Der Tag danach. Wir hatten uns (fast) alle auf ein Fußballfest gefreut, nun sind wir noch immer geschockt und wütend. Statt eines Spielberichtes folgt nun aus gegebenem Anlass ein Kommentar. In unserem Vorbericht zum Schlagerspiel gegen Preußen Münster hatten wir nach den unrühmlichen Geschehnissen, die sich nach dem Hinspiel ereignet hatten, bereits die Hoffnung geäußert, uns am Sonntag hoffentlich über einen RWE-Sieg ohne Nebengeräusche freuen zu können. Diese Hoffnung wurde brutal enttäuscht. Das Neben- oder besser Hauptgeräusch, das den regulären Schlusspfiff gar nicht erst zuließ, kam in Form eines mächtigen Knalleffekts, der um ca. 15:33 Uhr das Stadion an der Hafenstraße erschütterte. Aus den Essener Fanblöcken, genauer aus dem Bereich W1, war ein sogenannter „Polenböller“ zwischen die sich hinter ihrem Tor warmmachenden Ersatzspieler der Preußen gelandet. Mit einem Male wurde der Ärger um den kurz zuvor gefallenen Ausgleich der Münsteraner zur Nebensache. Denn es war etwas deutlich Fataleres passiert. Zunächst herrschte Desorientierung auf den Rängen, denn die Augen der meisten Zuschauer waren auf das Spielgeschehen gerichtet, das sich weiter entfernt vom Tatort befand.
Deutlich zu sehen waren dann aber Rauchschwaden und am Boden kniende Münsteraner Spieler im Bereich rechts von dem von Maximilian Schulze-Niehues gehüteten Tor der Gäste im Bereich bis Richtung der Eckfahne. Als der Ball im Aus war, orientierten sich der Schiedsrichter und diverse Feldspieler beider Mannschaften dorthin, um zu sehen, was passiert war, der Unparteiische Christian Scherper tat das einzig Richtige und schickte beide Teams kurz darauf zunächst in die Kabinen, wo dann über die Fortsetzung der Partie beraten wurde. Gut eine halbe Stunde dauerte es, bis das Spiel dann auf Antrag der Gäste ganz abgebrochen wurde. Preußen Münster sah sich nicht mehr in der Lage weiterzuspielen, die Reservisten Marvin Thiel und Yannick Borgmann waren laut eines medizinischen Checks nicht mehr spielfähig. Der angerichtete Schaden ist von hoher materieller und im Grunde noch schlimmerer ideeller Natur.
Dieses Fiasko hat zwei Komponenten. Erstens wird sich die Sportgerichtsbarkeit mit diesem unrühmlichen Vorfall beschäftigen müssen. RWE droht eine Niederlage am grünen Tisch, auch wenn dieses keinesfalls die einzige Option ist und auch ein Wiederholungsspiel in Frage kommen könnte. Auch finanziell wird es wohl nicht ganz so glimpflich abgehen. Hier wollen und möchten wir nichts präjudizieren. Vielmehr müssen wir uns als Fans von Rot-Weiss Essen mit den Schäden beschäftigen, die nicht nur in körperlicher Form von zwei Münsteraner Spielern erlitten worden sind – hier gilt auch von den aufrichtigen und echten Anhängern unseres Vereins eine uneingeschränkte Solidaritätsbekundung mit den Betroffenen. Klar muss uns allen sein, dass dieser Böller auf Menschen geworfen worden und das Tatwerkzeug zu diesem Zwecke mit ins Stadion gebracht worden ist. Wer so etwas tut, der pfeift nicht nur mutwillig auf die Gesundheit von Menschen, sondern der schmeißt diesen Böller auch auf unseren gesamten Verein. Auf unseren Vorstand und die sportliche Leitung, die unermüdlich daran arbeiten, RWE zu professionalisieren und nach vorne zu bringen und deren Arbeit von einem Idioten auf das Übelste diskreditiert und in den Dreck gezogen wurde. Auf unsere Mannschaft und unser Trainerteam, deren sportliche Leistung in den Hintergrund gedrängt und massiv torpediert worden ist. Auf uns Fans von Rot-Weiss Essen, die wir unsere Hingabe und Leidenschaft für den Verein von einem Schwachkopf in tiefste Depressionen und Ärger verwandelt sehen.
