Vorbericht
Triumph oder Tragödie! Staudersekt oder Selters? Das Wochenende der Aufstiegsendspiele zieht Fußball-Essen in seinen Bann!
Eine Mammutsaison mit 40 Ligaspielen geht am kommenden Samstag mit dem Essener Gastspiel beim FC Wegberg-Beeck zu Ende. Und kaum zu glauben aber wahr, möglicherweise wird am Ende ein einziges mehr geschossenes Törchen zwischen den beiden sich seit Saisonstart unbarmherzig bekriegenden Konkurrenten Borussia Dortmund 2 und Rot-Weiss Essen nach 3600 Saisonminuten plus nicht zu beziffernden Nachspielzeiten über Trauer und Glückseligkeit, sprich Ligaverbleib oder Aufstieg entscheiden. Im Falle eines Essener Aufstieges wäre jedenfalls definitiv nur das Torverhältnis der Faktor, der den Ausschlag zugunsten der Rot-Weissen geben könnte.
Nach dem gestrigen 3:1 Sieg des BVB 2 im Nachholspiel gegen das nun abgestiegene Bergisch-Gladbach könnten die Essener nämlich maximal eine Punktgleichheit zum Rivalen herstellen, der in Wuppertal verlieren müsste, während RWE auf alle Fälle einen eigenen Dreier bei Wegberg-Beeck erreichen müsste. Die besseren Aktien liegen somit weiterhin am Borsigplatz. Doch selbst das ist durchaus ein Teilerfolg, denn RWE ist noch immer im Rennen. Nach der ernüchternden und scheinbar vorentscheidenden Schlappe bei der Zweitvertretung des 1. FC Köln am 22. Mai hielten es selbst Daueroptimisten für im Grunde nicht mehr möglich, dass es am 5. Juni doch noch ein Herzschlagfinale in der Regionalliga West um den Aufstieg in die Dritte Liga geben könnte. Virtuell war die Zweite des BVB um 7 Punkte entwischt. Dann aber griff der Fußballgott ein. Sowohl in Rödinghausen als auch gegen den VFB Homberg, die sich somit jeweils 150 Liter Stauderbier von Jawattdenn.de sichern konnten, langte es für die Schwarz-Gelben nur zu einem Remis, sodass sie jetzt nicht mit leeren Händen aus dem Tal zurückkehren dürfen.
Somit erleben wir am kommenden Samstag womöglich das, was den Fußball ausmacht. Spannung und Dramatik pur bis zum letzten Pfiff. Etwas, dass der ersten Bundesliga Dank seines nun neunfachen Serienmeisters FC Bayern zumindest in der Meisterfrage vollkommen abhandengekommen ist. Der elitäre Großklub aus München hat sich zumindest national ein Monopol auf Titel gesichert. Auf den ersten Blick etwas paradox mag erscheinen, dass auch die anstehende Aufstiegsentscheidung in der Regio West etwas damit zu tun hat. Auch andere Großvereine als Bayern München streben eine Reduzierung von Konkurrenz an. Gleich zwei Truppen im bezahlten Fußball auflaufen und andere Vereine in den Amateurligen verhungern zu lassen, ist eine Strategie dazu. Die Verbände unternehmen nichts dagegen. Was aber spürbar ist, viele Anhänger anderer Traditionsvereine, die RWE nicht unbedingt wohl gesonnen sind, haben durchaus ein feines Gespür dafür, dass die erste Mannschaft eines eingetragenen Fußballvereins den Aufstieg mehr verdient hat als die Unterabteilung einer Aktiengesellschaft. Im Binnenverhältnis beider Vereine und deren Fangruppen, das eigentlich lange Zeit sehr gut gewesen ist, hat sich auch einiges verändert und verschlechtert. Somit ist zusätzlich ordentlich Pfeffer drin.
