Vorbericht
Ein eigentlich ungewöhnlicher Auftrag für die Essener Rot-Weissen, verbindet man doch mit der nördlichen Nachbarstadt im Grunde wenig positive Konnotationen. Möglicherweise wird es aber so sein, dass wir unsere Roten am morgigen Tage zum vorerst letzten Male in Aktion erleben werden dürfen.
Ähnlich wie im Frühjahr ist Corona derzeit kaum zu zähmen. Ein Teil-Lockdown ab Montag ist politisch beschlossen. Der Spielbetrieb der reinen Amateurligen wird ebenfalls unterbrochen werden. Schätzt das Land NRW die Regionalliga-West, die im Grunde einen Zwitter-Status zwischen Amateur-und Profilager hat, ebenfalls als Amateurliga ein, wird der Spielbetrieb auch hier unterbrochen werden. Am morgigen Samstag soll die Kugel jedoch auf jeden Fall rollen. Auf dem Youtube-Kanal der Gastgeber wird das Match auch in Essener Wohnzimmer gestreamt werden. Gute Sache!
Sportlich läuft es rund für die Rot-Weissen, die Tabellenführer sind. Seit Februar und damit auch in der gesamten bisherigen Saison sind die Essener ungeschlagen. Wir wiederholen uns, Christian Neidhart hat eine große Baustelle der Vorsaison in den Griff bekommen. Das Essener Spiel gegen den Ball, das schnelle Umschalten nach eigenen Ballverlusten funktioniert glänzend, RWE gestattet den Gegnern wenig an Toren und auch generell an Torchancen. Bislang gelang auch immer mindestens ein eigenes Tor. Offense wins games, defense wins championships lautet die rot-weisse Devise. Auch ansonsten könnte man im Grunde denselben Text aufsetzen, der im Vorbericht auf das mit 3:0 gewonnene Spiel gegen Oberhausen auftauchte. „Auch im Essener Lager weiß man, dass man wegen des Damoklesschwertes Corona über den Köpfen der Liga keine Zähler leichtfertig verschenken darf und wird einen Sieg anstreben.“ Mindestens 18 Saisonspiele muss jede Mannschaft in der Regionalliga West ausgetragen haben, damit die Saison gewertet werden würde. Bei einer ungleichen Anzahl an Spielen entscheidet der Quotient. Hier hätten die Rot-Weissen aktuell das Nachsehen gegenüber dem BVB 2, der mit einem Zähler Rückstand auf dem zweiten Tabellenplatz liegt, aber eben auch ein Spiel weniger ausgetragen hat. Von daher lautet auch beim Spiel in Gelsenkirchen die Devise, alles auf Sieg!
Der Gegner erwartet RWE im umgebauten Parkstadion auf Gelsenkirchener Stadtgebiet. Die Nachwuchstruppe steht mit 16 Zählern aus 11 Partien in Lauerstellung nach oben, muss aber auch auf die untere Tabellenhälfte Acht geben. Verlassen kann man sich auf eine stabile Defensive, die bislang nur 7 Gegentreffer zugelassen hat. Vorne sieht es bei 11 eigenen Toren überschaubar aus. Im Vorjahr biss RWE sich an der Abwehr der Gastgeber beim 0:0, damals noch in Herne, die Zähne aus. Wohl auch diesmal wird die Mannschaft von Thorsten Fröhling auf defensive Kompaktheit setzen. Wie wird die Profiunterstützung aussehen? Gelsenkirchens U23 ist eine der wenigen Zweitvertretungen in der Regionalliga West, die regelmäßig mit Akteuren des eigentlichen Bundesligakaders aufläuft. Darunter auch ein Ahmed Kutucu, der noch immer als großes Talent gilt und ebenso wie Timo Becker, der ebenfalls wieder für die Zweite auflaufen könnte, in der Jugend schon einmal bei RWE aktiv war. Die ersten Knappen treten am heutigen Abend gegen den VFB Stuttgart an, da könnte es Hinweise darauf geben, wer das große Revierderby gegen RWE bei der Zweiten spielen darf. Auch wenn böse Stimmen behaupten, beim aktuellen Zustand der Gelsenkirchener Bundesligatruppe müsse man von dort keine Abstellungen fürchten, sollte dennoch klar sein, dass Spieler mit potenziell hoher Qualität kommen könnten. Im Vorjahr übrigens Nabil Bentaleb, der in Herne von frankophilen RWE-Anhängern in Zwiegespräche verwickelt worden war. Allein deshalb bleiben zweite Mannschaften weiterhin eines der großen Reizthemen in der Regionalliga, dessen Diskussion sich der Dachverband DFB in der bereits gewohnten grenzenlosen Ignoranz auch weiterhin verweigert.
