Vorbericht
Auf ein Neues! RWE will in Wiedenbrück weitermachen!
Einem alten Sprichwort nach seien die ersten Pflaumen madig. Das spürte Rot-Weiss Essen zum Saisonauftakt Anfang September gegen den SC Wiedenbrück. Als haushoher Favorit eingestuft kassierten die Essener in der Nachspielzeit den Ausgleich zum 1:1. Sogleich war Feuer unter dem Dach in Bergeborbeck. Hinterfragt wurde fast alles, der konditionelle Zustand der Mannschaft, das System, die Aufstellung, natürlich auch Neutrainer Christian Neidhart. In den gut drei Monaten bis zur nur vierwöchigen Winterpause beseitigten die Rot-Weissen die Zweifel an ihrer Qualität jedoch eindrucksvoll. Dem enttäuschenden Auftaktremis folgten 15 Siege sowie vier weitere Punkteteilungen. Der Lohn, die am Ende doch souveräne Wintermeisterschaft. Genau dort will RWE am kommenden Samstag zum Rückrundenauftakt in Wiedenbrück anknüpfen und seine tolle Ausgangsposition stärken.
Neidhart hatte die rund 40 Spiele umfassende Saison vor dem Startschuss in Viertel a 10 Partien eingeteilt, um sich selbst Wegmarken zu setzen. Das erste Viertel verlief mit 22 Punkten zufriedenstellend, aber der Hauptkonkurrent Borussia Dortmund II war signifikant besser unterwegs und den Essenern um vier Zähler enteilt. Im zweiten Viertel bis zur Winterpause agierten die Neidhart-Schützlinge hingegen im Siegesrausch und ernteten 28 von 30 möglichen Zählern, nur am Aachener Tivoli kam RWE nicht über ein Unentschieden hinaus, das zudem unnötig war.
Natürlich ziehen solche Erfolgsserien tabellarische Folgen nach sich. Allein in den letzten 4 Ligapartien knöpfte Rot-Weiss den Schwarz-Gelben vom Borsigplatz satte 6 Zähler ab. Ebenso groß ist nun der Vorsprung auf den Verfolger. Der hat zwar noch ein Spiel in der Hinterhand, bekam aber zuletzt zu spüren, dass die Regionalliga West kein Selbstläufer ist, und zwar auch für die ambitionierte Zweitvertretung einer Aktiengesellschaft. Noch weitreichender waren die Auswirkungen der Essener Erfolgsbilanzen für die weitere Konkurrenz. Der Titelkampf ist ein Zweikampf geworden. Die Verfolgergruppe, angeführt von Fortuna Köln auf Platz 3, hat Minimum 13 Punkte Rückstand auf den Tabellenführer. Die einzige weitere „erste Mannschaft“ im vorderen Drittel ist Preußen Münster. Wie Jawattdenn.de vor Saisonbeginn prognostizierte, teilen die Adlerträger das Schicksal aller Vorjahresabsteiger aus der Dritten Liga mit dem direkten Wiederaufstieg nichts zu tun zu haben. Die Deutlichkeit, mit der die Münsteraner abgehängt worden sind, dürfte sie vielleicht aber auch selbst überraschen. Im Schnitt büßten die Preußen an jedem der 20 Hinrundenspieltage 0,8 Punkte auf RWE ein und sehen mit insgesamt 34 Zählern nur noch die Rücklichter der Essener aus höflicher Distanz.
Bei aller Freude über diese Zwischenbilanzen trübt jedoch der Blick auf die Tabelle durchaus das Fußballherz an anderer Stelle. Unter den ersten acht Tabellenplätzen finden sich sämtliche an den Start gegangene Zweitvertretungen, deutlich vor Traditionsvereinen wie Alemannia Aachen und Rot-Weiß Oberhausen. Das ist und bleibt schlichtweg ein Strukturproblem für die höchste deutsche „Amateur“-Spielklasse. Und selbst wenn RWE der große Wurf des Aufstieges gelingen sollte bleibt zu hoffen, dass der Dachverband DFB und seine Regionalverbände das Problem der Zweitvertretungen, das auch in der Dritten Liga besteht, wobei hier zumindest noch keine Aufstiegsplätze blockiert werden können, endlich in den Blick nehmen und sinnvolle Alternativen schaffen. Allein der Glaube daran fehlt.