Wie üblich vor solchen Showdowns bemüht man in beiden Lagern Anekdoten aus der Vergangenheit, auch wenn die mit der Gegenwart und den nun spielenden Mannschaften rein gar nichts mehr zu tun haben. An solchen Entscheidungsfindungen auf den letzten Metern der Liga außerhalb von Relegationsspielen waren unsere Roten schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr beteiligt. Das letzte Mal, als RWE an einem letzten Spieltag noch Aufstiegsmeriten erwerben konnte, war im Jahre 2003. Die Essener befanden sich in der damals drittklassigen Regionalliga Nord im Fernduell mit dem VFL Osnabrück um den Aufstieg in die zweite Bundesliga. Während RWE bei der Reserve von Werder Bremen im großen Weserstadion gewinnen musste, war eine gleichzeitige Heimniederlage des VFL Osnabrück gegen Holstein Kiel notwendig. RWE legte einen insgesamt sehr uninspiriert wirkenden Auftritt hin und kam am Ende nicht über ein torloses Remis hinaus. Da es aber eine Zeit ohne Smartphones war, sorgte die nicht überprüfbare Falschmeldung einer angeblichen Kieler Führung an der Bremer Brücke zwischenzeitlich für Euphorie im Essener Block. Lauthals skandierte der rot-weisse Anhang „1:0 Kiel“, um der müde daher kickenden Essener Truppe Mut zu machen.
Das, was man heutzutage eine Fake News nennen würde, führte nicht zu besserem Fußball im Weserstadion. Die dann korrekte Meldung von Osnabrücker Siegtoren ließ RWE und seinen Anhang unaufgestiegen nach Essen zurückkehren. Noch bitterer war es ein Jahr zuvor, als die Roten im Fernduell mit Eintracht Braunschweig den Kürzeren zogen und das, obwohl man sportlich sogar die punktbessere Mannschaft gewesen war. Die skandalösen Umstände vom Mai 2002 hatten wir in unserem Vorbericht zur Partie bei Preußen Münster bereits aufleben lassen. Daher heißt es nun alle guten Dinge sind drei. Nach zwei verpassten Anläufen, es auf den letzten Drücker noch zu schaffen, hoffen RWE und sein Anhang auf das Aufstiegshappyend.
Der BVB schwelgt hingegen in der Nostalgie des Jahres 2012. Damals stieg die Mannschaft ausgerechnet in Wuppertal auf. Ein gutes Omen, meint man am Borsigplatz, allerdings wird der Gegner WSV wohl dennoch besonderen Ehrgeiz entwickeln, dass sie sich nicht zum zweiten Mal eine gegnerische Aufstiegsparty von demselben Verein im eigenen Stadion bieten lassen müssen. Zudem sind 300 Liter Siegesstauder von Jawattdenn.de zu erringen. Der WSV ist die viertbeste Mannschaft der Rückrunde und hat sich jüngst den Niederrheinpokalsieg gesichert. Im Halbfinale fegte sie dabei Drittligist MSV Duisburg mit 6:2 aus dem eigenen Stadion. Es gibt sicherlich angenehmere Aufgaben als der Ausflug zu den Bergischen für den Tabellenführer. Beim 3:1-Erfolg über Bergisch Gladbach, keinesfalls zu verwechseln mit den Bergischen des WSV, bauten die Borussen ihre Tabellenführung auf drei Punkte und zwei Tore gegenüber RWE aus. Somit reicht den Dortmundern ein Zähler zum sicheren Aufstieg. Das sollte eine Mannschaft, die von den bisherigen 39 Saisonpartien nur eine einzige verloren und seit diesem 1:2 gegen den SV Rödinghausen im November 2020 seit 26 Partien den Platz nicht mehr als Verlierer verlassen hat, eigentlich schaffen.
Eigentlich. Nicht selten jedoch entwickelt der Fußballsport gerade in diesen Situationen eine ganz eigene Dynamik und ebenso wie der Pokal hat auch der letzte Spieltag häufiger eigene Gesetze. So kürzlich noch gesehen in der zweiten Bundesliga, als Holstein Kiel auf den allerletzten Metern noch den Direktaufstiegsplatz an Greuther Fürth verloren hatte. In solchen Spielen geht es eben nicht nur um die Qualität, die eine Mannschaft potenziell einbringen könnte, sondern ob mentale Verfassung und die Frische im Kopf und den Beinen es zulassen. Beim 3:1 Erfolg über den Tabellenletzten Bergisch-Gladbach wirkte der BVB gut 20 Minuten nicht souverän und ließ sich durchaus zurück und in die Defensive drängen. Nach der 1:0 Führung ließen die Westfalen zugegeben defensiv wenig anbrennen und nachdem sie das Ergebnis bis zur 74. Minute auf 3:0 ausgebaut hatten, fürchtete das RWE-Lager, dass womöglich noch ein Kantersieg gelingen könnte, der das Essener Aufstiegs-Unterfangen signifikant erschweren hätte können. Das schien nun auch die Dortmunder Devise zu sein, einen hohen Erfolg einzufahren. Vielleicht wird der BVB am Samstagabend noch an die Megachance von Ansgar Knauff zum 4:0 zurückdenken, die Gästekeeper Dennis Lohmann gekonnt vereitelte. Stattdessen fing man sich kurz vor Schluss das 3:1 durch einen berechtigten Elfmeter von Serhat Korkut. In den wenigen verbleibenden Minuten schienen die Gastgeber platt und hätten sich auch noch einen weiteren Gegentreffer fangen können. Nach dem Schlusspfiff sanken diverse BVB-Akteure jedenfalls erstmal zu Boden und wirkten dabei sichtlich erschöpft. Der Spielplan kostet Kraft und Nerven. So gelang zwar der angestrebte Dreier, aber nicht ein solch hoher Erfolg, der RWE ebenfalls zu einem Kantersieg in Wegberg verpflichtet hätte. Da am kommenden Samstag zudem schwül-warme Temperaturen zu erwarten sein werden, wird es durchaus eine Rolle spielen, wie gut der Kreislauf der müde wirkenden BVB-Kicker noch laufen wird.