Apropos Ignoranz. Nicht nur die Essener Rot-Weissen, sondern die meisten Vereine der Regionalligen befürchten nicht nur die Einstellung des Spielbetriebes, sondern wohl auch, dass sie erneut von DFB und erst Recht von der darüber gelagerten DFL schmählich im Stich gelassen werden und sich erneut niemand Gedanken darüber machen wird, was weit unterhalb des Pseudo-Glamour-Betriebes Bundesliga sein wird. Konzepte Fehlanzeige. Interesse? Fehlanzeige. Nachdem dieser Grundsatz im Bezug auf die Regionalliga bis zum heutigen Freitag galt, bewegte sich die Landesregierung NRW nun kurzfristig, indem sie eine Kompensation der Verdienstausfälle der Regionalligateams in Aussicht stellt. Insgesamt stehen 15 Millionen Euro bereit, mit denen die Vereine Teile des Verlustes durch die Verbote von Zuschauern kompensieren können. Dies ist wenigstens ein ermutigendes Zeichen, dass der Fußball unterhalb der Bundesliga nicht vergessen wird.
In der weitgehend völlig unkritischen ARD-Dokumentation „Weiter, immer weiter…“ durfte sich der Fußballfan am vergangenen Sonntagabend zur eigentlichen Sportschau-Zeit noch einmal das Selbstverständnis der 1. Liga vorführen lassen. Dass der Bundesligaspielbetrieb als erster in Europa wieder an den Start gegangen war, wurde von DFL-Boss Christian Seifert und weiteren Funktionären als Monumentalleistung gefeiert, wer das noch nicht verstanden hatte, wurde darüber belehrt, wie großartig es war, den Ball dort wieder rollen zu lassen, welche großen Schwierigkeiten man überwunden habe, welche Ängste besiegt worden wären. Klar. In der Bundesliga. Sonst gibt es und existiert ja auch nichts in der Denke der Seiferts, Watzkes und Co. Dass womöglich Corona ganze Vereinslandschaften von der Fußballkarte wischen wird, ist dort womöglich sogar eher gewünscht. Muss man sich doch dann mit den Sorgen und Nöten kleinerer Vereine gar nicht mehr beschäftigen und man könnte die elitäre Monopolstellung sogar noch ausbauen. Der Gegenentwurf ist bei der ARD-Doku „No sports“, die seit Monaten unsere Essener Rot-Weissen, die Düsseldorfer EG sowie einige Individualsportler bei ihrem Weg und Kampf gegen Corona begleitet, zu sehen. Während des RWE-Spiels gegen Oberhausen wurde der langjährige RWE-Fan Holger Barking, ein 49-Jähriger Berufsschullehrer und Mitglied des Rot-Weiss Fanclubs „Nordmannen“, zum Thema erste Bundesliga befragt und brachte es für viele auf den Punkt. Die Bundesliga, so Barking, könne machen, was sie wolle, von denen sei man ganz weit weg. Weiter explodierende Gehälter und Ablösen, Gedanken an eine neue europäische Superliga stoßen in Holger Barkings Augen auf Unverständnis. Entsetzlich sei es. Das sehen viele Fußball-Fans so.
Fazit, auch die finanzielle Spritze des Landes NRW wird die enormen Verluste an der Hafenstraße etwas abfedern, aber keinesfalls auffangen. RWE kann sich weiterhin nur selbst helfen, kann und darf sich auf niemanden verlassen. Der Verein, die Mannschaft mit ihrem Trainer und der dahinterstehenden sportlichen Leitung sind gut aufgestellt. Das wird sie auch weiterhin sein müssen. Am Samstag in Gelsenkirchen hoffen wir auf den nächsten Dreier und drücken unseren Roten auf dem Rasen und bei den Irrungen und Wirrungen der Verbände in Corona-Zeiten ganz fest beide Daumen!
NUR DER RWE!
Sven Meyering
Spielbericht
Am Ende erlebten die RWE-Anhänger ein Wechselbad der Gefühle, als der mit Abstand beste Mann auf dem Platz, Daniel Heber, mit der letzten Aktion des Spiels das Unentschieden herstellte. Beinahe hätte RWE die erste Niederlage nach sehr langer Zeit hinnehmen müssen, doch am Ende sprang ein Punkt heraus, der am Ende als gewonnener Punkt gesehen werden muss.
