligisten alles andere als selbstverständlich und Rot-Weiss ärgerte mit Bayer Leverkusen ein absolutes Schwergewicht des deutschen Fußballs. Dass die Reise nun vorbei ist, damit war eigentlich gegen jeden der bisherigen Gegner zu rechnen. Das Wie hinterlässt hier leider einen faden Beigeschmack.
Christian Neidhart hatte vor dem Spiel zum ersten Mal den Druck, umbauen zu müssen. Wie der Öffentlichkeit bekannt ist, fielen Sandro Plechaty verletzt und Amara Condé durch die Quarantäne-Anordnung aus, was für RWE eine erhebliche Schwächung bedeutete. Der Trainer setzte weiter auf eine starke Defensive. Da sich Jonas Behounek gegen Düsseldorf am Freitag durchwachsen präsentierte, übernahm Namensvetter Jonas Hildebrandt am äußeren Rand der im Pokal üblichen Fünferkette. Im Vergleich zum letzten Ligaspiel rotierten zusätzlich Jan-Lucas Dorow und Cedric Harenbrock aus der Mannschaft. Für sie spielten Oguzhan Kefkir nach überstandener Quarantäne und Felix Herzenbruch, der im Pokal zurecht gesetzt ist. Neidhart legte also wert auf eine starke Defensive.
Diese Taktik ging in den ersten Minuten durchaus auf, denn vorsichtige Kieler fanden keine Lücke durch das rot-weisse Bollwerk. Kiel hatte zwar mehr Ballkontakt, machte daraus aber herzlich wenig. Die Essener schalteten dagegen schnell um und spielten schnörkellos vor das Tor der Kieler Störche. Die zunächst beste Möglichkeit des Spiels erspielte RWE nach zehn Minuten. Eine Ecke von Kevin Grund fand den Kopf von Daniel Heber, der völlig unbedrängt war. Er bekam allerdings nicht genug Kraft hinter seinen Kopfball, sodass Keeper Ioannis Gelios kein Problem hatte.
RWE hatte das Spiel im Griff und die Spannung stieg, da Christian Neidharts Plan aufzugehen schien – bis zur 26. Minute. Da kam Finn Porath an den Ball und sackte nach einer Grätsche von Essens Quarterback Dennis Grote zusammen. In der Normalgeschwindigkeit haben wohl auch viele RWE-Fans Verständnis für die Entscheidung von Schiedsrichter Markus Schmidt gezeigt, denn dieser zögerte nicht eine Sekunde und zeigte auf den Elfmeterpunkt. In der anschließenden Zeitlupe sah allerdings ganz Fußballdeutschlands, dass man nichts sieht. Dennis Grote zog seine Beine rechtzeitig zurück, Finn Porath markierte aber trotzdem den sterbenden Storch. Es war allen klar, dass dieser Pfiff nicht der Überprüfung durch den Video-Referee standhalten würde. Doch dieser meldete sich zum Ärger aller, die es mit den Rot-Weissen halten, nicht.
An dieser Stelle muss das System hinterfragt werden. Es handelte sich um eine krasse Fehlentscheidung, der folgende Elfmeter hätte niemals stattfinden dürfen. Trotzdem schaute sich Markus Schmidt die Szene nicht einmal an. Dabei geht der Hauptvorwurf gar nicht an den Schiedsrichter selbst – wie gesagt, sah es in Normalgeschwindigkeit nach einem klaren Elfmeter aus. Aber dass Robert Hartmann seinem Kollegen keinen Tipp gab, ist ein völliges Versagen. Marcus Uhlig, der sich extrem emotional vor den Mikrofonen des Bezahlsenders Sky zeigte, sprach gar von einem Skandal.
RWE blieb zunächst in Schockstarre, was Holstein sofort ausnutzte. Nur 113 Sekunden später kam eine Flanke aus dem Halbfeld in den Essener Strafraum. Der Ex-Bundesligaprofi Finn Bartels legte per Kopf mustergültig auf Janni Serra ab, der entspannt einschieben konnte. Es stand nach dem ordentlichen Beginn 2:0 und man muss sagen, dass damit das Spielgeschehen auf den Kopf gestellt wurde.
