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2022/2023 – 3. Liga

Das JWD-Saisonfazit – Teil 1: Der Trainer

Die Diskussion über den Trainer spaltet das Fanlager und auch wir haben mehrfach Auswüchse von der Seite der Tribüne kritisiert. Im ersten Teil unserer Jawattdenn.de-Saisonanalyse wollen wir ein Fazit zum ersten Jahr unter Christoph Dabrowski ziehen. Viel Spaß beim Lesen.

Christoph Dabrowski und RWE – Pflicht erfüllt, die Kür verrissen

Am Trainer und an der Essener Saisonleistung scheiden sich die Geister. Nüchtern gesehen hat Christoph Dabrowski das Saisonziel erfüllt. RWE hält die Liga und gewinnt den Niederrhein-Pokal. Trotz ewig währender Besorgnis war der Klassenerhalt im Laufe der Saison nicht in eminent großer Gefahr. Vor Start der Spielzeit kündigte Dabro mutiges Spiel mit hohem Pressing und temporeiche Überfälle über Außen an. Die ersten Pflaumen waren aber dann bekanntlich madig. RWE kam schlecht aus den Startlöchern, spielte sehr naiv und offen, von den angekündigten Tugenden war wenig zu sehen. In den Heimspielen gegen Elversberg (1:5) und Viktoria Köln (1:4) wurde man förmlich abgeschossen. Dabrowski wirkte infolgedessen früh angezählt und in Interviews nicht immer glücklich. 

Dann gab Dabro seiner fehlgestarteten und verunsicherten Elf zunächst Sicherheit über die defensivere Fünferkette, später, neue Spieler waren hinzugekommen und hoben die Qualität, ging es zurück auf die Viererkette und Essen zeigte dann einige Partien lang, dass es nun in der Lage war, die ursprünglich geplante taktische Ausrichtung umzusetzen. Am 8. Spieltag kletterte RWE von den Abstiegsplätzen an das rettende Ufer und von da an gab es stets unterschiedlich große Punktepolster, die Rot-Weiss von den Plätzen, die die Hölle bedeuten, trennten. Dennoch ist Christoph Dabrowski in der Fanszene sehr umstritten und wurde heftig von Teilen der Ränge angezählt. Und zwar stärker als viele seiner direkten Vorgänger. Wie kam es dazu?

Generell ist der Blick auf frühere Jahre ein Vergleich von Äpfeln und Birnen. Vergleichsdaten aus einer Profiliga sind bereits antik, da war Essen zuvor zuletzt 2008 aktiv gewesen. Und in den letzten Regionalliga Jahren lieferte sich RWE gegen im Schwerpunkt spielerisch limitierte Gegner meist mit nur einem Team auf Augenhöhe Torschuss- und Punktejagd-Wettbewerbe. Man kann die an Dabro in der Dritten Liga gestellten Anforderungen also nicht gleichsetzen mit dem in der Regio vorherrschendem Grundgedanken, wie knacke ich gegnerischen Beton? Vielmehr stellten sich RWE in der Gegnerschaft deutlich komplexere und heterogene Anforderungsprofile. Das Mantra, in der 3.Liga nicht jede Mannschaft gleich bespielen und flexibel sein zu müssen, war daher nachvollziehbar. Teilweise wurde es jedoch überstrapaziert.

Dabro hat hin und wieder ein Talent, es sich selber schwer zu machen. Das gilt für seine Kommunikation und für seine Aufstellungen, manchmal in Kombination. Ein Paradebeispiel dafür war das Essener Gastspiel beim SV Meppen. Mit einem Dreier wäre Rot-Weiss bereits vier Spieltage vor Schluss aller Sorgen ledig gewesen. Noch unter der Woche vor dem Spiel beantwortete Dabrowski die Frage nach den wenigen Einsatzzeiten für Nachwuchstalent Musti Kourouma damit, dass sich dieser nach dem Abgang von Daniel Heber selber zu sehr unter Druck gesetzt habe. Zudem waren die Positionen in der Innenverteidigung an Felix Herzenbruch und Rios Alonso vergeben. Und Kourouma wurde von Dabro laut seiner eigenen Aussage klar als Innen- und nicht als Außenverteidiger gesehen.