Es lohnt nicht mehr, sich über das wettbewerbsverzerrende Verhalten der Zweiten Mannschaften in der Regionalliga zu beklagen. Der DFB wird von den Bundesligisten dominiert und mit Rainer Koch hat der Amateurbereich einen Sprecher, dem es ausschließlich um die Pfründe des bayrischen Fußballverbandes geht, von daher ist eine Änderung nicht erwünscht, sodass die anderen Mannschaften mit den Tatsachen leben muss. Die Mannschaft aus Gelsenkirchen stellt in diesem Jahr allerdings ein Extrem dar, was den Einsatz von mehreren bundesligaerfahrenen Kräften angeht nicht nur im gestrigen Duell gegen RWE. Immerhin war Timo Becker, der erst kürzlich einen Profivertrag unterschrieben hat, nicht im Kader. Mit Nassim Boujellab und Münir Levent Mercan waren hoch talentierte Spieler in der Startelf und mit Ahmed Kutucu das vielversprechendste Talent der Gelsenkirchener Knappenschmiede auf dem Platz. Zur Ehrlichkeit gehört allerdings ebenfalls, dass RWE dieses Spiel trotz der namhaften Verstärkungen hätte gewinnen können, vielleicht sogar gewinnen müssen, angesichts sehr guter Einschussmöglichkeiten.
Auf Essener Seite musste Christian Neidhart neben dem Langzeitverletzten David Sauerland auf Kevin Grund, Felix Backszat und Amara Condé verzichten. Dementsprechend änderte Neidhart die Startelf auf der linken Abwehrseite, auf der aber keine Schwächung erkennbar war, denn Felix Herzenbruch zeigte eine sehr engagierte Leistung.
In den Essener Wohnzimmern hätte normalerweise schon nach gerade einmal zwei Minuten Jubel ausbrechen müssen. Ein Befreiungsschlag der Essener Hintermannschaft flog tief in die Schalker Hälfte und Florian Flick wollte den Ball mit dem Kopf auf den eigenen Torwart weiterleiten. Dieser verschätzte sich aber beim Kopfball und spielte ihn sehr kurz vor den Strafraum. Simon Engelmann wartet nur auf solche Situationen und kam 16 Meter vor dem Kasten an den Ball. Er entschied sich, den Torwart zu überlupfen, agierte aber zu überhastet und der Ball flog hoch über das Tor ins Aus. Das hätte das 1:0 sein müssen. Auch Daniel Heber bekam einen abprallenden Ball ca. zehn Meter vor dem Tor in den Fuß und hatte freie Schussbahn (10.). Auch er schoss den Ball in die Gelsenkirchener Dämmerung.
In der 22. Minute war es einmal mehr Dennis Grote, der einen Gelsenkirchener Angriff schon im Mittelfeld stoppte und sofort Cedric Harenbrock nach vorn schickte. Dieser hat einen sehr feinen Fuß und legte perfekt auf den herangeeilten Iasaiah Young auf die rechte Seite auf. Dieser zog ab, der Torwart hatte den Ball jedoch. Zu Young muss gesagt werden, dass er sehr auffällig auf der rechten Mittelfeldseite spielte. Immer wieder setzte er sich durch seine Schnelligkeit gegen die Abwehr des Gegners durch, traf dann aber vielfach keine guten Entscheidungen. Pässe kamen nicht genau genug, mit dem Abschluss wartete er manchmal zu lange. Allerdings zeigte er immer wieder die hohe Qualität, die er besitzt. Wenn er es hinbekommt, seine starken Angriffe gut zu Ende zu spielen, dann wird RWE auf der rechten Seite eine enorme Waffe aufbieten.
Kurz vor der Halbzeit zog auch Engelmann flach aus 20 Metern ab und erwischte Torhüter Michael Zadach kalt. Dieser war zu spät unten, hatte aber das Glück, dass der Ball an den Pfosten klatschte und die Führung somit einmal mehr verhindert wurde. Auf Gelsenkirchener Seite sprangen nahezu keine Chancen heraus. Die beste Möglichkeit hatte Boujellab, als er auf das Tor köpfte (25.), für Davari war dieser Ball allerdings leichte Beute.
Zur Halbzeit musste man ein gutes Spiel der Essener konstatieren. Die einzige Kritik ist, dass es mindestens 2:0 zur Pause stehen musste. RWE erspielte sich immer wieder beste Einschussmöglichkeiten und schluderten im Abschluss. Von den vier besten Abschlüssen, hat Gelsenkirchens Zadach nur einen Ball gehalten, alle weiteren verfehlten das Tor. Als Fan ist es sehr einfach eine bessere Chancenverwertung zu fordern´. Diese Kaltschnäuzigkeit kann man kaum trainieren, da sich dabei viel im Kopf der Akteure abspielt, und eigentlich sind genug Spieler in den Reihen unserer Roten, die auch in dieser Saison gezeigt haben, dass sie wissen, wo der Kasten steht. Dies ist aber trotzdem der entscheidende Faktor, weswegen die Spiele nicht klarer gewonnen werden.