Der Kreislauf der RWE-Anhänger schlägt bereits jetzt Kapriolen. Das rot-weisse Lager glaubt an den Aufstieg auf den letzten Metern und ist heiß darauf wie Frittenfett. Viele Häuser und Fenster der Stadt sind rot-weiss geschmückt, weil deren Bewohner einem Aufruf des RWE-Fanblogs Nullsieben #Flagge für den Aufstieggefolgt sind. Es herrscht dieses ganz besondere Prickeln in den Magengruben, wenn sich etwas Großes ankündigt. Und das wird sich von jetzt an von Minute zu Minute steigern.
Eine extrem wichtige Mitteilung erreichte die RWE-Fangemeinde bereits am Montagabend. Der geschätzte Cheftrainer Christian Neidhart erteilte den immer lauter werdenden Spekulationen über seinen Abgang zu Eintracht Braunschweig eine sehr deutliche Absage, er wolle Rot-Weiss Essen unter keinen Umständen verlassen. Dieses Treuebekenntnis zeugt einerseits davon, dass der sehr gute und vertrauensvolle Weg, den Essens Erfolgstrio Christian Neidhart, Jörn Nowak und Marcus Uhlig eingeschlagen haben, auch weiterhin gemeinsam bestritten werden soll. Zudem sorgten die Essener für die notwendige Ruhe vor dem Aufstiegsfinale. In Internetforen kursierten bereits pseudobedeutungsschwangere Andeutungen, die ein Wissen über einen Neidhart-Wechsel suggerieren wollten. Fakt ist, die Eintracht wollte den Essener Coach definitiv an die Hamburger Straße lotsen, ein Umstand, der einigen bereits reichte, um sich ein Abschiedsszenario zu dem denkbar ungünstigsten Zeitpunkt auszumalen. Der Cheftrainer wird um die möglichen Auswirkungen gewusst haben, als er sich bereits zu Wochenbeginn so klar und eindeutig pro RWE positionierte.
Dem eigenen Lager bescherte es positiven Schwung und beim großen Konkurrenten vom Borsigplatz konnte man sich von seiner Hoffnung schnell verabschieden, dass in Essen kurz vor dem wegweisenden Wochenende der Baum brenne. Volle Konzentration auf das eigene Spiel ist angesagt, auch wenn simultan im Tal mitentschieden wird. Machen die Essener die eigenen Hausaufgaben nicht, brauchen sie nicht nach Wuppertal zu schauen. Ein Sieg mit zwei Toren Differenz ist notwendig, um bei einem zeitgleichen Wuppertaler Sieg mit einem Tor Differenz am BVB vorbeizuziehen. Gewönne der WSV deutlicher gegen den BVB, reicht den Rot-Weissen auch ein Erfolg mit nur einem Tor mehr. Man kann die Rechenspiele auch noch weiter ausweiten, und zwar so, dass selbst ein Entscheidungsspiel bei absoluter Punkt- und Torgleichheit herauskäme, denn auch der direkte Vergleich beider Mannschaften war absolut ausgeglichen. Doch lassen wir das. Man kann das Rechnen auch übertreiben. Wichtig ist auf dem Platz. Ein Vorteil für unsere Roten ist sicherlich, dass sie nicht von Anfang an auf Teufel komm raus anrennen müssen, sondern ihr gewohnt abgeklärtes Spiel aufziehen können, denn ein Schützenfest wird nicht notwendig werden.