Als der Spielberichtsbogen in Meppen aber veröffentlicht wurde, sah der Betrachter, dass Musti nun doch als Rechtsverteidiger aufgeboten worden war. Anstelle des in der Vorwoche gegen Oldenburg auf dieser Position vernünftig performenden Sandro Plechaty. Eine Personal-Rochade, die sich als unglücklich erwies. Beim Meppener Führungstreffer sah Kourouma, jüngster Spieler des RWE-Kaders, ganz alt aus und unterstrich im Grunde die Aussage seines Trainers, auf der Außenbahn nicht ganz so gut aufgehoben zu sein. Warum Dabro ihn dann dennoch dort brachte blieb unklar. Zumal dann zur Pause Plechaty als gelernter Rechtsverteidiger ins Spiel kam und deutlich mehr Stabilität ausstrahlte.

Ins Leere lief auch die Finte, RWE-Kapitän Felix Bastians, lange Zeit mit 6 Saisontoren Essens bester Schütze, aus der Viererkette ins Sturmzentrum zu beordern, so gesehen bei der sang- und klanglosen 0:3 Schlappe beim 1. FC Saarbrücken. Ob Dabro sich das bei MSV-Kollege Thorsten Ziegner abgeschaut hatte? Dieser hatte beim klaren Sieg der Duisburger über den FSV Zwickau seinen Abwehrchef Sebastian Mai nach vorne beordert, ein Schachzug, der zog. Aber eben nicht bei allen Vereinen und allen Gegnern gleich gut. Zudem Felix Götze sich in Saarbrücken in der Innenverteidigung wiederfand, eine Position, die er zwar kennt, aber nicht mit Herzblut ausfüllt.

Überhaupt wurde die Abwehrformation gerne und oft gewechselt, systemisch von Vierer- auf Dreier bzw. Fünferkette und auch personell gab es stetige und nicht zwingend notwendige Veränderungen. Manchmal war das der Personaldecke geschuldet, manchmal kamen Dabro aber auch Ideen, die nicht immer nachvollziehbar waren, so zum Beispiel als Außenbahnspieler Meiko Sponsel sich in Dresden mit einem Male im Abwehrzentrum wiederfand und dort sichtliche Orientierungsschwächen zeigte. Irgendwie bekam man zu Beginn der Rückrunde den Eindruck, der Trainer habe Freude am Experimentieren gefunden, vor dem Hintergrund einer starken und erbarmungslosen Liga erschien das fahrlässig.

Während die individuelle Klasse einzelner Spieler nicht dem Trainer anzulasten sind, können gewisse Spielabläufe einstudiert werden. Anhand zweier Beispiele wurde in der Saison jedoch deutlich, dass diese Abläufe nicht funktionieren, wenn sie denn eingeübt wurden.

Einerseits stören viele Drittligateams bereits früh das Essener Aufbauspiel, indem sie Pressing spielen. Normalerweise haben Mannschaften für diesen Fall Spielzüge im Repertoire, mithilfe derer sie sich aus diesen Situationen befreien können. Insbesondere in der Rückrunde war zu beobachten, dass nicht selten der hohe Ball in die gegnerische Hälfte das Mittel der Wahl war. Die zu beobachtende spielerische Armut gerade in der Rückrunde ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen.

Andererseits wird das Problem bei eigenen Kontern oder eigenem Überzahlspiel deutlich. Hier sollten klar zugeordnete Laufwege erfolgen, die einen erfolgreichen Torabschluss wahrscheinlicher machen. In sehr vielen Fällen hat der Zuschauer von außen nicht den Eindruck, dass es diese klaren Zuordnungen und Laufwege gibt, weswegen aussichtsreiche Kontersituationen zu selten vergoldet wurden.