Nach der Pause reagierte Torsten Fröhling auf die Essener Angriffe, indem er die Abwehr besser auf die Spielweise der Essener einstellte. RWE war fast komplett abgemeldet und durch die deutlich defensivere Herangehensweise der Gelsenkirchener kam auch in der Gegenrichtung wenig Gefährliches auf das Essener Tor. Einziger Aufreger war nach der Pause ein kräftiger Schubser im Strafraum an Isaiah Young (46.). Solche Szenen sind durchaus auch schon gepfiffen worden, allerdings ist Fußball ein Kontaktsport und man kann Schiedsrichter Wollenweber durchaus folgen, eine solche Szene als zwar harten, aber zumindest legalen Kampf um den Ball zu sehen.
Die beste Chance der zweiten Halbzeit hatte Marco Kehl-Gomez. Ogzhan Kefkir flankte scharf in den Strafraum und der Kapitän kam völlig frei zum Kopfball. Er konnte den Ball jedoch nicht kontrollieren und so tropfte der Ball zu Zadach ab. Danach hatte man das Gefühl, dass RWE selbst nicht mehr an den eigenen Torerfolg glaubte. Die spielerische Dominanz war noch vorhanden, allerdings fehlte fortan der Zug zum Tor.
Wie es so kommt, waren es die Blauen, die kurz vor Schluss jubeln durften. Die Entstehung des Freistoßes, der den Treffer einleitete, war schon schmeichelhaft für die Gelsenkirchener. Daniel Heber lief den Ball perfekt ab und ließ seinen Gegenspieler auflaufen. Der Freistoßpfiff kam, die gelbe Karte, die es obendrauf gab, war jedoch völlig überzogen. Nichtsdestotrotz war die Entfernung nicht so gefährlich, so dachte man. Der Ball kam scharf in den Strafraum und aus dem Gewühl kam der Schuss aus kurzer Distanz auf das Tor. Davari konnte nur abklatschen lassen und traf Matthew Hoppe, der ins leere Tor einschob.
Die Essener wachten wieder auf und wollten diesen Spielstand, der das Spiel auf den Kopf stellte, nicht hinnehmen und in der Nachspielzeit kam das erlösende 1:1. Ahmed Kutucu wurde bereits in der 62. Minute ausgewechselt, da er nichts auf die Reihe bekam. Dies lag vor allen Dingen daran, dass Heber ihm zu jeder Zeit zuvorkam. Nach hinten spielt Heber in seiner eigenen Liga und in der 94. Minute sorgte er mit seinem platzierten Kopfball schließlich dafür, dass sein RWE noch einen Punkt mit an die Hafenstraße nahm.
Danach war Schluss und die Freude überwog, auch wenn drei Punkte locker drin gewesen wären. RWE spielt sicher nicht spektakulär, aber die Ruhe im Spiel der Rot-Weissen darf nicht mit mangelnder Qualität verwechselt werden. RWE zwingt dem Gegner das eigene Spiel auf und erzwang in der ersten Halbzeit wieder beste Tormöglichkeiten. Über die Schwächen im Abschluss haben wir schon geredet, aber das fehlt noch, damit es noch schwieriger wird, auch nur einen Punkt gegen RWE zu gewinnen.
Durch den gleichzeitigen Erfolg der Dortmunder Reserve bei den starken Kölnern, schmeckt der eine Punkt noch bitterer. Wieder einmal marschiert eine Mannschaft von Enrico Maaßen voran, sodass man davon ausgehen muss, dass RWE nicht viele Punktverluste hinnehmen darf, wenn sich die Dortmunder nicht absetzen sollen. Jetzt heißt es aber erst einmal Daumen drücken, dass die Landesregierung NRW den Spielbetrieb in der Regionalliga West weiter erlaubt. Hoffnung machen dabei die Entscheidungen der Landesregierungen in Hessen, Brandenburg und dem Saarland, die jeweils die Regionalliga zur Profiliga erklärten, die dort also prinzipiell weiterspielen dürfte. Wie NRW hier entscheidet, wird am kommenden Montag verkündet. Falls die Liga dort als Profiliga eingruppiert wird, geht es schon am Mittwoch gegen Rödinghausen um Punkte. Falls die Liga aussetzt, werden wir mindestens einen Monat lang keine Spiele von RWE mehr sehen dürfen.
Hendrik Stürznickel