Gegner Wegberg-Beeck hat den Klassenerhalt sicher. Gefühlt bereits seit dem 2:1 Sieg über RW Ahlen im März. Danach ließ man es scheinbar lockerer in der Liga angehen. Allerdings stoppten die Wegberger ihre Misserfolgsserie dann ausgerechnet gegen Preußen Münster. Die Adlerträger sind die beste Mannschaft der Rückrunde, holten bislang 44 Zähler aus 19 Partien. Die seit Jahresbeginn kaum zu besiegenden Münsteraner erlitten in dieser Zeit nur eine Niederlage, eben gegen den kommenden RWE-Gegner. Die Essener sollten also massiv auf der Hut sein, den Kontrahenten zu unterschätzen. Dieser wird RWE voraussichtlich so viel erbitterten Widerstand leisten, wie ihn auch der BVB 2 gegen die vermeintlich Kleinen gespürt hat.
Und eines sei an dieser Stelle auch deutlich gesagt, auch wenn es am Samstag um Staudersekt (Aufstieg) oder Selters (Ligaverbleib) geht, hat Rot-Weiss Essen auch unabhängig davon eine ganz starke Saison gespielt. Die Bewertung der Spielzeit sollte also nicht allein davon abhängig gemacht werden, ob der so ersehnte Aufstieg tatsächlich gelänge. Das sei bereits jetzt an die Adresse der ewigen emotionalen Amokläufer gerichtet, die den formidabel arbeitenden Cheftrainer Christian Neidhart nach der Niederlage in Köln bereits wieder nach Meppen zurückschicken wollten. Wenn nach 3.600 Ligaminuten am Ende nur Nuancen darüber entscheiden, wer die goldene Meistermedaille und wer die goldene Ananas erhält, dann darf schon jetzt bilanziert werden, dass sportlich beide Mannschaften den Aufstieg verdient hätten, zumal der Meister der sehr früh abgebrochenen Regionalliga Nordost Viktoria 1889 Berlin aufgrund von nur 11 ausgetragenen Partien hoch darf. So ungleich haben die jeweiligen Regionalligaverbände ihre Aufstiegsfragen geregelt.
Das Duell zwischen RWE und dem BVB war jedoch nicht nur sportlich sehr hart, sondern wird übrigens derzeit auch juristisch und womöglich über das sportliche Saisonende am Samstag hinaus ausgetragen werden. Marcus Uhlig hat offiziell bestätigt, dass RWE gegen die Spielwertungen der Partien des BVB 2, die wegen der Coronafälle verschoben worden sind, Einspruch eingelegt habe. Ob wir hier später ins Detail gehen müssen, wird sich noch zeigen. Es sei nur so viel offenbart, der Fußball-Sport ist kein rechts- und regelfreier Raum und es besteht die Möglichkeit, dass der BVB 2 hier etwas zu freizügig mit gewissen Bestimmungen umgegangen ist. Zu den bereits jetzt wieder hochkochenden Diskussionen in einschlägigen Foren sei gesagt, dass es absurd anmutet, wenn nicht der potenzielle Betrüger am Pranger steht, sondern der potenziell Betrogene, weil er auf den möglichen Betrug hinweist.
Dennoch hofft ganz Fußball-Essen, dass das große Ziel am Samstag bereits auf sportliche Art und Weise erreicht werden wird. Die rot-weisse Fangemeinde fiebert auf diesen Tag hin, wie schon lange nicht mehr, trotz der großen DFB-Pokalerfolge dieser Saison. Freuen wir uns einfach schon jetzt darüber, dass wir endlich mal wieder bis zum Schluss dabei sind bei der Beantwortung der großen Aufstiegsfrage. Sollte es gelingen, dann wird Essen am Samstag vor ekstatischer Freude erbeben. Leider nicht mit Mannschaft, Trainer und Verantwortlichen am Stadion Essen. Die Gründe dafür sind bekannt. Doch auch das wird im Falle eines Falles unserem Stolz, unserer Freude und unserem ganz innigsten Dank keinen Abbruch tun. Ob es ein Fest gibt oder nicht, eines steht bereits jetzt fest:
WIR SIND STOLZ AUF UNSER TEAM, ROT-WEISS ESSEN!
NUR DER RWE!
Sven Meyering