So lief die Rückrunde schlecht und Essens Zwischenhoch hatte sich erledigt. Wie der statistische Jahresrückblick zeigt, war RWE in den meisten Disziplinen maximal biederer Durchschnitt. In der Rückrunde holte man satte 6 Punkte weniger als in der Hinserie und landete in der Tabelle der zweiten Spielzeit auf dem Abstiegsplatz 17. Nur bei den Remis war RWE Spitzenreiter. Auch ein Beleg dafür, dass Essen häufig der Mut und die Gier auf mehr fehlte. Wie das beim Stande von 1:1 abgebrochene Spiel in Zwickau tatsächlich geendet hätte, wollten viele RWE-Anhänger daher auch gar nicht wirklich wissen und nahmen die zwei weiteren Punkte vom grünen Tisch gerne an. 

Dennoch lief der RWE-Dampfer und Christoph Dabrowski in den Hafen ein. Das Ziel war den Klassenerhalt zu sichern und sich in der Liga zu etablieren. Das ist erreicht worden, insofern man die Etablierung mit dem Klassenerhalt bereits gleichsetzen möchte. Aber andere Ziele, mutig, leidenschaftlich und mit viel Spaß zu agieren wurden nur in Teilen der Hinrunde erfüllt. Es fehlt die Sahne auf den Erdbeeren oder nach der Pflichterfüllung wurden für Essens Kür nicht immer und sogar selten hohe B-Noten fällig. Dafür trägt aber nicht Christoph Dabrowski allein die Verantwortung.

Die wahre Stärke der Dritten Liga hatte man bei RWE im Kollektiv unterschätzt. Im Schwerpunkt vertraute man dem Aufstiegskader und wollte diesen nur moderat verstärken. Das ging daneben. Dabro übernahm zunächst einen Kader, an dem er selber wenig Hand angelegt hatte. Nach dem Gruselstart in die Liga war klar, müsste RWE weiterhin so viel Lehrgeld bezahlen, wäre Profifußball nur ein einjähriges Intermezzo gewesen. Also justierte man an der Hafenstraße 97 A den Kader neu. Der massiv zweitligaerfahrene Clemens Fandrich, der flexibel einsetzbare Felix Götze, der fast ein wenig Glamour in Essen verbreitete, Kampfmaschine Andreas Wiegel und der lange Nachwuchsstürmer Luca Wollschläger kamen kurz vor dem Ende der Transferperiode Ende August. Auch wenn nur Götze und Wiegel aus diesem Quartett nennenswert lieferten, kam der positive Umschwung. Gegen Erzgebirge Aue feierten Götze und Wiegel ihre RWE-Premiere, prompt kam der erste Saisonsieg.

Dabro hatte nun endlich einen wettbewerbsfähigen Kader, ab diesem Zeitpunkt bis zur frühen Winterpause wegen des Wüsten-Kicks in Quatar holte RWE insgesamt 19 Punkte aus 11 Partien und blieb von Anfang Oktober bis Ende Januar in 9 Partien in Serie unbesiegt. Das war wahrlich nicht schlecht. Auch Spieler, die zu Saisonbeginn mit der neuen Liga völlig überfordert gewirkt hatten, waren nun angekommen und Essen lieferte im Kollektiv, weil die Qualität der anderen Kicker die Mannschaft nun mitreißen konnte.

Diese erfolgreichste Zeit der Saison kam, als die Neuzugänge Felix Götze und Andreas Wiegel verletzungsfrei Woche für Woche spielen konnten, Routinier Felix Bastians seinen zweiten Frühling erlebte und Daniel Heber wieder Daniel Heber war. Es dürfte nicht unbedingt Dabros Wunsch gewesen sein, Heber in der Winterpause zu verkaufen. Das Angebot des 1. FC Magdeburg war als sehr gut zu bezeichnen und einem solch verdienten Spieler darf man auch die Freigabe erteilen und ihm die Chance geben. Doch erneut schien RWE die Sache zu unterschätzen. Ein neuer gestandener Innenverteidiger kam nicht. Felix Herzenbruch kämpfte sich mal wieder in die Stammformation zurück und wurde sogar zum Publikumsliebling. Doch fortan gab es eben auch keinen Spieler mehr in Essens Deckung, der das große Tempo hatte, enteilte Gegenspieler wieder zu stellen. Die Folge davon, so klar und deutlich wie zu Hebers Zeiten schob sich RWE im Spiel auch nicht mehr nach vorne, es entstanden so auch in den Halbräumen mehr Freiheiten für den Gegner.