Zunächst aber muss RWE seine Hausaufgaben machen. Im dritten Saisonviertel treffen die Essener auf alle Mannschaften, die derzeit die Tabellenränge 2-5 belegen. Es geht also sofort rund. Der kommende Gegner aus Wiedenbrück zählt zwar nicht zu diesen Topteams, ist aber der beste Aufsteiger in der Liga. Zudem hat RWE das eingangs erwähnte Hinspiel noch in unguter Erinnerung.
Der SCW ist alles, aber kein Kanonenfutter. Das Team von Trainer Daniel Brinkmann, den RWE-Boss Marcus Uhlig noch aus gemeinsamen Bielefelder Zeiten kennt, wird Essen das Leben wieder schwermachen wollen. Und noch immer winkt allen Rot-Weissen Gegnern der inoffizielle Titel des Premieren-RWE-Besiegers. In dieser Spielzeit gelang es noch keinem Team, die Elf von Christian Neidhart zu schlagen. Weder in der Regionalliga noch im DFB-Pokal, wo sich die deutlich höherklassigen Gegner aus Bielefeld und Düsseldorf die Zähne an unseren Roten ausbissen. In Essen weiß man, dass alle Kontrahenten danach lechzen, RWE ein Bein zu stellen.
So auch der SC Wiedenbrück. Die Gastgeber aus dem beschaulichen Städtchen an der Ems sind die Remiskönige der Liga, zehnmal teilten sich der SCW und die Gegner die Punkte. Das betraf auch Spitzenteams. Neben RWE spielten auch Fortuna Köln und Düsseldorf II Unentschieden gegen Wiedenbrück. Bereits viermal trennte sich der SCW gänzlich torlos von seinem jeweiligen Kontrahenten. Ein Beleg dafür, dass die Brinkmann-Elf defensiv gut organisiert ist, offensiv aber bisweilen Probleme mit der Durchschlagskraft hat.
Da passt es ganz gut für die Emsstädter, dass der angebliche Transfer des pfeilschnellen Linksaußen Phil Beckhoff nur eine Zeitungsente eines Organs der Funke-Medien-Gruppe gewesen ist. Beckhoff ist keineswegs in der Winterpause zum Ligakonkurrenten Mönchengladbach II gewechselt, sondern läuft bis zum Sommer für Wiedenbrück auf. Er markierte 9 Treffer in 20 Einsätzen und ist daher bei gerade einmal 20 Lenzen nicht nur sehr begehrt, sondern sollte von RWE am Samstag auch sehr aufmerksam betrachtet und in seiner Berufsausübung auf dem grünen Rasen energisch gestört werden.
Apropos grüner Rasen, es regnet und stürmt seit Wochen in Ostwestfalen und der Boden im Jahnstadion von Wiedenbrück dürfte knöcheltief sein und fußballerische Eleganz nicht zulassen. Zum Glück bewies Rot-Weiss Essen unter Christian Neidhart, dass es taktisch flexibel auf solche Bedingungen reagieren kann, so gesehen z.B. beim souveränen Auswärtssieg beim VFB Homberg.
Personell hat sich zunächst einmal nichts geändert bei den Rot-Weissen. Bis auf den Langzeitverletzten David Sauerland stehen Christian Neidhart sämtliche Akteure zur Verfügung und der Coach hat nicht nur die Qual der Wahl, sondern kann auch seine taktischen Optionen genauestens abwägen. RWE zeigte sich in einem Test gegen den Ligakonkurrenten Köln II am vergangenen Samstag in sehr guter Frühform und siegte mit 4:1. Neidhart ließ dabei im 4-3-3 agieren und befand anschließend, dass es Joshua Endres und auch Jan-Lucas Dorow in dieser Variante besonders gut gemacht hätten. Eine der Stärken des Essener Trainers ist es eben, Spieler, die sich auch über längere Zeit nur in der zweiten Reihe befinden, bei Laune zu halten.