Und genau hier sind wir an dem Punkt angekommen, wo es auf unsere Haltung und Werte ankommt! Schon unmittelbar nach dem Böllerschuss drückten weite Teile des Stadions Essen von der Haupt- und der Rahntribüne ihre Missbilligung über diesen Vorfall mit „Wir sind Ess(e)ner, und ihr nicht!“-Rufen aus. Das war zunächst gerichtet an unbestimmbare Personen im Bereich W 1, weil von dort aus das Geschoss gekommen war. Kurz darauf kam es auch auf der Alten West selber zu klaren Unmutsäußerungen über den Vorfall in Richtung des Verursacherblocks.
Es gibt viel, sehr viel aufzuarbeiten. Wer genau es war, der alles auslöste, steht noch immer nicht fest. Der Täter ist aktuell nicht gefasst, der zunächst von der Polizei Festgenommene wurde heute wieder auf freien Fuß gesetzt und gilt als nicht mehr tatverdächtig. Ein eindringlicher Beleg dafür, dass Sorgfalt an den Tag zu legen ist und keine Vorverurteilungen. Es wird ein intensives Studium der Videobilder notwendig werden, ebenso die Auswertung der Aussagen von Augenzeugen. Ganz frisch geht Rot-Weiss Essen gerade mit einer Mitteilung online, dass für sachdienliche Hinweise für die Ergreifung des Schuldigen eine Belohnung von bis zu 5000 € ausgesetzt werden wird. Ganz wichtig ist dabei die abschließende Botschaft von Marcus Uhlig: „Die Hafenstraße ist ein Ort der positiven Emotionen und der Leidenschaft. Gewalt, Diskriminierung und Einschüchterung haben bei uns keinen Platz.“ Kriminelle werden somit auch als Kriminelle erkannt und behandelt, möchte man da zustimmend hinzufügen. Die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden ist ein adäquates Rechtsmittel. Die Durchsetzung des Gewaltmonopols gebührt dem Staat und nicht der Kurve.
Was können wir tun? Der Verein hat bereits deutliche Worte gefunden, ebenso der Vorstand der Fan- und Förderabteilung von Rot-Weiss Essen. Gut und wichtig auch das Statement der Ultraszene, die den Böllerwurf auf das Schärfste verurteilte. Absolute Sicherheit kann und wird es in Fußballstadien nie geben und kein Ordnungsdienst der Welt wird verhindern können, dass verbotene Gegenstände jeglicher Art die Stadiontore passieren und dann Unheil wie gestern anrichten können. Wie schon oben angemerkt, können und dürfen wir die Übeltäter auch nicht selbst zur Verantwortung ziehen. Wir leben in einem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung und nicht in einem rechtsfreien Raum. Was wir als Fanszene jedoch verhindern oder zumindest eindämmen können ist, dass solche inakzeptablen Aktionen in der Bewertung auf fruchtbaren Boden fallen oder verharmlost werden. „War doch alles halb so schlimm, früher ging es in der Westkurve viel mehr ab.“ Wer gestern im Stadion an der Hafenstraße war, musste leider auch Kommentare solcher Art hören. Deren Urheber zeigten sich dann sogleich überrascht oder verwiesen auf ihre Meinungsfreiheit, wenn sie danach den gut gemeinten Rat erhielten, dass sie sich bitte einmal auf ihren Geisteszustand untersuchen lassen sollten. Nicht nur unser Vorstandschef Marcus Uhlig hat von so was die Faxen dicke, sondern alle, die gemeinsam mit dem Verein den Weg in eine bessere Zukunft gehen wollen.
Wir Fans müssen Haltung zeigen und uns distanzieren! Wir Fans entscheiden, was wir akzeptieren und tolerieren und wo wir die Grenze ziehen. Zumindest mental. Es gibt hier nichts zu relativieren oder gar in pseudoromantischer Verherrlichung von dämlicher und menschenverachtender Gewalt zu schwelgen. Wer so etwas tut, schmeißt den Böller im Geiste mit. Wer noch immer nicht verstanden hat, dass solche Dinge nicht in ein Fußballstadion gehören, der gehört nicht zu uns, der gehört nicht zu der Gott sei Dank noch immer in der Mehrheit befindlichen Menge an Menschen, die Rot-Weiss Essen im Herzen tragen.
Nur der RWE
Sven Meyering