In Kombination mit stetigen Verletzungen von Leistungsträgern wie Felix Bastians und dann auch dessen Backup Moritz Römling, Felix Götze und Andy Wiegel war RWE längst nicht mehr so schlagkräftig wie im Herbst des Vorjahres. Rot-Weiss ließ unabhängig von diesen Faktoren aber auch viele Punkte fahrlässig liegen. Allein 10 Zähler gingen verloren, weil Essen durch späte Gegentreffer in den Schlussminuten Siege verspielte (gleich zweimal gegen Ingolstadt, zuhause gegen Dresden, in Verl und gegen den MSV), dem gegenüber standen wenigstens zwei Last-Minute Punktgewinne jeweils gegen München 60. So vergab man in Summe diverse Matchbälle, die Liga frühzeitig zu sichern und dann mit einer druckbefreiten Lockerheit auch besseren Fußball zu spielen. Der Sieg im Niederrhein-Pokal über Erzrivale Rot-Weiß Oberhausen beruhigte die Gemüter am Ende etwas. RWE sicherte sich die eminent wichtige Teilnahme am DFB-Pokal und die Fans stellten sich 90 Minuten voll in den Dienst der Mannschaft, wohl wissend um die Bedeutung der Partie.

Die Bilanz der Rückrunde ist nicht zu beschönigen. Das Vorhandensein von erschwerenden Faktoren für den Trainer wurde aufgelistet und generell liefen diverse Dinge hinter den Kulissen nicht optimal. Das Theater um den demissionierten sportlichen Leiter Jörn Nowak sei stellvertretend genannt für Dinge, die der Essener Mannschaft nicht gerade zusätzliche Flügel verlieh. Jedoch hatte Dabro auch nicht immer ein glückliches Händchen und destabilisierte, wie oben dargestellt, seine Mannschaft durch unnötige System- und Personalwechsel zusätzlich. Das Spielsystem glich dabei mehr Stückwerk als einem Master-Plan. Die Hinrunde offenbarte Lernfähigkeit bei Dabrowski, aber kann der 44-Jährige alles abschütteln, was auf ihn ein- und niedergeprasselt ist und mit Volldampf in die nächste Spielzeit gehen?

Die Frage nach der Zukunft von Christoph Dabrowski bei Rot-Weiss Essen ist für die Vereinsverantwortlichen alles andere als leicht zu beantworten. Hinter den Kulissen, im Umgang mit den Verantwortlichen und generell den Menschen im Verein funktioniert Dabro nicht nur, er genießt für seine Art und Weise auch große Anerkennung. Wer mit dem Trainer spricht merkt schnell, das Vorurteil er sei arrogant stimmt in keiner Weise und von oben herab ist er höchstens aufgrund seines Gardemaßes von 1,93 Meter. Auch wenn es für einen Teil der Fans nur einen einzig richtigen Weg gibt, nämlich den Trainer im hohen Bogen vor die Tür zu setzen, existiert auch ein anderer Abzweig.

Spürbar ist auch ein Wunsch, endlich Kontinuität auf dem Trainerstuhl zu haben. RWE befindet sich derzeit in einem Umbruch. Beginnt man den zunächst mit Dabrowski und holt dann dennoch einen anderen Cheftrainer, stünde der vor derselben Situation, nämlich mit einem Kader, den er nicht selber im Schwerpunkt mitgestaltet hat, arbeiten zu müssen. Haben die Entscheidungsträger genug Fantasie nach Abwägung aller Faktoren Christoph Dabrowski als Gestalter eines solchen Umbruchs am Ruder zu belassen? Wenn ja, dann sollte man auf das Urteil der Menschen vertrauen, die tagtäglich die Arbeit des Trainers begutachten und am besten und kompetentesten beurteilen können. Wichtig ist vor allem eines, eine klare und eindeutige Entscheidung.

Sven Meyering & Hendrik Stürznickel