Das gilt nicht nur für Dorow. Beim Pokaltriumph über Fortuna Düsseldorf kurz vor Weihnachten spielte seit Längerem wieder Amara Condé von Anfang an in der Mittelfeldzentrale und war einer der besten Spieler auf dem Feld. Auch Jonas Hildebrandt und Felix Backszat kamen später noch zum Einsatz und waren sofort im Wettkampfmodus, obwohl sie in der Liga länger keine Berücksichtigung gefunden hatten. Insgesamt stimmt die Teamchemie und auch das Verhältnis des Trainers zur Mannschaft offenbar, obwohl Breite und Qualität des Essener Kaders einige Akteure zu Härtefällen machen, die anderswo sicherlich unangefochten zur Stammformation zählen würden.
Unter diesen guten Vorzeichen geht das Projekt Aufstieg 2021 ab Samstag wieder an den Start. Wie so oft darf man sagen, dass wenn der RWE-Express seine Qualität zur Geltung bringen kann, die Chancen auf einen Dreier auch in Ostwestfalen alles andere als schlecht stehen. Da der große Konkurrent BVB II seine Klingen erst am Sonntag mit den Kaiserstädtern aus Aachen kreuzen wird, könnten die Essener gehörigen Tabellendruck entfachen und 9 Punkte wegziehen, sodass die Dortmunder Nachholpartien für die Schwarz-Gelben fast zu Zwangssiegen ausgerufen werden könnten. Vorerst muss sich RWE aber wieder allein auf sich selbst und seine Stärken besinnen, dann wird 2021 sportlich so erfolgreich starten wie 2020 endete. Die RWE-Fangemeinde darf sich auf ein Streamingangebot freuen und anschließend hoffentlich über einen weiteren Dreier.
NUR DER RWE!
Sven Meyering
Spielbericht
Aller Anfang ist schwer…
Fünf Euro fürs Phrasenschwein, aber es bewahrheitet sich, dass der Auftakt in Wiedenbrück für Rot-Weiss Essen schwer war. Es gab durchaus gute Einschussmöglichkeiten, allerdings fehlte das nötige Quäntchen Glück, das RWE in der Hinrunde oftmals hatte. Am Ende blieb die Revanche für den Punktverlust an der Hafenstraße aus und erzielte erstmals in dieser Saison keinen eigenen Treffer.
Dass die Platzverhältnisse nicht gut sein konnten, war jedem klar, der mindestens aus dem Homeoffice mal aus dem Fenster geschaut hat. Feuchtes Wetter um den Gefrierpunkt herum ist Gift für Rasenplätze. Hierauf reagierte Christian Neidhart und änderte die Startelf im Vergleich zur Hinrunde im zentralen Mittelfeld. Cedric Harenbrock, der für technische Feinkost steht, blieb erstmals seit dem 21. November auf der Bank. Dafür bekam Amara Condé seine Chance, der im DFB-Pokal so nachdrücklich auf sich aufmerksam machte. Oguzhan Kefkir blieb ebenfalls draußen, dafür bildeten die schnellen Außen Joshua Endres und Isaiah Young die Flügel.
RWE übernahm von Beginn an die Initiative und testete gleich zu Beginn durch Engelmann (8.) und Young (9.) Wiedenbrück-Torwart Marcel Hölscher. Dieser Hölscher sollte zum Spieler des Spiels werden, so viel sei bereits an dieser Stelle verraten. Erster Jubel brandete in der 12. Minute auf, den Joshua Endres enteilte auf der linken Seite seinem Gegenspieler und wurde im Strafraum unfair zu Fall gebracht. Schiedsrichter Leonidas Exuzidis entschied sofort auf Elfmeter. Engelmann hatte bislang jeden Elfmeter erfolgreich ins Tor gebracht, scheiterte dieses Mal mit einem recht lässigen Ball an Marcel Hölscher. RWE schüttelte sich aber nur kurz und lief weiter auf das Wiedenbrücker Tor zu. Die dickste Möglichkeit ergab sich in der 22. Minute, als Joshua Endres Simon Engelmann perfekt anspielte und dieser aus kurzer Distanz wieder an Marcel Hölscher scheiterte. Es lag vor allen Dingen am Keeper des SC, dass Engelmann den Regler für dieses Spiel nicht fand.