Das 2:0 sorgte dafür, dass RWE die Linie wiederfand, aber Ole Werner machte es clever. Er ließ sich nicht auf den offenen Schlagabtausch ein, sondern nutzte die Stärken der Kieler aus. Man hat es schon gegen Bayern München gesehen, dass der Zweitligist ein starkes Kämpfergen besitzt und die Kieler Störche warteten auf Rot-Weiss, das nicht genug Mittel fand, um den Kielern richtig gefährlich zu werden.
In der zweiten Halbzeit gab es nicht viel für den Freund großer Torchancen zu sehen. Christian Neidhart verstärkte die Offensive durch die Hereinnahme von Cedric Harenbrock (61.) und Steven Lewerenz (70.), allerdings war ein Schüsschen von Isaiah Young (64.) die beste Tormöglichkeit von Rot-Weiss Essen bis zur Schlussphase. In den letzten zehn Minuten startete die Kicker von der Hafenstraße eine Schlussoffensive und kamen durch Joshua Endres (80.), Cedric Harenbrock (83.) sowie Daniel Heber und Marco Kehl-Gomez (86.) zu guten Möglichkeiten, die allerdings nicht so zwingend waren, dass Ioannis Gelios sie nicht hätte parieren können.
Zum Abschluss konnten die Kieler noch einmal jubeln. Niklas Hauptmann eroberte den Ball und passte auf Joshua Mees in den Strafraum. Dieser suchte den Abschluss und sein Schuss ließ Daniel Davari keine Chance, da der Ball noch abgefälscht war. Am Ende stand es 3:0 für Holstein Kiel.
Am Ende ärgerten sich nicht nur die Essener, sondern auch der Bezahlsender Sky massiv über den Elfmeterpfiff. Finn Bartels gab am Mikrofon sogar zu, dass es auch aus seiner Sicht kein Elfer war. Dieses Mindestmaß an Sportlichkeit konnte sich Finn Porath selbst vor dem Hintergrund des 3:0 Erfolgs nicht abringen. Am Ende passiert so etwas im Fußball und auch Rot-Weiss hat in dieser Pokalsaison von Schiedsrichterentscheidungen profitiert, von daher soll der Pfiff nicht weiter thematisiert werden.
Denn viel größer als eine falsche Entscheidung ist das, was die Mannschaft von Rot-Weiss Essen in diesem Jahr vollbracht hat. RWE hat Arminia Bielefeld in der regulären Spielzeit geschlagen, hat Fortuna Düsseldorf, einen Aufstiegsaspiranten in der Zweiten Liga, über weite Strecken dominiert und dann den Europapokalteilnehmer Bayer Leverkusen mit einer unglaublichen Willensleistung in der Verlängerung geschlagen. Jungs, das war spitze!
Hier zeigte sich der Zusammenhalt des Kaders. Daniel Davari, Simon Engelmann und Amara Condé konnten die Man-of-the-Match-Trophäe gewinnen, aber insgesamt passte vieles ineinander. Selbst Spieler, die sonst nicht so häufig zum Zuge kommen, wie Felix Herzenbruch, Marcel Platzek oder Jan Neuwirt lieferten in ihren Pokaleinsätzen starke Leistungen ab und am Ende sollte der Rückenwind, den die Pokalerfolge mitgeben, größer sein als die Enttäuschung über das Ausscheiden.
Dass der Fokus schnell wieder auf den Ligabetrieb gerichtet werden muss, sollte ein Vorteil sein. Mit Fortuna Köln kommt einer der unangenehmsten Gegner der Regionalliga an die Hafenstraße. Ein Vorteil ist, dass die Kölner ebenfalls am Mittwoch ein Nachholspiel absolvierten und sich überraschend dem Wuppertaler SV mit 2:0 geschlagen geben mussten. Hier wird RWE alles abverlangt, um das große Saisonziel weiter vor Augen zu halten. Nach der starken Leistung im Pokal ist das Vertrauen groß, dass der Angriff auf die Dritte Liga nun angegangen wird. Wir glauben an euch!
Hendrik Stürznickel