Vom SC Wiedenbrück kam bis dahin nichts. Nach dreißig Minuten setzte Wiedenbrück aber immer wieder Konter, die zumeist durch die Verteidigung von RWE abgelaufen wurden. Hier spielte RWE mehr mit einer Dreierkette, in der Dennis Grote fast wie ein Libero agierte. Kurz vor der Pause wurden die Westfalen dann doch gefährlich. Eine erste Kopfballchance setzte Lukas Demming neben das Tor (38.). Am gefährlichsten war jedoch der Schuss von Bjarne Pudel, der aus kurzer Distanz das Tor verfehlte (42.).
Über die ganze Halbzeit gesehen war RWE jedoch die spielbestimmende Mannschaft. Die guten Möglichkeiten inklusive Elfmeter reichten jedoch nicht aus, um eine Führung herzustellen. Christian Neidhart ließ das Team jedoch unverändert wieder auflaufen. Zumindest defensiv war das auch die richtige Entscheidung, denn der SC Wiedenbrück konnte nicht eine Chance in der zweiten Hälfte herausspielen.
RWE übernahm auch in der zweiten Hälfte die Spielkontrolle, spielte sich aber nahezu kaum Tormöglichkeiten heraus. Lediglich Simon Engelmann scheiterte in der Anfangsphase nach Wiederanpfiff an Torwart Hölscher. Erst in der 65. Minute hatte RWE dann jedoch wieder eine Großchance. Eine Flanke von Kevin Grund fand den Kopf von Alexander Hahn und dieser platzierte den Ball auch gut, aber nicht gut genug für Marcel Hölscher, der auch diesen Ball wieder herausfischte.
Die beste Chance hatte der mittlerweile eingewechselte Marcel Platzek. Dieser hielt kurz vor Schluss aus ca. 15 Metern einfach mal drauf und der Ball schlug krachend an den Pfosten. Laut der Journalisten in Wiedenbrück war selbst bei diesem Schuss Marcel Hölscher mit den Fingerspitzen dran.
Am Ende konnte Rot-Weiss anschließend keine entscheidende Aktion mehr setzen und die Punkteteilung stand mit dem Anpfiff des guten Schiedsrichters fest. RWE spielte prinzipiell richtig in Wiedenbrück. Auf schlechtem Platz gegen einen sehr tiefstehenden Gegner konnte RWE keinen Schönheitspreis gewinnen. Dass RWE also rustikal zu Werke ging, war richtig. Die Möglichkeiten, hier zu gewinnen, waren ebenfalls da. Es zeigte sich aber einmal mehr, dass nur wenige Spieler im Kader sehr konsequent im Ausnutzen von Torchancen sind. Wenn Simon Engelmann einen seiner seltenen Tage hat, an denen er nicht trifft, dann wird es schwierig.
RWE bleibt dennoch ungeschlagen und geht auch als Tabellenführer in die kommende Woche. Gegen den Bonner SC sollte RWE dann allerdings gewinnen, damit die Ausgangssituation vor dem Spitzenspiel gegen Dortmund ordentlich bleibt. Dass die Liga kein Selbstläufer wird, hat jeder Zuschauer heute gesehen. Damit werden die größten Träume, die in der Winterpause merklich gewachsen sind, wieder etwas auf den Boden der Tatsachen geholt. RWE benötigt ehrliche Arbeit, dann wird es auch mit dem Gewinnen etwas. Am besten direkt am nächsten Samstag.
Hendrik Stürznickel